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CD-Kritik

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komponiert



Bewertung:    



Die Tragödie um das Taubwerden und Taubsein Beethovens kennt höchstwahrscheinlich jeder, der sich mit dem Leben und dem Werk des Komponisten - aus welchen Motiven heraus auch immer - befasst oder befasste. Und im großen Beethovenjahr (was in 2020 wegen der Coronapandemie doch leider nur ein "kleines" wurde, weil so vieles oder gar das allermeiste, was geplant war, ausfiel) tat sie wieder einmal in den Fokus mancher und meist genreübergreifender Events geraten. Mich verschlug es so, beinahe unversehens, in eine gut recherchierte und recht klug gemachte Performance, die die Taubheit Beethovens zum Thema hatte; In Conversation with... hieß sie, und mein akustisches Erinnerungsvermögen kann bis heute diesen piesackenden Tinnitus-Ton, um den sich Beethovens Gehör-Geschichte kreiste, 'rückrufen.

*

Ganz kurz war so ein Ton auch in Track Nr. 15 ("Hörverlust") auf CD 1 des Doppelalbums Tosende Stille zu vernehmen - es begann mit der Intonierung der Großen Fuge op. 133, vermischte sich mit hinzu improvisierten Baritonsaxophon- und Bassklarinettenklängen, verschwand dann immer dumpfer und bassiger bis dass jener Tinnitus-Dauerpfiff erklang und alles Weitere im Innenohr von Beethoven so peu à peu verloren ging, sodass wohl der Betroffene letztendlich überhaupt nicht mehr zu wissen und zu spüren in der Lage war, was er da eigentlich noch hörte... Und das tat schon, so vom Seelischen her, ganz besonders weh Beethovens Hörerfahrung derart nachvollzogen zu bekommen. Ein schon hypothetischer und doch dann wiederum total gelungener Versuch, Vergangenes ins Gegenwärtige zu transformieren als gewagtes klangtechnisches, musikantisches Experiment.

Der Lübecker Dirigent, Klarinettist, Saxophonist, Produzent und "Jazzprofessor" Bernd Ruf ist geistiger und künstlerischer Urheber dieses Projektes, dessen Thema ihn schon ziemlich lang beschäftigt haben muss:



"Warum komponiert ein Mensch? Steht Kunst für sich oder kann sie nicht ohne einen gesellschaftlichen Kontext entstehen und existieren? Sich vorzustellen, dass Beethoven seine großen Werke in Taubheit komponierte und diese für ihn nur in seiner inneren Vorstellung hörbar waren, bleibt für mich ein Mysterium."


Und weiter meinte er, dass es für ihn und sein Projekt - bestehend aus Musikfilm, CD-Doppelalbum sowie Livekonzert - von vornherein feststand,


"dass Beethovens Originalmusik und Improvisationen als Ausdruck heutiger Lesart, poptypisches Studioequipment und traditionelle Instrumente begegnen werden. Seit 35 Jahren musiziere ich intensiv im Bereich Classical Crossover. Deshalb ist eine Genre-Gegenüberstellung für mich nicht mehr interessant. Ich suche nach inhaltlichen Sujets und Themen, die sich in ihrer Umsetzung auf selbstverständliche Art und Weise der dafür notwendigen Stilistiken bedienen, egal, ob Klassik, Hiphop, Jazz, Pop oder freie Improvisation." (Quelle: Leika Kommunikation)



Bernd Ruf und der Kontrabassist Florian Galow (im Hintergrund)
Bildquelle: Booklet zur Doppel-CD Tosende Stille (GP Arts 202)

* *

Der unvoreingenommene und also progressive Hörer, welcher Beethovenmusik dann freilich auch gejazzt, verpopt und wie auch immer andersartig ausgestellt bzw. ausgelegt zu "ertragen" willens ist, wäre schlussendlich der Haupt-Adressat, dem jenes vorliegende Doppelalbum Tosende Stille (CD 1 enthält die 18 Beethoven-Bearbeitungen - CD 2, quasi als Hörbuch konzipiert, enthält den von Jonas Nay gesprochenen Text des sog. Heiligenstädter Testaments nebst einigen wenigen Musikstücken aus CD 1) aufs Inspirierendste gefallen und bereichern würde.

Danny Fresh, Florian Galow, Sophie Knockler, Bernd Konrad, Ilja Ruf sowie Fung Chern Hwei, Gregor Huebner, Ron Lawrence, Jeremy Harman (vom Sirius Quartet) versammelten sich, um mit ihrem Musikerkollegen Bernd Ruf die zwei CDs zu stemmen.

Bevorzugt wurden Beethovens Klaviersonaten op. 31 Nr. 2 (Sturm) und op. 109 sowie dessen Große Fuge op. 133 mehrfach bearbeitet, improvisiert. Doch auch die Hammerklavier-Sonate oder die 2. und die 7. Sinfonie oder Fidelio oder gar das supertraurige Gellert-Lied Vom Tode dienten als modifizierbare Steilvorlagen für die Musikerinnen und Musiker zu den von ihnen eingespielten Tracks.

Bewusst und noch bewusster Beethoven wiederzuhören - mittels dieser zwei CDs sollte das spielerisch gelingen.


Andre Sokolowski - 15. Februar 2023
ID 14048
TOSENDE STILLE | BEETHOVEN, HEILIGENSTÄDTER TESTAMENT
Musikalbum und Hörbuch von Bernd Ruf

Ausführende:
Jonas Nay (Rezitation)
Danny Fresh (Rap, Musik und Texte)
Bernd Konrad (Sopran-, Alt- und Baritonsaxophon, Bassklarinette)
Ilja Ruf (Musik, Texte, Arrangements, Gesang, Klavier und Klarinette
Sirius Quartet:
- Fung Chern Hwei, Violine
- Gregor Huebner, Violine
- Ron Lawrence, Viola
- Jeremy Harman, Cello

Florian Galow (Kontrabass)
Bernd Ruf (Sopransaxophon, Klarinette und Bassklarinette)
Sophie Knockler (Klarinette)
GP Arts 202 | VÖ: 17.02.2023


Weitere Infos siehe auch: https://www.berndruf.de/


https://www.andre-sokolowski.de

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