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Konzertkritik

Brauttanz der

Flickenkönigin



Meret Becker im Forum Leverkusen | Foto © Ansgar Skoda

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Sie sei wie ein Streuner, möchte gerne Neues ausprobieren und ihre Neugierde befriedigen. So begründete Meret Becker vor einigen Wochen, dass sie 2022 ihre Rolle der Kriminalhauptkommissarin Nina Rubin im Berliner Tatort aufgeben werde.

Von einer unstillbaren Sehnsucht, neuen Aufbrüchen und einer Flucht ins Ungewisse handeln auch viele ihrer Songs. Die 50jährige Schauspielerin, Sängerin und Komponistin erzählt in ihren Konzeptalben wie Deins & Done (2014) auf unnachahmliche Weise vom Zirkusleben, von Reisen, vom Fremdsein oder vom Dazugehören. Am 5. Juni stellte die Künstlerin mit ihrer sich angenehm im Hintergrund haltenden fünfköpfigen Band The Tiny Teeth im Leverkusener Forum ihr aktuelles Bühnenprogramm Le Grand Ordinaire vor.

Wie ein Schwan betritt Meret Becker mit einem weißen Schleier-, Rüschen- und Tüllkleid die Bühne. Sie kauert sich nieder und singt sphärisch: „Was ich habe, will ich nicht verlieren. Aber wo ich bin, will ich nicht bleiben.“ Mal mit zart gehauchten Timbre, mal frech und temperamentvoll lauter werdend, erzählt Becker von Vergänglichkeit und Freiheit. Die Collage musikalischer Bilder birgt melancholisch-traurige und nostalgisch-poetische Momente. Songs wie „Gläsernes Gesicht“ oder „Zirkus“ aus ihrem Album Fragiles (2001) präsentiert Becker mit kokettem Augenaufschlag. Sie säuselt oder röhrt, mal einen verletzlichen Clown oder mal eine verlassene Braut mimend.

Becker covert den Klassiker „La Vie En Rose“, begleitet von klingenden Weingläsern. Theatralisch hält sie dabei eine Zigarette in der einen Hand. In der anderen Hand führt sie einen Luftballonmops, der beim Refrain wiederholt in die Luft geschleudert wird. Bald genehmigt sie sich Schlucke aus einer Spirituosenflasche, um die Melodie zu gurgeln. Das gebannte Publikum im bestuhlten Saal darf auch eine packende akrobatische Performance bestaunen. Becker klettert so in einen in drei Meter Höhe hängenden, freischwingenden Reifen. Sie vollführt mit gespannten Körper und gekonnter Balance elegant abspreizende Bewegungen. Hierbei singt sie volltönend die Melodie zu einem Song, bei dem es auch um das Schweben der Dinge geht. Ein anderes Mal bringt sie zu rhythmischer Musik ihrer Band drei Paletten Eier auf die Bühne. Zu Fagott-Klängen vollführt sie nun behutsam mit zwei rotbeschuhte Plastikbeinen einen Parcours über die Eier.

Becker kann sich hier auf das farbenreiche, auch in improvisiert wirkenden Momenten harmonische Zusammenspiel ihrer Band verlassen. Die Herren von The Tiny Teeth sind nicht nur gesanglich bei einigen Songs gefordert. Buddy Sacher, langjähriger Bandkollege und Co-Komponist vieler Songs der Künstlerin, betätigt sich auch an zahlreichen Saiteninstrumenten. Dirk Peter Kölsch befeuert das Schlagzeug und Uwe Langer die Blasinstrumente. Pianist Ben Jeger bespielt geradezu kolossal das Akkordeon und die Glasharfe (befüllte Weingläser). Peter Wilmanns betätigt sich an Schnabelinstrumenten wie Klarinette und Saxophon, die Becker bei der Bandvorstellung liebevoll Enteninstrumente tauft. Eine kleine Theatereinlage, wenn Wilmanns sich dieser Wortneuschöpfung sichtlich entrüstet erwehrt.

Die Ausnahmekünstlerin Meret Becker reiht sich immer wieder in das Orchester ihrer Band ein, wenn sie Saxophon spielt, oder an der singenden Säge oder der Glasharfe musiziert. Es darf auch mal scheppern, ächzen, knarzen und fiepen. Auch eine Spieldose, Brummkreisel, Tröten, Ratschen, Scherben und Rasseln kommen während der Performance zum Einsatz. Becker meint keck lachend, irgendjemand habe mal gesagt, „Ordnung ist das halbe Leben“. Sie sei das ganz sicher nicht gewesen.

Das Konzert ist zugleich immer auch ein großes Schauspiel. Die Stieftochter des Schauspielers Otto Sander verabschiedet sich bei der letzten Zugabe herzlich mit dem Trinklied aus ihrem letzten Album Deins & Done. Dieses Lied hätte ihr Bruder, der Schauspieler Ben Becker, zusammen mit Harald Juhnke nah am Leben gedichtet: „Die Fahne flattert uns aus dem Gesicht“. Zu guter Letzt leert sie eine ganze Flasche Bier in einem einzigen Zug, um danach auszurufen: „In meiner Familie eine Frage der Ehre!“ Wie vielleicht jedes bessere Varieté oder Cabaret regt das ohne Pause dargebotene Konzert zum Staunen, Lachen und Träumen an, ohne das zwingend ein roter Faden erkennbar wird.



Meret Becker & the tiny Teeth im Forum in Leverkusen beim Abschlussapplaus | Foto © Ansgar Skoda

Ansgar Skoda - 8. Juni 2019
ID 11481
MERET & THE TINY TEETH: LE GRAND ORDINAIRE (Kulturstadt Leverkusen Forum, 05.06.2019)

Meret Becker (Gesang, Säge, Homophone)
The Tiny Teeth:
Ben Jeger (Glasharfe, Piano, Akkordeon)
Buddy Sacher (Gitarre, Banjo, Mandoline)
Peter Wilmanns (Saxophone, Klarinette, Bassklarinette)
Uwe Langer (Trompete, Tuba, Posaune, Euphonium)
Dirk Peter Kölsch (Schlagzeug)

Tourneedaten:
21.11. | Bad Homburg, Kurtheater
22.11. | Fulda, Schlosstheater
23.11. | Suhl, Provinzschrei
24.11. | München, Volkstheater
26.11. | Leipzig, UT – Connewitz
28.11. | Düsseldorf, Capitol Club
29.11. | Reutlingen, Kulturzentrum franz.K
30.11. | Innsbruck, Treibhaus Innsbruck (Österreich)


Weitere Infos siehe auch: http://www.meretbecker.de/


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