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Premierenkritik

"Piff, paff,

puff"


DIE HUGENOTTEN
an der Deutschen Oper Berlin


Die Hugenotten an der Deutschen Oper Berlin | Foto (C) Bettina Stöß

Bewertung:    



In 1994 setzte der französische Film- und Theaterregisseur Patrice Chéreau Die Bartholomäusnacht sehr opulent und sehr gewalttätig in Szene - hierbei diente ihm der gleichnamige und zur damaligen Zeit als Bestseller gehandelte Abenteuerroman von Alexandre Dumas (Die drei Musketiere, Der Graf von Monte Christo) als Vorlage. Erinnere ich mich an ihre breitwandigen Bilder, fällt mir heute "nur noch" diese unverwechselbare Szene mit den subkutanen Blutungen des jungen Königs ein; aber den Rest des ominösen Horror-Schinkens hatte ich dann - mit Verlaub gesprochen - ganz und gar vergessen.

Die sog. Bartholomäusnacht "war ein Massaker an französischen Protestanten, den so genannten Hugenotten, das in der Nacht vom 23. zum 24. August 1572, dem Bartholomäustag, stattfand. Admiral Gaspard de Coligny und weitere Führer der französischen Protestanten wurden dabei auf Befehl der Königinmutter Katharina von Medici ermordet. Sie waren anlässlich der (vermeintlich der Versöhnung dienenden) Hochzeit des Protestanten Heinrich von Navarra (des späteren Königs Heinrich IV.) mit Katharinas Tochter Margarete von Valois in Paris versammelt. In der gleichen Nacht wurden in einem Pogrom weitere Tausende Pariser Protestanten und in den Folgetagen frankreichweit ermordet." (Quelle: Wikipedia)

Und als ob der in Berlin geborene jüdische Komponist Giacomo Meyerbeer (1791-1864) den ca. ein Jahrhundert nach seinem diesseitigen Verweilen auf der Erde sich ereignet habenden Holocaust "prophetisch" wahrgenommen haben könnte - ließ er in Les Huguenots (Die Hugenotten) einen der wohl größten Staatspogrome in der Weltgeschichte, und obzwar "nur" als Finale (aber immerhin), in sein im Jahre 1836 in Paris uraufgeführtes Opéra-spectacle einfließen...



Die Hugenotten an der Deutschen Oper Berlin | Foto (C) Bettina Stöß


Die Deutsche Oper Berlin setzte gestern Abend Die Hugenotten an die reihenfolgemäßige Position Nummer drei ihres so überehrgeizigen Meyerbeer-Zyklus; vorangegangen waren da bereits Dinorah (2014) und Vasco da Gama (2015). Die Chose dauerte von 17 bis 22:30 Uhr, fing mit kurzweilig-ironischem Geplänkel an und schleppte sich dann allerdings zunehmend langatmig wie hölzern hin; ja und das lag gewiss nicht ausschließlich am permanent gezeigten Holzdachstuhl einer womöglich protestantisch-hugenottisch einsammelnden "Unterkirche" in Paris (Bühne von Giles Cadle), sondern zuvörderst an dem unlesbaren Katastrophenstück (Libretto von Scribe, Rossi und Deschamps), an dem der Inszenierer David Alden [der mit Brittens Peter Grimes und Billy Budd ungleich erfolgreicher am selben Haus schon war] aufs Allerkläglichste zu scheitern sich entschloss - womöglich wuchs ihm dieser grauenhafte Handlungsfilz über dem Kopf zusammen, und er sagte sich vielleicht 'lasst mich in Ruhe mit der ganzen Sch...' oder so. Aber dass er dann reinweg nichts oder nichts weiter als wie "Piff, paff, puff" zum wahrlich aktuellen Topp-Bezug zur Gegenwart (Bartholomäusnacht als Sinnbild für die Niederschlachtung alles Dessen, was nicht fühlt und denkt und tut wie es der Niederschlachter will) zu sagen hatte, DAS verwunderte schon sehr. Und dafür wurde er dann auch zurecht und allerdeutlichst ausgebuht!!



