Combattimento x 2
Zwischen Gebet und Tod oder: was hat eine Wrestler-Arena mit Monteverdi zu tun?
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Bildquelle: facebook.com/Neukoellneroper
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Bewertung:
Nach dem ersten Regieprojekt von HfM Hanns Eisler Berlin und der Neuköllner im Februar 2016, bei dem sich drei Regisseurinnen in je unterschiedlichen Produktionen mit der Zauberin Armida befasst hatten, fand an diesem Wochenende die zweite "Nacht der Talente" in der Neuköllner Oper statt. Auch dieses Jahr nach einem Epos von Torquato Tasso.
Combattimento x 2 ist das diesjährige Projekt von Tristan Braun (Trauma) und Marielle Sterra (Catch3000), beide aus dem Masterstudiengang Musiktheaterregie der HfM.
Braun und Sterra setzen sich auf ganz unterschiedliche Weise mit Claudio Monteverdis dramatischen, achten Madrigal nach Torquato Tassos Epos Das befreite Jerusalem auseinander, das wiederum als Grundlage für Monteverdis bahnbrechendes und richtungsweisendes Kriegsdrama Il combattimento di Tancredi e Clorinda herhielt. Das Madrigal-Drama wurde im Jahre 1624 während des Karnevals im Palast von Girolamo Mocenigo in Venedig uraufgeführt.
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I: Trauma:
Der traumatisierte, christliche Kreuzfahrer Tancredi (Georg Drake) wirft achtlos den leblosen Körper von Clorinda (Isabel Reinhard) auf die Bühne. Er kann es nicht glauben, dass er im Zweikampf seine als Krieger verkleidete Geliebte, die Sarazenin Clorinda, getötet hat. Er dreht, wendet und faltet sie zu Monteverdis schön-rasender Musik, er versucht sie wiederzubeleben, natürlich ohne Erfolg. Denn die Geschichte will ja, dass sie stirbt. Verzweifelt wickelt er sie in einen durchsichtigen Plastiksack, den schwarze Hände hinter den Vorhang ziehen - dieser öffnet sich, und ein minimales Feldlager kommt zum Vorschein.
Um sein Trauma zu verarbeiten, muss er in der Zeit zurückgehen und das Vorher und Nachher beleuchten. Clorinda steht nun einem Heer von wütenden Christen in Springerstiefeln, die ihr Christentum mit vor der Brust gekreuzten Hosenträgern zur Schau stellen, gegenüber, verliert den Kampf, will aber wenigstens das Paradies gewinnen und lässt sich – jedenfalls bei Tasso – kurz vor ihrem Tode noch schnell taufen.
Monteverdis Combattimento dauert nur knapp zwanzig sehr intensive Minuten. Braun hat deshalb weitere Monteverdi-Madrigale und eine Passacaille von Luigi Rossi eingebaut und verlegt die Geschichte kurzerhand ins Paradies, wo eine wütende Clorinda mindestens 1 kg Äpfel zum Tremolo und Pizzicato der Montevedi Musik zerquetscht.
Musikalisch ausgezeichnet begleitet vom Chiaroscuro Consort- Ensemble.
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II: Catch3000:
„Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke, wie Shawn im Matsch zu ihm 'I’m sorry, I love you' sagte und ihn dann unter Tränen pinnte.“ (Peter Nastke Special Guest)
Der Zeremonienmeister und Schiedsrichter verteilt beim Betreten der Arena Namensschilder. Wir nehmen unseren Platz ein und sehen uns nun gegenüber auf der Leinwand sitzen und werden somit zu Zuschauern der Zuschauer.
Beim Wrestling geht es um Schmerz, um Niederlage, um Mut und um Gerechtigkeit, offenbart die Managerin von Tancredi The Tank vor dem entscheidenden Match an.
Die Bühne ist nun eine Kampfarena, und dort spielt sich Marielle Sterras Combattimento ab. Hier geht es nicht nur um den Kampf zwischen Christen und Muslimen oder Griechen und Trojanern, hier geht es um den Kampf zwischen den Geschlechtern. Eine Kamera ist live dabei, begleitet Kämpfer und Aktion. Der Zeremonienmeister, Schiedsrichter und Erzähler Testo (Aciel Pol) brieft uns vor dem Gefecht und übt mit uns die Ahs, Ohs und Buhs! Unter christlicher Beweihräucherung und aufgestachelt von den Managern Schrappe (Dennis Depta) und Katchy (Kara Schröder) ziehen die Krieger Quicksilver (Eva Hüster) und The Tank (Felix Witzlau) mit furchterregenden Masken in die Manege, und wir halten euphorisch und jubelnd unsere Anfeuerungsplakate hoch. Der Kampf beginnt. Als Tancredi The Tank allerdings feststellt, dass es sich bei seinem Gegenüber um Clorinda Quicksilver handelt, gibt er auf und verlässt die Arena. Er will kein Trauma, wie wir es im ersten Teil erleben mussten.
Das darauf folgende Match wird von Achill und der Amazonenkönigin Penthesilea ausgetragen und wird eher ein Verbales. Die Managerin tritt frustriert ab, und der Schiedsrichter bedankt sich beim Publikum fürs Kommen. Hier wird es kein Blut mehr geben, aber dafür wohnen wir einem waschechtes Waterbording (stellvertretend für die Taufe) bei, aus dem schließlich Clorinda / Penthesilea als Siegerin hervortritt. Eine Glanzleistung von Felix Witzlau und Eva Hüster, die zwischen den kurzen Momenten, wo sie den Kopf gerade nicht im Wasser haben, aber den Kopf des Antagonisten dafür gerade reindrücken, immer noch schön singen oder rezitieren können.
Musikalisch begleitet durch La Flute mit Marinelle Dell’Eva am Cembalo.
Brillante Ideen die großartig umgesetzt und interpretiert wurden. Alle drei Abende waren übrigens ausverkauft!
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Catch3000 in der Neuköllner Oper | Foto (C) Christa Blenk
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Christa Blenk - 28. März 2017 ID 9941
TRAUMA | CATCH3000 (Neuköllner Oper, 26.03.2017)
I: Trauma
Regie: Tristan Braun
Bühne/Kostüme: Lydia Huller und Mariam Haas
Musikalische Leitung: Walewein Witten
Mit: Sarah Bouchet, Georg Drake, Florian Müncheberg, Konstantin Parnian, Isabel Reinhard und Caroline Schnitzer
Orchester Chiaroscuro Consort
II: Catch3000
Musikalische Leitung und Cembalo: Marinelle Dell’Eva
Regie: Marielle Sterra
Ausstattung/Kamera: Kim Scharnitzky
Sound: Martin Lutz
Dramaturgische Mitarbeit: Dennis Depta
Mit: Dennis Depta, Eva Hüster, Felix Witzlau, Aciel Martinez Pol und Kara Schröder
Special Guest: Peter Nastke
Premiere war am 24. März 2017.
Ein Regieprojekt von HfM Hanns Eisler und Neuköllner Oper
Weitere Infos siehe auch: https://neukoellneroper.de
Post an Christa Blenk
eborja.unblog.fr
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