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Premierenkritik

Wie man

sich bettet

AUFSTIEG UND FALL DER STADT MAHAGONNY


Bewertung:    



Video gehört mittlerweile mit der gleichen Selbstverständlichkeit zu Theater und Oper wie das Licht oder die Drehbühne. Eine kommende Generation wird sich ein Theater, so sie es noch besucht, ohne Video wohl ebenso wenig vorstellen können wie eine Kommunikation ohne Smartphone. Nicht das Ob also gilt es zu diskutieren, sondern das Wie.

Ivo van Hove benutzt die überdimensionierte Videowand, die außer dem funktionalen Podium, das sie überragt, das Bühnenbild ausmacht – später kommen drei große Windmaschinen als Ersatz für den Hurrikan hinzu –, zunächst, um den Zuschauern auch in den obersten Rängen des Grand Théâtre de Provence beim Festival in Aix-en-Provence die Gesichter der Darstellerinnen und Darsteller und deren Mimik zugänglich zu machen.

Im weiteren Verlauf werden mittels Greenscreen Hintergründe – eine Restaurantküche, eine ihren Po zur Verfügung stellende Prostituierte – für die auf der Bühne gespielten Szenen eingeblendet. Alaskawolf-Joe kämpft gegen einen unsichtbaren Gegner, weil Dreieinigkeitsmoses einen grünen Ganzkörperanzug trägt und so aus dem Filmbild gefiltert wird. Zu dem berühmten Duett über die Kraniche, die seit kurzem beisammen sind und sich bald trennen werden, sieht man ebensolche in Zeitlupe und Negativfilm, wie aus einer chinesischen Tuschzeichnung.

Ansonsten verzichtet van Hove auf Bühnenmätzchen. Seine Regie konzentriert sich auf die Personenführung, insbesondere des Chores, der in Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny fast ständig präsent und von zentraler Bedeutung ist. Ein paar witzige Details kommen hinzu. Wenn der Kitsch des Gebets einer Jungfrau mit dem Satz „Das ist die ewige Kunst“ veräppelt wird, fügt van Hove die Großaufnahme einer Schneekugel hinzu.

Der Premierenapplaus war fast einhellig. Besonders gefielen Nikolai Schukoff als Jim Mahoney, der in einer späteren Fassung Paule Ackermann heißt, die auch schauspielerisch hochbegabte Annette Dasch als die Hure Jenny, die weiß, dass man so liegt, wie man sich bettet, und Karita Mattila als die geschäftstüchtige Witwe Begbick. Den stärksten Beifall aber erhielt zu Recht das Londoner Philharmonia Orchestra mit seinem Leiter Esa-Pekka Salonen. Er verlieh der Partitur von Kurt Weill präzise Konturen und profilierte die einzelnen Instrumentalstimmen, die dem nach wie vor in seiner sprachlichen Schönheit faszinierenden Libretto von Bertolt Brecht kongenial entsprechen. Veraltet? So veraltet wie die Parabel von einer Gesellschaft, in der der Mangel an Geld das größte Verbrechen ist.




Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny beim Festival d'Aix-en-Provence 2019 | Foto (C) Pascal Victor

Thomas Rothschild - 7. Juli 2019
ID 11551
AUFSTIEG UND FALL DER STADT MAHAGONNY (Grand Théâtre de Provence, 06.07.2019)
Musikalische Leitung: Esa-Pekka Salonen
Inszenierung: Ivo van Hove
Bühne und Licht: Jan Versweyveld
Kostüme: Ein d'Huys
Video: Tal Yarden
Dramaturgie: Koen Tachelet
Besetzung:
Leokadja Begbick ... Karita Mattila
Fatty, der "Prokurist" ... Alan Oke
Dreieinigkeitmoses ... Sir Willard White
Jenny Hill ... Annette Dasch
Jim Mahoney ... Nikolai Schukoff
Jack O'Brien / Tobby Higgins ... Sean Panikkar
Bill, genannt Sparbüchsenbill ... Thomas Oliemans
Joe, genannt Alaskawoljoe ... Peixin Chen
u.v.a.
Chor Pygmalion
(Choreinstudierung: Richard Wilberforce)
Philharmonia Orchestra
Premiere beim Festival d’Aix-en-Provence war am 6. Juli 2019.
Weitere Termine: 09., 11., 15.07.2019
Koproduktion mit der Niederländischen Nationaloper, der Metropolitan Opera New York, dem Opernballett Vlaanderen Antwerpen und Les Théâtres de la Ville de Luxembourg


Weitere Infos siehe auch: https://festival-aix.com


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