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Premierenkritik

Der Oboist

und die

Klavier-

studentin



Joachim Goltz als "rettender Engel" in Leonore 40/45 von Rolf Liebermann an der Oper Bonn | Foto (C) Thilo Beu

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Würde der Schweizer Komponist Rolf Liebermann (1910-1999) noch leben, wäre er in diesem Jahr 111 geworden, und er würde es gewiss auch als Triumph empfunden haben, wenn er jener Wiederauferweckung seiner allerersten Oper Leonore 40/45 (uraufgeführt in Basel 1952), womit das Theater Bonn jetzt einen glaubwürdigen und sympathischen Versuch der Renaissance bzw. "Rettung" dieses Werkes unternahm, am letzten Sonntag beigesessen hätte. 62 Jahre wurde es nicht mehr gespielt. Dass dem so war und ist, beschäftigt auch das Forschungsprojekt FOKUS '33, das sich - mindestens bis Sommer 2023 - "die Auseinandersetzung mit Musiktheaterwerken des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts, die aus unterschiedlichen Gründen nicht den Weg in den Kanon gefunden haben bzw. durch die Zeitläufte wieder herausgefallen sind" zum Thema machte und auch weiter machen wird.

Der durch das Bonner Publikum und angereiste Sachverständige sowie sonstige Liebermann-Fans enthusiastisch aufgenommenen Premiere ging ein etwa halbstündiger hochinteressanter und nicht minder hochvergnüglich anzuhörender Festvortrag von Prof. Dr. Thomas Bauer (Westfälische Wilhelms-Universität, Münster) unter dem Titel Vom Kanon zum Einerlei - Warum die Oper ihre Vielfalt liegenlässt voraus, an dessem Schluss der Redner allerdings mitnichten irgendwas zur Liebermann'schen Leonore 40/45 preiszugeben willens war, weil er halt, wie die meisten Leonorengäste dieses Abends, das besagte Opus nicht bzw. noch nicht kannte.

Worum geht es nun konkret?

Albert, ein junger Oboist, verliebt sich in Yvette, eine Klavierstudentin, was an sich ja vollkommen normal und wegen seines hochbanal anmutenden Normalseins eigentlich literatur- ja und vor allem opernuntauglich zu nennen ist. Aber! Was diese unschuldige Liebe in den Rang einer literatur- oder opernaffinen Tauglichkeit erhebt oder erhob, ist/ war allein der Umstand, dass es sich zugleich bei unserm jungen Musiker um einen deutschen Landser und bei unsrer Musikerin um eine der Kollaboration beschuldigten Französin handelte und dass das alles zwischen 1940 (deutsche Besetzung Frankreichs) und 1945 (Zusammenbruch des NS-Regimes) zu spielen hatte. Diese Opern-Liebe tat natürlich voll obsiegen trotz dass sie sich kurz vorm Sinfonie der Tausend-trächtigen Finale einer Art von moralinem Tribunal (à la Verrat, Verrat...) zu stellen hatte. Und die Quintessenz des Ganzen lautete: "Liebe, die stärker ist als Hass", ja und so wollten wir das auch tunlichst erwarten, bitteschön!

Museal betrachtet ist's ein Stück vergangener Musikgeschichte, das gewiss nur in der Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg derart unaushaltbar schien, dass man all seine nachträglichen Aufführungsskandale, die es nachweislich an deutschen Bühnen (in den 1960ern) gegeben haben muss, ausschließlich nur in diesem Kontext nachbegreifen kann. Ansonsten, insbesondere was alles Musikalische betrifft, ist es von einer irgendwie gesichts- und gar "charakterlosen" Attitüde, was die aktuellen Rettungsabsichten der Oper Bonn zur gut gemeinten und ganz eingestandnermaßen kraftstrotzenden Ambition heraufwürdigt - mit andern Worten: Leonore 40/45 sollte möglichst weiterhin getrost in einhelligen Opernführern statt großaufgebotig auf der Bühne aufgehoben sein.

Die Oper klingt nicht unoft wie Musik für'n Varieté, ihr Klang ist sowieso ein bisschen altmodisch, und dennoch (oder deshalb) gibt es schönste, um nicht gar zu sagen wunderschönste Höreindrücke; an dem großen Rosenkavalier-Terzett, z.B., mag sich Liebermann vielmehr noch als an das Fidelio-Quartett "Mir ist so wunderbar" gelehnt und orientiert haben, als er sein Quatuor zwischen Yvette, der Mutter von Yvette, Albert und Alberts Vater (im Vorspiel) oder sein Terzett zwischen Yvette, der Mutter von Yvette und Albert (im 1. Akt) in Noten setzte. Barbara Senator (als Yvette), Susanne Blattert (als die Mutter von Yvette), Santiago Sánchez (als Albert) und Pavel Kudinov (als Alberts Vater) lauschte man sonach mit Hochgenuss und kriegte Gänsehaut.

Der Regisseur Jürgen R. Weber hat das Werk mit einer leichtverdaulichen Distanz und also der Hinzugabe von vielen Früchtewürfeln inszeniert. Die großzügige Ausstattung Hans Irwin Kittels und das Videobeiwerk von Gretchen fan Weber korrespondierten idealisch mit dem größtmöglichst auf Kurzweil ausgerichteten Regiekonzept.

Daniel Johannes Mayr dirigierte das Beethoven Orchester Bonn, das [wegen der noch immer anhaltenden Pandemiebestimmungen?] hinter dem Bühnenbild positioniert gewesen war und über Lautsprecheranlagen in den Saal verstärkt wurde.

Joachim Goltz beeindruckte als wie ein Conférencier durch die bemühte Handlung Heinrich Strobels (= Librettist) geleitender "rettender Engel".

Prima, dass wir mit dabei sein durften.



Barbara Senator (als Yvette) und Santiago Sanchez (als Albert) in Leonore 40/45 von Rolf Liebermann an der Oper Bonn | Foto (C) Thilo Beu

Andre Sokolowski - 12. Oktober 2021
ID 13207
LEONORE 40/45 (Oper Bonn, 10.10.2021)
Musikalische Leitung: Daniel Johannes Mayr
Inszenierung: Jürgen R. Weber
Ausstattung: Hank Irwin Kittel
Licht: Friedel Grass
Choreinstudierung: Marco Medved
Besetzung:
Yvette ... Barbara Senator
Germaine, ihre Mutter / Eine weißhaarige Melomanin ... Susanne Blattert
Albert ... Santiago Sánchez
Hermann, sein Vater ... Pavel Kudinov
Lejeune ... Martin Tzonev
Monsieur Emile ... Joachim Goltz
Eine junge Massenet-Schwärmerin / La Patronne ... Katrin Stösel
Ein Soldat ... Christian Specht
Der 1. Präsident des Tribunals ... Jeongmyeong Lee
Der 2. Präsident des Tribunals / Ein alter Melomane / Ein gebild. Herr u.a. ... Michael Krinner
Ein Kellner / Ein Zeitungsverkäufer / Ein Richter ... Takahiro Namiki
Erster Gefangener ... Patricio Arroyo-Lesuisse
Zweiter Gefangener ... Enrico Döring
Chor des Theater Bonn
Beethoven Orchester Bonn
Premiere war am 10. Oktober 2021.
Weitere Termine: 15., 17., 22.10.2021


Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de/


http://www.andre-sokolowski.de

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