Impressionisten, Illusionisten
und eine coole Socke
Staatskapelle Berlin hebt DEEP TIME von Harrison Birtwistle aus der Taufe
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Bewertung:
Erinnern Sie sich noch daran, als Daniel Barenboim beim Silvesterkonzert 2001 Tico Tico in der Berliner Philharmonie dirigierte? Falls nicht: Youtube hilft gern auf die Sprünge. Die mitreißende Musik vom Zuckerhut fetzte im Luxussound durch alle Ohren und Beine, nur der Maestro stand einfach am Pult - und stand, und stand, und stand. Schlug ab und an einen einzelnen Takt, sparte an seiner für ihn typischen Gestik und setzte eine Miene auf wie einst Marlon Brando in Der Besessene. Harald Schmidt bastelte später einen ganzen Tico Tico-Abend daraus. Das muss man ihm einfach lassen: Barenboim hat in seinem kleinen Finger mehr Coolness als all seine jüngeren Berlin-Kollegen zusammen.
Und nun hat er es wieder getan: Gestern, im Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Wir sind beim letzten Programmpunkt angekommen, Maurice Ravels immergrüner Boléro. Die Querflöte legt los, Barenboim lehnt lässig an der Pultstange, es folgen Klarinette und Fagott sowie erste, zarte Orientierungshilfen von vorn. Die Posaune muss noch gecheflotst werden, doch als die 1. Violinen das Ruder übernehmen, hält sich Kapitän Barenboim für abkömmlich, steigt herab, sucht sich hinter dem Cello ein lauschiges Plätzchen und verabschiedet sich mit einem milden Lächeln ins Musikbett. Das bisschen Ravel-Haushalt macht die Staatskapelle Berlin von allein. Mit einem spanischen Tanzstück hat das Ganze wenig am Hut. Es klingt eher nach nobler, französischer Eleganz.
Der erste Teil war unspektakulär, beinah durchschnittlich. Deep Time von Harrison Birtwistle startet mit Grummeln und Knurren, als handle die Uraufführung von schrägen Typen in einer Hafenbar, in welcher zufällig Benjamin Britten vorbeischaut. Das Schlagwerk donnergrollt, das Xylophon klingelklöngelt, das Blech kräht dazwischen und man selbst zuckt mit den Schultern: Zeitgenössisches im Vintage-Look.
Danach versucht der glänzend aufspielende Denis Kozhukhin Sergej Rachmaninows 1. Klavierkonzert aus dem Schatten der beiden Nachfolger hervortreten zu lassen, was ihm letztlich nicht gelingt.
Dafür verzaubern einen die im Klangkörper verteilt platzierten Damen des Staatsopernchores mit ihrem irisierend schönen Sirenengesang. Überhaupt hebt bei Claude Debussys Trois Nocturnes der Abend ab, tupft Barenboim herrlich kobaltblaue Wolken in den ersten Satz. Aha! Melancholie kann er also auch.
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Heiko Schon - 7. Juni 2017 ID 10072
STAATSKAPELLE BERLIN (Konzerthaus Berlin, 06.06.2017)
Harrison Birtwistle: Deep Time (UA)
Sergej Rachmaninow: Klavierkonzert Nr. 1 fis-Moll op. 1
Claude Debussy: Trois Nocturnes
Maurice Ravel: Boléro
Denis Kozhukhin, Klavier
Damen des Staatsopernchores
(Choreinstudierung: Martin Wright)
Staatskapelle Berlin
Dirigent: Daniel Barenboim
Weitere Infos siehe auch: http://www.staatskapelle-berlin.de
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