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19. August 2006, Schaubühne Berlin

SINFONIA EROICA von Michèle Anne De Mey



Spielen und spritzen

Auf dem Riesenhalbrund der Berliner Schaubühne ist wieder Tschechowstimmung eingekehrt, wo sonst so "gut" und "aufgehoben" wenn nicht hier - am Ort der legendärsten Landschafts- oder Picknickszenen längst vergangenen Regietheaters. Die Erinnerungen an die Zeit sind plötzlich da. Und müde Augen kriegen wieder Glanz. Tränen der Rührung. Melancholisch nenne ich das Sehgefühl.

Das Allerschönste dieses hellichtigen Abends: Kinderlachen. Ein paar Elternteile hatten ihre Sprösslinge dabei. Und sie - die Stimmchen hallten erst von ganz ganz oben, nach und nach gerieten rechts- und linkerseits, wie Echos derjenigen von ganz oben, weitere hinzu - machten sie, ehrlich wie nur Kinder sind, ihrer Begeisterung durch Kichern und durch Kollern lustig' Lauf. Der Anlass waren ein paar Dutzend Tennisbälle, die mit einem Male auf der Spielfläche zu tanzen angefangen hatten und sich mit den neun Akteuren auf das Spielerischste "arrangierten". Purzelbäume seligsten Empfindens. Mitmachlaune.
Wie das Alles nacherzählen?

So vielleicht: Fünf Mädchen und vier Jungen treffen sich im Freien. Möglich dass es a) ein anonymer Kinderspielplatz oder b) der elterliche Garten eines der neun Jugendlichen ist; letzteres präferiert als These. Denn man richtet diesen Platz durch kollektives Anpacken stets immer wieder neu und anders ein: man faltet und entfaltet "elterliche" Bettlaken, man rückt zwei lange Holzbänke zurecht, man hängt sich an den Schwinghaken unter ein überlang gespanntes Hanfseil, man betätigt einen CD-Player. Einer der neun Spielgefährten findet, zufällig natürlich, Beethovens Eroica in der umherstehenden elterlichen Audiothek, oder Eroica war schon vorher eingelegt, auf jeden Fall: er dreht sie laut und lauter... Nie gehört!
Und hier geschieht das von Michèle Anne De Mey (Choreografie) geplante und gewollte Wunder. Dass neun junge Menschen, die doch eigentlich nur Eines in diesem ausgehenden Sommertag "im Schilde führten", nämlich einfachhin nur liebliebend zu sein, das hörbar Ab- und Einzigartige dieser Musik durch alle Zellen ihrer Körper lauffließen, Bewegungen aus ihr/aus sich hervorstegreifen, ein Gesamtereignis der in Schwung geratnen Gliedmaßen entstehen lassen. Wie sich diese so begnadet aufeinander eingestellten Tänzerinnen/Tänzer (warum fehlten ihre Namen im Programmheft? unverzeihlich!) der fürwahr nicht leichtfüßigen Dritten Sinfonie Ludwig van Beethovens in ungezwungenster Bereitschaft "auszuliefern" wagten, wird so schnell nicht zu vergessen sein.


TANZ IM AUGUST: Wo man spritzt da lass dich nieder! Pricklerische Schlussszene aus Michèle Ann De Mey\'s SINFONIA EROICA, womit sie an der Schaubühne Berlin gastierte - Foto (C) Hermann Sorgeloos


Sensationell der Schlusseinfall: Als ob die schöne Gartenparty in der sturmfrei-elterlichen Wohnung irgendwie dann noch durch einen ausgeflippten Höhepunkt getopt sein müsste, reißen sich die Pubertierenden die Sachen von den Leibern und bewaffnen sich mit vollen Wassereimern, um sie an, auf, unter sich mit vollsten Wüchten auszugießen. Es stimmt allzu hitzig und macht obendrein noch geil, wenn Spritzen und Bespritztsein miteinander harmonieren. Und die Bühne schwimmt. Man rutscht und fließt auf ihr, in sie, in sich hinein. Ja, Leben stammt aus lauter Wasser. Schaumgebornengleichnis.

Einfach schön.


Andre Sokolowski
ID 00000002612
www.andre-sokolowski.de


SINFONIA EROICA

Choreografie: Michèle Anne De Mey
Bühne: Michel Thuns
Licht: Simon Siegmann
Kostüme: Isabelle Lhoas
Produktion: Charleroi / Danses, Centre chorégraphique de la Communauté francaise
Gastspiel in Zusammenarbeit mit der Schaubühne am Lehniner Platz

Gastspiel am 17./18./19. August 2006 in der Schaubühne Berlin

Nächste Vorstellungen und Gastspiele bei TANZ IM AUGUST
vom 17. 8. bis 2. 9. 2006

Weitere Infos siehe auch: http://www.tanzimaugust.de






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