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Premierenkritik

Über das

"ent-ichtete"

Ende eines

Ungläubigen

DER STURZ DES ANTICHRIST
von Viktor Ullmann


Der Sturn des Antichrist von Viktor Ullmann an der Oper Leipzig | Foto (C) Kirsten Nijhof

Bewertung:    



Der im österreichisch-ungarischen Teschen (Cieszyn) geborene Komponist Viktor Ullmann (1898-1944) wurde aufgrund seiner jüdischen Abstammung im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau vergast, bei seiner Ermordung durch die Nazis war er gerade mal 46 Jahre jung.

Zu seinen bekanntesten Werken gehört Der Kaiser von Atlantis (1942) - im KZ Theresienstadt, zwei Jahre bevor er von da nach Auschwitz deportiert wurde, entstanden; "er" zählt zu den sog. Theresienstädter Werken, einem Kanon von ungefähr zwei Dutzend und von ihrer Besetzung her unterschiedlich großer Kompositionen, die Ullmann während seiner zweijährigen Internierung dort in Noten zu setzen in der Lage war.



Zur Erklärung: "Nach der Wannseekonferenz wurden seit 1942 in das Lager auch alte oder als prominent geltende Juden aus Deutschland und anderen besetzten europäischen Ländern deportiert. In der NS-Propaganda im Deutschen Reich wurde Theresienstadt zum 'Altersghetto' verklärt und während einer kurzen Phase als angebliche 'jüdische Mustersiedlung' verschiedenen ausländischen Besuchern vorgeführt." (Quelle: Wikipedia)


Ullmanns kompositorisches Oevre davor, also vor 1942, umfasst die sog. Prager Werke und wurde von ihm selbst mit den Opuszahlen von 1 bis 41 beziffert. Sein musikdramatisches Hauptwerk Der Sturz des Antichrist (1934/35) - eine zweistündige Oper gewaltigen Ausmaßes, v.a. hinsichtlich des Orchesterapparates - trägt die schlichte Opuszahl 9 und wurde erst nach 50 Jahren am Opernhaus Bielefeld welturaufgeführt; danach gab es noch zwei weitere Produktionen in Hof (2007) und in Olomouc (2014). Am vergangenen Samstag feierte die bisher erst vierte Inszenierung des besagten Werkes an der Oper Leipzig ihre bejubelte Premiere:


"Ein Techniker, ein Priester und ein Künstler sind in der Gewalt eines Alleinherrschers, der ihre Dienste zur Befriedigung seiner Allmachtsfantasien einfordert. Mit Hilfe seiner drei Gefangenen möchte er sich die Erde untertan machen. Der Techniker soll durch den Bau einer Raumkapsel die Gesetze der Schwerkraft überwinden, der Priester durch die Verwandlung von Steinen in Brot den Hunger der Massen stillen, der Künstler schließlich einen Hymnus auf den Regenten verfassen. Während Techniker und Priester vor ihren Aufgaben versagen, verweigert sich der Dichter. Im Kerker schöpft er in der Zwiesprache mit einem greisen Wärter neue Kraft für seinen Widerstand gegen die Unvernunft seines Widersachers. Schließlich stürzt sich der Diktator in seinem Größenwahn selbst in die Tiefen." (Quelle: oper-leipzig.de)



Der Sturn des Antichrist von Viktor Ullmann an der Oper Leipzig | Foto (C) Kirsten Nijhof


Das Stück - analog der gleichnamigen "dramatischen Skizze" von Albert Steffen (1928), einem der wichtigsten Apologeten der Rudolf Steiner'schen Anthroposophie [bitte sich woanders näher zu informieren, um was es sich bei dieser Weltanschauung handelt] - hat eine gewisse spirituell-esoterische Lastigkeit, weswegen es womöglich auch, bis heute, nicht so ohne Weiteres ins abrufbare Repertoire von mehr als einem halben Dutzend Opernhäusern Einzug halten konnte.

Umso beglückender die willentliche Entschlossenheit und künstlerische Tatkraft, die dem mehr als wundersamen Ullmann-Opus jetzt zuteil wurde; Matthias Foremny dirigierte das in puncto Spätromantik (denn so etwa klingt der Antichrist, trotz dass er in der Zeit entstand, wo Schönberg längst mit seiner Zwölftontechnik völlig neue Maßstäbe im zeitgenössischen Musikschaffen gesetzt hat) allerbestens brauchbare Gewandhausorchester, der ungarische Regisseur Balázs Kovalik (Frau ohne Schatten, 2014; Turandot, 2016) führte Regie, der Kostüm- und Bühnenbildner Stephan Mannteuffel besorgte die Gesamtausstattung unter besonderer Ausnutzung einer fast die gesamte Bühnenhydraulik beanspruchenden Maschinerie des Hauses (!!!), und Videokünstler Valerio Figuccio zeigte zum einen schöne Nahaufnahmen der Gesichter von über den Tod und übers Leben monologisierenden Frauen und Männern, zum anderen gewaltige Schaufelradbagger, die er in den Braunkohltagebauen der Lausitz oder des Mitteldeutschen Reviers oder anderswo gefilmt haben mag; das sah schon alles sehr, sehr imposant aus.

*

Die sängerische als wie schauspielernde Hauptlast stemmte Thomas Mohr (= Der Regent); bulldozernd-aggressiv im Auftritt, beißend und zugleich sehr "klar und deutlich" in der Artikulation und insgesamten Wahrnehmung - halt als der Antichrist an sich; er tat sich bei der Generalprobe verletzen und musste daher linksseitig und vom Rollstuhl aus seinen vom Stimmlichen her geradezu halsbrecherischen Part zum Besten geben - das gelang ihm aufs Bewundernswerteste!!

Seine drei "milden" Gegenspieler hatten es da etwas schwerer; allenthalben fiel bei diesem Trio noch Kay Stiefermann (= Der Techniker) besonders aus der Rolle, während Stephan Rügamer (= Der Künstler) und vielmehr noch Dan Karlström (= Der Priester) starke Mühen hatten, gegen das Orchester anzusingen.

Hochbegnadet, auch allein schon wegen seiner unverwechselbaren tiefen Bassstimme, Sebastian Pilgrim (= Der Wärter)!

Alles in allem:

Großereignishaft.


Andre Sokolowski - 26. September 2021
ID 13168
DER STURZ DES ANTICHRIST (Oper Leipzig, 25.09.2021)
Musikalische Leitung: Matthias Foremny
Inszenierung: Balázs Kovalik
Bühne und Kostüme: Stephan Mannteuffel
Video: Valerio Figuccio
Licht: Michael Röger
Choreinstudierung: Alexander Stessin
Besetzung:
Der Regent / Dämon des Regenten ... Thomas Mohr
Der Priester / Der unvollkommene Engel ... Dan Karlström
Der Techniker / Das Gespenst des Technikers ... Kay Stiefermann
Der Künstler ... Stephan Rügamer
Der Wärter / Greis ... Sebastian Pilgrim
Ausrufer ... Martin Petzold
Chor der Oper Leipzig
Gewandhausorchester Leipzig
Premiere war am 25. September 2021.
Weitere Termine: 01., 10., 17.10.2021


Weitere Infos siehe auch: https://www.oper-leipzig.de/


http://www.andre-sokolowski.de

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