Jeanne d´Arc au Bûcher von Arthur Honegger
am La Monnaie in Brüssel
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© La Monnaie
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Bewertung:
Ida Rubinstein, die russische Tänzerin und Schauspielerin, unterstützte oder produzierte desöfteren Aufführungen - immer unter der Bedingung, dass sie selber auch eine Rolle darin übernehmen konnte. Angeregt durch die Aufführung eines Mysterienspiels an der Pariser Sorbonne gab sie 1934 bei Arthur Honegger ein Musikwerk in Auftrag, das die Geschichte der Johanna von Orleans behandeln sollte. Als Librettisten hatte sie den gläubigen Katholiken und Poeten Paul Claudel ins Auge gefasst, der aber – aufgrund des heiklen Themas – erst einmal ablehnte. Claudel war zu der Zeit gerade französischer Botschafter in Brüssel. Im Zug von Paris nach Brüssel überkam ihn allerdings eine Vision, und er nahm den Auftrag an. Es hat dann nur ein paar Wochen gedauert, bis das Libretto fertiggestellt war.
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Die Inszenierung von Romeo Castellucci, die schon bei der Lyoner Premiere vor zwei Jahren bei einigen Katholiken für Polemik sorgte, wird gerade am Brüsseler La Monnaie aufgeführt, und hier haben religiöse Gruppen sogar gefordert, alle sechs komplett ausverkauften Vorstellungen abzusagen. Grund wäre v.a. die Metamorphose des (in dieses Inszenierung "installierten")männlichen Hausmeisters zur Heiligen Johanna. Dass diese zumeist nackt auf der Bühne ist, hat diese Forderung sicher noch verstärkt.
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Jeanne d´Arc au bûcher am La Monnaie | (C) Stofleth/La Monnaie
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Der italienische Regisseurs verlegt die Handlung in ein Klassenzimmer der 1960er Jahre. Die Neonbeleuchtung flackert, die Wände sind angeschmuddelt, an der Wand die typischen Kleiderhaken und Landkarten. Es findet gerade eine Prüfung statt, und die Mädchen lassen keine Gelegenheit aus voneinander abzuschreiben oder sich gegenseitig Spickzettel zuzuwerfen. Es klingelt, die Zeit ist um, und Alle rennen aus dem Raum. Die Musik hat noch nicht eingesetzt - da humpelt der Hausmeister in den Raum und fängt an, die Stühle und Schulbänke aus dem Raum zu schaffen. Er arbeitet immer schneller, atmet heftig, und die letzten Möbelstücke fliegen praktisch in den Gang, so als ob er einen Zeitplan einzuhalten hätte. Er nimmt dem Zimmer alles, was es als Unterrichtsraum identifizieren könnte und reißt sogar das Linoleum heraus, bis er auf Erde stößt und mit den Händen zu graben anfängt. Dann verriegelt er die Tür von innen. Immer noch herrscht Stille, sie dauert ca 10 Minuten, bis endlich Musik und Chor einsetzen. Die Sänger und der Chor befinden sich in unterschiedlichen Logen und sind nicht zu sehen.
Kazushi Ono dirigiert mit einer unglaublichen Leichtigkeit in alle Richtungen. Das Publikum ist von Tönen eingeschlossen. Auf der Bühne passiert sonst nicht viel, nur dass das Loch im Boden immer größer wird. Mittlerweile will Jeannes Bruder Dominique mit Polizisten und der Lehrerschaft die Tür einreißen, schließlich soll es ja eine Verhandlung geben. Sie erkennt ihn, macht aber nicht auf. Mit der Verwandlung des Hausmeisters in eine langhaarige Jeanne d’Arc verändert sich auch die Stimme, sie wird kräftiger, determinierter. Zwischendurch reitet Jeanne auf einem Besen über die Bühne bis sie nicht mehr kann, dafür legt sie das große Schwert weg.
Paul Claudel hat den Vorsitz in diesem Tierprozess dem cochon (Schwein) übertragen. Der Bischof von Beauvais, der seinerzeit den Vorsitz im Prozess gegen Jeanne d’Arc innehatte, hieß Pierre Cauchon (Cauchon und cochon haben die gleiche Aussprache!). Die Geschworenen sind Schafe, der Schreiber ist ein Esel.
