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Konzertbericht

Baltische Musik

Chorkonzert mit dem SWR Vokalensemble


Bewertung:    



Die Luft vibrierte in der romanischen Basilika des Klosters Maria Laach. Das SWR Vokalensemble trug hier mit geradezu ergreifender Stimmgewalt eine kontrastreiche Kompositionsauswahl vor. Mehrstimmige und im Gesamtklang nichtsdestotrotz oft erstaunlich einheitliche Harmonien ließen aufhorchen. Unter der Leitung des englischen Chefdirigenten Marcus Creed erkundete der 36köpfige Chor Komponisten aus Estland, Lettland und Litauen. Das Konzert Der Klang des Nordens wurde im Rahmen des Festivals RheinVokal veranstaltet, das sich an ausgewählten Orten am Mittelrhein unterschiedlichen Facetten der Vokalmusik widmet.

*

Es begann archaisch mit orchestralen Stimmungsbildern der lettischen Komponistin Maija Einfelde. Mit ihren drei zeitgenössischen Kompositionen Vakars (Abend), Lugsana (Gebet) und Debess (Himmel) vertonte sie drei neuromantische Gedichte ihres Landsmanns Fricis Bārda. Naturphänomene wie die Tiefe des Himmels analog zur Tiefe der Meere, die Dunkelheit oder die Erde wurde facettenreich und nuanciert in chorische Klänge übertragen. Es folgte ein rhythmisch und melodisch anspruchsvoller Canon Solus für vier gleiche Stimmen vom litauischen Komponisten Rytis Mažulis. Die Sopranistinnen Lisa Rothländer, Dorothea Jakob, Johanna Zimmer und Wiebke Wighardt taten sich hier zusammen mit den Tenören Julius Pfeifer, Johannes Kalechke, Rüdiger Linn und Daniel Schreiber als Solisten hervor. Stimmpaare imitierten einander und variierten so das kompositorische Kanonthema.

Ein bewegender Höhepunkt des Konzertes war danach die zwölfstimmig im gemischten Chor vorgetragene Ballade Litene von Pēteris Vasks. Das expressiv-eindringliche Stück war zugleich auch eines der längsten Stücke des Abends. Litene erzählt nach Gedichten Uldis Bērziņš von einem gleichnamigen lettischen Dorf um 1941. Damals wurden landeseigene Offiziere vor Ort von sowjetischen Truppen teilweise deportiert oder erschossen. Vielstimmige Klänge flimmern ungeordnet auf. Gemeinsame Glissandi, Summen und Pfeifen kontrastieren mit ungeordnetem Sprechgesang. Extrem hohe Töne treten neben extrem tiefe. Langsam vibrierende Muster und unter der Oberfläche sich leise akzentuierende Aufschreie künden von drohender Gefahr. Vasks erhielt übrigens 1993 für seine anspruchsvolle Chorballade den Großen Musikpreis Lettlands.

Als nächstes widmet sich das SWR Vokalensemble dem 41jährigen lettischen Komponisten Andris Dzenītis. Dieser vertonte achtstimmig Verse des amerikanischen Dichters E.E. Cummings. Während der Vorführung seiner vier Madrigale stechen die Sopranistin Johanna Zimmer, die Altistinnen Stefanie Blumenschein und Wiebke Wighardt, die Tenöre Hubert Mayer und Julius Pfeifer und Bassstimme Mikhail Nikiforov mit kurzen Solos hervor. Verteilte Stimmgruppen und Kontrapunkte erzeugten Spannung im rhythmischen Gleichschritt des Gesangsvortrages. Insbesondere der dritte und längste Madrigal „may I…“ lud zum Schmunzeln ein, da er unverhohlen in allen Facetten und gesanglich in wechselnden Konstellationen andächtig und zärtlich einen Beischlaf akzentuierte...

Mit der Vorführung der zwölfstimmigen Komposition Plonge (frz. „plonger“ = tauchen) folgte ein weiterer Höhepunkt des Abends. Die junge litauische Komponistin Justé Janulyté erschuf ein monochromes Klangbild nach dem ersten Verspaar des Gedichtes „L’avertisseur“ (dt.: Der Mahner) aus Charles Baudelaires Fleurs du Mal. Das SWR Vokalensemble zerdehnte das Lautmaterial in einem stufenweise sinkenden, träge dahinfließenden Tongefälle. Begleitet wurde der Chor während der Performance von Severine Ballon am Violoncello. Ballon komponierte übrigens selbst die Originalmusik für den Kinofilm Der Ornithologe.

Abgeschlossen wurde der Konzertabend mit der jubelnden Kantate Dopo la vittoria (dt.: Nach dem Sieg) des bekannten estnischen Komponisten Arvo Pärt. Seine Auftragskomposition wurde 1997 anlässlich des 1600. Todestags des heiligen Ambrosius in Mailand uraufgeführt. Der Text der Kantate behandelt den endgültigen Sieg über die Arianer und die Entstehung des Hymnus Te Deum laudamus. Stimmgruppen wechselten mit Einzelstimmen. Auch diesmal traten Solisten hervor, so die Sopranistin Wakako Nakaso, die Altistinnen Sabine Czinczel und Judith Hilger und die Bassstimmen Mikhail Nikiforov und Mikhail Shashkov. Die komplexe, oft minimalistische Harmoniesprache wurde durch Dynamik, Tempi, den Sprachrhythmus und eine diatonische Melodiestimme getrieben. Klangbilder veränderten sich langsam. Meditative Momente des Gesanges wurden präsent, etwa wenn Sopran- und Altstimmen in den Vordergrund traten, um dann wieder von Bass und Tenorstimmen abgelöst wurden. Schließlich mündete der Gesang in ein mehrstimmiges und bewegtes Finale.



Das SWR Vokalensemble in der Abtei Maria Laach | Foto © Ansgar Skoda


Ein insgesamt sehr vielstimmiger, poetischer und klangfarbenreicher Abend, der dem begeisterten Publikum baltische Chorkompositionen eindrücklich näher brachte. Das Konzert fand in der fast 1000 Jahre alten romanischen Basilika einen würdigen Aufführungsort, der für den Chor ganz besondere akustische Möglichkeiten bot. Eher unangenehm aufgefallen sind die an den Säulen im Kircheninnenraum permanent angebrachten Monitore, die den Raumeindruck doch sehr störten und zudem in der Live-Wiedergabe die oberste, vierte Reihe des Chores abgeschnitten hatte. Erwähnenswert sind auch die Basaltwände in dem aus Vulkangestein errichteten Kirchenraum, die leider bei einer Restaurierung in den 80er Jahren basaltsteinfarben angestrichen wurden. Dadurch ging der Eindruck eines über Jahrhunderte genutzten Raumes etwas verloren.


Ansgar Skoda - 25. Juli 2019
ID 11586
Das Konzert mit dem SWR Vokalensemble wurde aus der Abtei Maria Laach zeitversetzt live im SWR2 übertragen.

Weitere Infos siehe auch: https://www.rheinvokal.de


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