Die Hugenotten an der Deutschen Oper Berlin | Foto (C) Bettina Stöß


So soll im Nachhinein bloß auf die musikalische Gesamtleistung eines unter dem Dirigat von Michele Mariotti hochvorzüglichst eingeschworenen Ensembles aus Orchester, Chören und Solisten abgehoben werden:

Sopranistin Patrizia Ciofi (Marguerite von Valois) meistert die von ihr abverlangte Koloraturenstrafarbeit, scheint also "in den Höhen" traumwandlerisch fit zu sein. Ihr anhaltendes Großengagement, was das betrifft, rächt sich dann allerdings, indem sie "etwas weiter unten", also in den Mittellagen, hörbar kränkelt.

Ihre Gegenspielerin Olesya Golovneva (Valentine) wirkt da etwas ausgeglichener. Freilich, ihre Partie ist auch nicht annähernd so sehr verunverschämt wie die von der Ciofi.

Irene Roberts (Urbain) kommt mit der Pagen-Hosenrolle bei der DOB-Gefolgschaft blendend an. Sie weiß also, wie man so etwas singt und auch, wie man sich hiermit zeigt.

Heldentenor des Abends ist Juan Diego Flórez (Raoul von Nangis), ja und auch er wird sicherlich von Glück zu reden haben, falls er seine mit zig Spitzentönen durchgespickte Mordspartie während der weiteren sechs Aufführungsabfolgen unbeschadet überstehen sollte.

Bassist Ante Jerkunica (Marcel) hinterlässt den nachhaltigsten Eindruck - stimmlich sowie mimisch. Er ist zwar "nur" als ein Diener seines Herrn besetzt, aber die Rolle wird durch ihn gewissermaßen aufgeadelt.

Die von Raymond Hughes einstudierten Chöre hauen Einen um und lassen den Verdacht aufkommen, dass der Meyerbeer mit seinen Hugenotten vorranginger Weise eine Choroper in Noten setzen wollte; was ihm so natürlich hochgenial gelungen war und ist!




Die Hugenotten an der Deutschen Oper Berlin | Foto (C) Bettina Stöß


Hätte auch gut als Staatsakt-Beilage zum Lutherjubiläum taugen können.

Großrespekt vor dieser schweißtreibenden Großtat.



Andre Sokolowski - 14. November 2016
ID 9684
DIE HUGENOTTEN (Deutsche Oper Berlin, 13.11.2016)
Musikalische Leitung: Michele Mariotti
Inszenierung: David Alden
Bühne: Giles Cadle
Kostüme: Constance Hoffman
Licht: Adam Silverman
Chöre: Raymond Hughes
Choreografie: Marcel Leemann
Dramaturgie: Jörg Königsdorf und Curt A. Roesler
Besetzung:
Marguerite von Valois ... Patrizia Ciofi
Graf von Saint-Bris ... Derek Welton
Graf von Nevers ... Marc Barrard
Valentine ... Olesya Golovneva
Urbain ... Irene Roberts
Tavannes / 1. Mönch ... Paul Kaufmann
Cossé ... Andrew Dickinson
Méru / 2. Mönch ... John Carpenter
Thoré / Maurevert ... Alexei Botnarciuc
de Retz / 3. Mönch ... Stephen Bronk
Raoul von Nangis ... Juan Diego Flórez
Marcel ... Ante Jerkunica
Bois-Rosé ... Robert Watson
Ein Nachtwächter ... Ben Wager
Zwei Hofdamen/Zwei katholische Mädchen ... Adriana Ferfezka und Abigail Levis
Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin
Premiere war am 13. November 2016
Weitere Termine: 17., 20., 23., 26., 29. 11. // 29. 1. / 4. 2. 2017


Weitere Infos siehe auch: http://www.deutscheoperberlin.de


http://www.andre-sokolowski.de

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