Herbert Fritsch macht sich am Schauspielhaus Zürich virtuos-komisch über die romantische Liedkunst her
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(C) Schauspielhaus Zürich
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Der österreichisch-slowenische Komponist und Musikkritiker Hugo Wolf (1860-1903) ist ein Bruder in Körper und im Geiste eines Franz Schubert, was von der Syphilis bis zum düster melancholischen Wesensart der Liedkompositionen reicht. Ein wenig Wahn war bei Wolf auch mit im Spiel. Das ist zunächst kein Grund, sich über den Spätromantiker und Wagnerianer zu erheben, der zu Lebzeiten ähnlich wie Schubert nicht viel galt, aber die gesamte Sehnsuchts- und Schmachtpallette der Dichtkunst deutscher Romantik von Goethe über Mörike, Eichendorff, Fallersleben und Heine bis zu Keller vertont hat. Das romantische Kunstlied ist nun im Kunstschredder von Dada-Wicht Herbert Fritsch, der sich am Geburtsort der sinnverneinenden Kunstvernichtung Zürich allen Ernstes fragt: Wer hat Angst vor Hugo Wolf?
Als Referenzen stecken da sowohl das bekannte Albee-Drama Wer hat Angst vor Virginia Woolf als auch das Skandal-Gemälde von Barnett Newman Who's afraid of red, yellow and blue, ein Hauptwerk des Abstrakten Expressionismus, auf dem die Primärfarben Rot, Gelb und Blau als monochrome Farbflächenvariation streifenartig nebeneinander angeordnet sind. Ähnliches hat man Wolfs Kompositionen vorgeworfen, die angeblich leitmotivisch aus der Variation einer einzigen musikalischen Phrase bestünden. Diese These greifen auch Herbert Fritsch und sein Musiker Carsten Meyer, unterstützt von der Berliner Sängerin Ruth Rosenfeld, für die Arrangements des Zürcher Liederabends auf.
Auf Fritschs Bühne kreiseln drei spiegelnde Farbwände in besagtem Rot, Gelb und Blau, die auch gegeneinander um die eigene Achse gedreht werden können. Eine gut illuminierte Showbühne, auf der noch ein schwarzer Flügel steht, den Pianist Carsten Meyer in Las-Vegas-Kostüm virtuos bedient. Das erinnert in den Farben auch ein wenig an Fritschs Dieter-Roth-Abend Murmel, Murmel an der Berliner Volksbühne. Fluxus und Dada halten sich hier aber in Grenzen zu Gunsten von sieben Damen mit wunderbaren Gesangsstimmen, die die Bühne zunächst in schwarzen Anzügen mit angeklebten Bärtchen ganz wie die Comedian Harmonists erobern und zu einer Ouvertüre mit Mörikes "Du bist Orplid, mein Land! / Das ferne leuchtet" ansetzen. Damit legen Hilke Altefrohne, Sofia Elena Borsani, Lisa-Katrina Mayer, Elisa Plüss, Anne Ratte-Polle, Ruth Rosenfeld und Carol Schuler gleich zu Beginn das schöne, große Pathos frisch ironisierend frei.
Sieben singende Frauen und ein böser Wolf, eine ebenso romantische Märchen-Assoziation wie Steilvorlage für Fritschs witzige Blödeleien. Und gemäß Goethes Diktum des ewig Weiblichen übernehmen sie die Regie und geben sie bis auf kurze Momente, in denen Carsten Meyer seinen Flügel mit Jazzbesen bearbeitet, nicht wieder aus der Hand. Neben der modern arrangierten Musik des Komponisten Wolf sind ein weiteres bestimmendes Element die (wie immer bei Fritsch) absurden, slapstickartigen Choreografien, die sich im Wechsel der Kostüme, Lichter und Schatten um die drei Wände drehen.
Fritsch dekonstruiert wahnwitzig Text und Musik, indem er Mörikes Selbstgeständnis "Ich bin meiner Mutter einzig Kind" im sich überschlagenden Schnellsprech aufsagen lässt, eine Gruppe Geishas in Fantasiekimonos zu "Ich esse nun mein Brot nicht trocken mehr" aus dem Italienischen Liederbuch performen, oder Mörikes "Frühling lässt sein blaues Band" mit Marschmusik unterlegt wird.
"Wandern lieb ich für mein Leben" von Eichendorff ergeht es nicht viel anders als "Ein Stündlein wohl vor Tag" von Mörike oder gar Goethes "Prinz Pipi". Sie werden durch den Fritsch’schen Lieder-Wolf gedreht. "So la la! Le ralla!“ Und auch der potentielle Rezensent bekommt sein Fett ab, wenn er von Anne Ratte-Polle mit Mörikes Abschied verbal rasch die Treppe hinab gegangen wird.
Die sieben Damen in abgestuften Komplementärfarb-Kostümen lassen nichts aus, um die Hör- und Sehgewohnheit des Bildungsbürgers zu verunsichern. Dass das nur bedingt gelingt, liegt sicher an der grandios perfekten Darbietung, die 90 Minuten bestens unterhält, aber auch etwas zu sehr nur schöne Oberfläche bleibt. Wenn die Sieben immer wieder unermüdlich das Erschrecken voreinander variieren, um die sich drehenden Wände hasten und am Ende wie Minz und Maunz warnend die Hände erheben, so lässt sich das Publikum nicht von einem "Laß, o Welt, o laß mich sein!" beirren, und will unbedingt mehr davon. Zugabe gab‘s sofort bei der typischen Applausordnung.
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Das ist der originale Hugo Wolf, nach einer Photographie radiert von Ferdinand Schmutzer (1921) | Bildquelle: Wikipedia
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Stefan Bock - 8. Mai 2016 ID 9304
WER HAT ANGST VOR HUGO WOLF? (Pfauen, 06.05.2016)
Regie und Bühne: Herbert Fritsch
Kostüme: Bettina Helmi
Musikalische Leitung: Carsten Meyer und Ruth Rosenfeld
Dramaturgie: Amely Joana Hag
Mit: Hilke Altefrohne, Sofia Elena Borsani, Lisa-Katrina Mayer, Carsten Meyer, Elisa Plüss, Anne Ratte-Polle, Ruth Rosenfeld und Carol Schuler
Uraufführung am Schauspielhaus Zürich war am 23. April 2016
Weitere Termine: 8., 10., 18., 25., 31. 5. / 7., 23., 24., 30. 6. 2016
Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspielhaus.ch
Post an Stefan Bock
blog.theater-nachtgedanken.de
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