Majestätisch
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Bewertung:
Über Luigi Boccherini (1743-1805) zu schreiben hieße - zwar nicht zwangsläufig, doch immerhin - auch über sein bekanntestes Musikstück ein paar Worte zu verlieren. Jeder kennt es, und auch meine Ohren wollten es dann irgendwann und irgendwo kurz nach meiner Geburt zur Kenntnis nehmen, und so dachte ich ab da, dass ich es schon seit einer Ewigkeit gekannt haben müsste: das Menuett aus seinem Streichquintett E-dur op. 11, Nr. 5 (G 275). Es zählt, was die besagte Melodie betrifft [einfach bei Google in die Suchmaschine eintippen und abwarten, wie viele hundert Youtube-Videos anzuklicken wären], zu den abgedroschensten und ausgelutschtesten Musikstücken auf dieser Welt. Dabei ist es ein schönes, wenn auch schlichtes Stück, und wenn es nicht durch andere so furchtbar abgedroschen, ausgelutscht wäre, könnte man sich mitunter völlig unvoreingenommen seiner schlichten Schönheit hingeben, aber - versaut haben es meistens immer andere.
Mit solch Profanem hatten es dann die drei Musiker Dmitri Dichtiar, Pavel Serbin und Thorsten Bleich, als sie dann ihrer Zeit das Doppelalbum Klangpantomime in der Kreuzkirche Möhringen aufnahmen und beim Label Coviello Classics herausbrachten, mitnichten zu tun. Ihr künstlerisches Anliegen schien von weit höherer und ausgewählterer Veranlagung zu sein, denn zur Debatte standen Boccherinis weitaus "unbekanntere" Six Sonatas for the violoncello (als welche sie in London 1771, noch zu Lebzeiten des Komponisten, erschienen):
"Der Titel ist insofern irreführend, als er nur ein einzelnes Instrument nennt, während Boccherini in seiner Handschrift als Besetzung 'violoncello solo, e basso' angibt. Ob mit 'basso' ein zweites Cello gemeint ist, wie es in unserer Aufnahme zu hören ist, oder ein anderes Instrument, ist nicht sicher zu sagen. Die Offenheit der Angabe und die stilistische Beschaffenheit der Musik lässt es aber zu, neben einem Streichinstrument auch ein zum akkordischen Spiel geeignetes Tasten- oder Zupfinstrument hinzuzunehmen und die zweite Stimme nach Generalbassart auszuführen. In unserer Aufnahme übernehmen drei verschiedene Zupfinstrumente - Arciliuto, Gitarre und Theorbe - diese Aufgabe. Die zweite Stimme ist aber nicht auf eine schlichte Begleitfunktion reduziert, sondern wird immer wieder zur gleichberechtigten Partnerin der Solostimme: Mal bewegt sie sich mit ihr in melodisch ausgeformten Terzen, mal entspinnt sich zwischen beiden Parts eine Art musikalischer Dialog."
Und Thomas Seedorf, der das lesenswerte Booklet dieser Doppel-CD schrieb, meinte anschließend:
"Trotz dieser gelegentlichen Partnerschaft der Stimmen lässt Boccherini keinen Zweifel daran, dass die Oberstimme im Mittelpunkt des Interesses steht. Boccherinis von vielen Zeitgenossen gerühmte Kunst, auf seinem Instrument den menschlichen Gesang nachzuahmen, ist in so gut wie allen Sätzen zu erkennen."
Das [s.o.] erklärt dann auch den Titel dieses grandios eingespielten Albums: Klangpantomime, also auch als Nachahmung des menschlichen Gesanges zu verstehen.
Dmitri Dichtiar spielt sämtliche Oberstimmen aller sechs Sonaten auf seinem Cello, das aus einer venezianischen Werkstatt des 18. Jahrhunderts stammt.
Sein Begleiter Pavel Serbin, der für die Continui (Bassstimmen) zuständig ist, musiziert auf einem Cello der Amsterdamer Schule, ca. 1770.
Und Thorsten Blech zupft eine Archilliuto, eine Theorbe und eine Barockgitarre.
Der Zusammenklang aller drei, manchmal auch bloß der beiden Celli, ist von raumgreifender Intensität. Die Melodien resp. "Oberstimmen", die von Dichtiar mit artifizieller Unaufdringlichkeit und einer dennoch wundersam "geradlinigen" Majestätik und Bestimmtheit ausgeführt sind, prägen sich aufs Suggestivste ein; nicht erst nach mehrmaligem Hören wollte ich sie nachsingen.
Wer sich also einen hochkompetent vermittelten Gesamteindruck von Cello-Musik im Übergang vom Barock zur Vorklassik machen wollte, wäre mit dem Kauf dieser Boccherini-CDs aufs Trefflichste versorgt.
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Übrigens: In dem vom Komponisten erstellten Gesamtkatalog seiner Werke sind die zirka 40 Cellosonaten, die er wohl "mehr für sich" zum Üben, Spielen, Ausprobieren gedachte, nicht verzeichnet. Sie dienten allem Anschein nach - was ihn, der auch als einer der berühmtesten und begnadetsten Cellisten im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts galt, als nicht nur komponierenden sondern auch ausführenden Künstler betrifft - zum experimentellen Selbstverständnis; vielleicht. Daher war/ ist es aktuell um so bedeutender, dass wenigstens jetzt sechs (der mehr als vierzig) Cellosonaten von ihm zum Nachhören verfügbar sind.
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Andre Sokolowski - 17. November 2021 ID 13302
KLANGPANTOMIME | 2 CD
Luigi Boccherinis 6 Sonaten für Violoncello und Basso continuo
Dmitri Dichtiar (Cello)
Pavel Serbin (Cello-continuo)
Thorsten Bleich (Archiliuto, Theorbe, Barockgitarre)
Label: Coviello Classics
COV 92005
Coviello Classics-Link zur Doppel-CD Klangpantomime
https://www.andre-sokolowski.de
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