Wenn die Liebe auf der Strecke bleibt
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Jan Rekeszus als Tony in West Side Story an der Oper Bonn | Foto © Thilo Beu
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Bewertung:
Können fahrende Bahnwaggons zum rechtsfreien Raum werden? Passionierte U-Bahn-Fahrer erleben zuweilen Erstaunliches während ihrer Kurztrips. Da gibt es Ausfälle, Verspätungen, überfüllte Züge, Falschansagen, böses Blut und viele unflätige Fahrgäste. Regisseur Eric Petersen erzählt Leonard Bernsteins Musical West Side Story von 1957 an der Oper Bonn in einer S-Bahn-Untergrundstation mit provokanten Gewaltszenen. Für allerlei bewegende Beweglichkeit und belebende Begegnungen ist somit gesorgt. Deutsche Dialoge werden durch englischsprachige Songs unterbrochen, in die sich meist sehenswerte Tanzchoreographien einfügen. Aus technischen Gründen fehlen Übertitel der englischsprachigen Songs, von denen aber bereits viele Klassiker bekannt sind, wie „Somewhere“, „Tonight“, „Maria“ oder „America“. Das groß besetzte Beethoven Orchester Bonn meistert die Partitur ganz bravourös und setzt rhythmische Akzente.
Clan-Kriminalität und Bandenkultur gibt es auch unter heutigen Jugendlichen insbesondere in Ballungsgebieten. Zwei Gangs, die „Jets“ und die puerto-ricanischen „Sharks“, rivalisieren um den Stammplatz an der umkämpften Untergrundhaltestelle. Beim abendlichen Tanz entbrennen auch Gefühle, welche die aggressive Gruppendynamik herausfordert. Tony, Mitglied der Jets, verliebt sich in Maria, die Schwester des gegnerischen Anführers Bernardo. Auch Maria verfällt dem jungen Amerikaner während eines Tanzabends Hals über Kopf. Beide kommen aus Einwandererfamilien; er aus Polen, sie aus Puerto Rico. Angesichts der Feindseligkeiten scheint ihre Liebe zum Scheitern verurteilt. Konflikte und Attacken werden durch spannungsvoll choreographierte Tänze veranschaulicht. Der Polizeibeamte Krupke (Stefan Viering) und der Sozialarbeiter Schrank (Daniel Berger) wirken deplatziert und wie Fremdkörper im leidenschaftlichen Geschehen um die beiden jungen Gangs. Längst haben sie es resigniert aufgegeben, für Ordnung sorgen zu wollen.
Dirk Hofackers Bühnenbild zeigt eine U-Bahn-Station, in der ein ständiges Kommen und Gehen herrscht. Die Darsteller spielen hier auf drei Ebenen. Die Schneiderwerkstatt, in der Maria beschäftigt ist, liegt im zweiten Stock, Tony arbeitet im Zeitungskiosk auf der Höhe des Bahnsteigs. Schnelle Szenenwechsel werden durch im Hinter- oder Vordergrund einfahrende U-Bahn-Wagen ermöglicht. Später wird eine Hausfassade mit Marias Fenster herabgelassen, vor der Tony sie anschmachten kann. Die großen Tanzszenen der Gangs sind rasant und präzise choreographiert. Einige Tänzer stechen auch mit einem individuellen Repertoire an Gesten hervor. Insbesondere die beiden Bandenchefs, Lucas Baier als Riff und Andreas Wolfram als Bernardo, beeindrucken durch tänzerisch-akrobatische und schauspielerische Präsenz. Den nachhaltigsten gesanglichen Eindruck hinterlässt Jan Rekeszus in der Rolle des Tony. Mit lyrischem tenoralem Glanz lässt er schon bei seinem sehnsüchtigen Auftritts-Song „Something's Coming" aufhorchen. Auch die gebürtige Albanerin Dorina Garuci macht als Anita eine gute Figur. Marie Heeschen – langjähriges Ensemblemitglied an der Oper Bonn – interpretiert die Maria mit klarem, sanftem und strahlendem Sopran.
Ein packender Musical-Sound, eine behutsam Inszenierung und insbesondere die kraftvollen Choreographien mit einer tänzerischen Spitzentruppe lassen Bernsteins Broadway Meisterwerk weitestgehend originaltreu wieder aufleben.
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West Side Story an der Oper Bonn | Foto © Thilo Beu
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Ansgar Skoda - 24. September 2019 ID 11697
WEST SIDE STORY (Opernhaus Bonn, 19.09.2019)
Musikalische Leitung: Daniel Johannes Mayr
Inszenierung: Erik Petersen
Ausstattung: Dirk Hofacker
Licht: Thomas Roscher
Choreografie: Sabine Arthold
Soundddesign: Stephan Mauel
Mit: Lucas Baier, Jan Rekeszus, Roy Goldman, Rico Salathe, Paul Csitkovics, Arvid Assarsson, Denis Edelmann, Robert Lankester, Roberto Junior, Beatrice Reece, Karina Kettenis, Martina Vinazza, Marina Petkov, Sybille Lambrich, Andreas Wolfram, Marie Heeschen, Dorina Garuci, Reginald Holden Jennings, Domenico Poziello, Javier Ojeda Hernandez, Romeo Salazar, Diego Federico, Kara Kemeny, Samantha Marie Senn, Michelle Saget, Marta Calandrino, Sharon Isabell Rupa, Josef Michael Linnek, Daniel Berger und Stefan Viering
Statisterie des Theater Bonn
Beethoven Orchester Bonn
Premiere war am 15. September 2019.
Weitere Termine: 29.09./ 03., 05., 09., 13., 25.10./ 03., 08., 17., 26.11./ 08., 31.12.2019// 02., 17.01./ 26.03./ 13., 18., 24., 26., 28.04./ 21.05./ 01., 11., 14., 21.06.2020
Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de/
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