Jeanne, mittlerweile nackt, gräbt immer weiter, reißt Pflanzen und Wurzeln heraus und schaufelt sich ihr eigenes Grab. Der Tod, in Form einer weiteren, viel älteren nackten Frau, unterstützt sie bis Jeanne zuckend das Zeitliche segnet und vom Tod in das selbst gegrabenen Loch befördert wird. Feuer gibt es keines, allerdings scheint es nach Feuer zu riechen. Als alles vorbei ist, bekommen die Polizisten und Dominique endlich auch die Tür auf und finden nur noch Verwüstung vor.
Ono (der auch vor zwei Jahren in Lyon dirigierte) und das Orchestre symphonique et Chœurs de la Monnaie haben Wunderbares vollbracht. Unter den Instrumenten sind auch die Ondes Martenot, ein elektronisches Tasteninstrument, das zu Honeggers Zeit erfunden wurde. Die Ondes begleiten den Aufritt der Höllenhunde. Ono hat jede einzelne Stilart von Honeggers Musik – und das sind viele - herausgearbeitet und ihr einen Platz gegeben. Gregorianische Chöre, Hofmusik aus der Renaissance bis hin zu Bach, Jazzfragmenten und Volksmusik. Letztere begleitet die Tiergerichts-Verhandlung.
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Der Schweizer Komponist Arthur Honegger (1892-1955) gehörte zur „Groupe de Six“. Sein szenisches Oratorium in 11 Bildern (dt.: Johanna auf dem Scheiterhaufen) wurde konzertant kurz vor dem Zweiten Weltkrieg 1938 – mit Ida Rubinstein als Jeanne - in Basel mit großem Erfolg uraufgeführt. Diese Komposition ist eine perfekte Fusion von Schauspiel und Oratorium. 1939 bei der französischen Premiere in Orléans musste Ida Rubinstein sich vom reaktionären Publikum beschimpfen lassen. Als Jüdin hätte sie nicht das Recht, die Rolle einer französischen Katholikin und Nationalheldin zu spielen. Zwei Jahr später machte Frankreich dies aber mit 40 erfolgreichen Auftritten durch das Ensemble Chantier Orchestral landesweit wieder wett.
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Jeanne d´Arc au bûcher mit Audrey Bonnet | (C) B.Uhlig/La Monnaie
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Audrey Bonnet ist eine umwerfende Jeanne d’Arc. Sie gibt alles und ist sichtlich am Ende physisch erschöpft. Bonnet hat – wie Sébastian Dutrieux (als Johannas Bruder Dominique) – eine Sprechrolle. Beide waren hiermit auch schon in Lyon aufgetreten.
Viel Applaus und Zustimmung.
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Christa Blenk - 9. November 2019 (2) ID 11798
JEANNE D´ARC AU BUCHER (La Monnaie, 08.11.2019)
Musikalische Leitung: Kazushi Ono
Regie, Bühnenbild, Kostüme und Licht: Romeo Castellucci
Dramaturgie: Piersandro Di Matteo
Chöre: Christophe Talmont
Besetzung:
Jeanne d'Arc ... Audrey Bonnet
Frère Dominique ... Sebastian Dutrieux
La Vierge ... Ilse Eerens
Marguerite ... Tineke van Ingelgem
Catherine ... Aude Extrémo
Une Voix, Porcus, Héraut I, Le Clerc ... Jean-Noel Briend
Héraut III, L'Ane, Bedford, Jean de Luxembourg, Un paysan ... Louka Petit-Taborelli
L'Appariteur, Regnault de Chartres, Guillaume de Flavy, Perrot, Un prêtre ... Geoffrey Boissy
Sopran Solo ... Gwendoline Blondeeel
Une Voix d'Enfant ... Siobhan Mathiak
Orchestre symphonique et Chœurs de la Monnaie
Chœurs d’enfants et de jeunes et Académie des chœurs de la Monnaie s.l.d. de Benoît Giaux
Premiere an der Opéra National de Lyon: 21. Januar 2017
Weitere Termine in Brüssel: 10., 12.11.2019
Koproduktion zwischen La Monnaie, Lyon National Opera, Perm State Opera und Theater Basel
Weitere Infos siehe auch: https://www.lamonnaie.be/
Post an Christa Blenk
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