Hochfliegender Niedergang
LAZARUS von David Bowie und Enda Walsh am Düsseldorfer Schauspielhaus
Bewertung:
|
Es ist noch nicht aller Tage Abend, oder vielleicht doch? Die zentrale Figur in Lazarus, dem einzigen Musical David Bowies, befindet sich fortwährend in einem Wartezustand zwischen Leben und Tod. Angelehnt ist der Titel des Musicals – gleichzeitig auch Titel des Eröffnungssongs – an die biblische Figur des Lazarus, der von den Toten mit Gottes Hilfe auferweckt wurde. Bowie selbst erlag wenige Wochen nach der Musical-Premiere einer Krebserkrankung. 2018 war die deutschsprachige Erstaufführung von Regisseur Matthias Hartmann am Düsseldorfer Schauspielhaus, die seither regelmäßig ausverkauft ist. Die vom irischen Dramatiker Enda Walsh entwickelte Musicalhandlung knüpft an das Ende des Sci-Fi-Films Der Mann, der vom Himmel fiel (1976) an, in dem Bowie die Hauptrolle des Außerirdischen Thomas Newton spielte:
Es sind viele Jahrzehnte vergangen. Der Außerirdische Newton hat es als Unternehmer zu großen Reichtum gebracht. Einsam sitzt er in einem luxuriösen Appartement, schaut Fernsehen und trinkt Gin. Er schwelgt vor allem jedoch wie ein Verlorener in Erinnerungen. Verlassen, desillusioniert und gebrochen trauert er seiner großen Liebe Mary-Lou hinterher. Das Musical konzentriert sich fragmentarisch auf das Innenleben seines Protagonisten. In einer Collage von Szenen und atmosphärischen Stimmungen verschwimmen Realität und Wahn. Es gibt keine stringente Handlung. Viel Interpretationsspielraum eröffnet sich insbesondere hinsichtlich der Realität oder Irrealität der plötzlich auftauchenden, übrigen Figuren. Da ist etwa Newtons Assistentin Elly, die ihrem Geldgeber nachstellt, um ihrer eigenen bescheidenen Existenz einen neuen Sinn zu geben. Plötzlich taucht außerdem ein namensloses Mädchen auf, das Newton erklärt, sie wisse, wie er von der Erde zurück auf seinen Heimatplaneten gelangen könne. Auch Valentine, ein verführerisch androgyner Psycho-Killer, zeigt großes Interesse an Newton. Er erscheint ebenfalls wie aus dem Nichts und ist vielleicht auch bloß eine Ausgeburt der fiebrigen Phantasien Newtons?
Volker Hintermeier schafft ein sehr bewegliches Bühnenbild, in dem zuoberst eine imposante Raumkapsel das Zentrum dominiert. Innerhalb dieser abstrakten Raketenspitze ist ein Stuhl für Newton platziert. Hier oben wird er viele seiner melancholischen Songs vortragen. Von zwei Seiten führen geschwungene Metalltreppen hoch zur Kuppel. Sie dienen vielfach als Spielfläche. Darunter liegt ein Wohnraum, in dem ein Doppelbett dominiert. Monitore projizieren rundherum teils aktuell gedrehte Bilder. Es werden jedoch auch zahlreiche Videoinstallationen vorgeführt, etwa von einem Sternenhimmel oder abstrakte Bilder, die Erinnerungen darstellen sollen. Ein Steg führt darüber hinaus in die Mitte des Saales. Die Bühnenbeleuchtung sorgt für effektvolles Licht und Schattenspiel.
Die Figuren tragen schrille Kostüme aus den 1970ern und 1980ern, wie glitzernde Plateauschuhe oder Schlaghosen. Der Norweger Hans Petter Melo Dahl ähnelt dem älteren Bowie optisch sehr. Er verkörpert Newton im elegant schimmernden Anzug kühl und unnahbar mit reduziertem Spiel und eindrucksvoll kräftiger Stimme. André Kaczmarczyk mimt als Valentine einen laszive sinnlichen und gewissenlosen Widersacher Newtons. Gewappnet mit einer ausdrucksstarken Stimme, schwarzen Engelsflügeln und eng anliegendem Kostüm gibt er eine sinnlich-abgründige Diva auf diabolischen Plateausohlen. Er wird von drei Background-Sängerinnen umschwärmt. Diese auch tänzerisch immer wieder geforderten Girls erscheinen in schwarzweißen Ganzkörperanzügen wie lockende Vorboten des Todes. Sie werden bald mit einem engelsgleichen Wesen konfrontiert. Lieke Hoppe darf hier als „The Girl“ eine anrührende Version von „Life on Mars“ vortragen. Auch Rosa Enskat hinterlässt als Newtons Assistentin Elli mit lässigem Gesangsvortrag und ausdrucksstarkem mimisch-gestischen Spiel einen bleibenden Eindruck.
Die achtköpfige Band spielt unter der Leitung von Heinz Hox alle 17 Titel des Musicals energiegeladen-spannungsvoll, zuweilen aber auch melancholisch-leise arrangiert. Neben den vier von Bowie eigens für das Musical komponierten Songs gibt es auch einige vor Ort performte Welthits. Zu guter Letzt beendet so Bowies Welterfolg „Heroes“ die opulente Show. Das Publikum, das bis zuletzt mit den Figuren auf der Bühne wie durch Traum und Wirklichkeit taumelte, vermag schlussendlich mit dem packenden Pathos Bowies gen Himmel zu driften.
|
Ansgar Skoda - 5. Juli 2019 ID 11546
LAZARUS (Düsseldorfer Schauspielhaus, 29.06.2019)
Regie: Matthias Hartmann
Bühne: Volker Hintermeier
Kostüm: Su Bühler
Musikalische Leitung: Heinz Hox
Videodesign: Stephan Komitsch und Roman Kuskowski
Choreografie: Bridget Petzold
Vocal Coach: Kerstin Brix
Licht: Jean-Mario Bessière
Dramaturgie: Janine Ortiz
Besetzung:
Newton … Hans Petter Melø Dahl
Girl… Lieke Hoppe
Valentine … André Kaczmarczyk
Elly … Rosa Enskat
Teenage Girl 1 … Inga Krischke
Teenage Girl 2 … Eva Löser
Teenage Girl 3 … Florentine Kühne
Teenage Girl (alternierend) … Vera Marhold
Zach … Daniel Fries
Ben … Serkan Kaya
Maemi … Sophia Schiller
Michael … Thomas Wittmann
u.v.a.
DEA war am 3. Februar 2018.
Weitere Termine: 10.07. / 30.10. / 06., 23.11. / 22.12.2019
Weitere Infos siehe auch: https://www.dhaus.de
Post an Ansgar Skoda
skoda-webservice.de
Neue Stücke
Premierenkritiken
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
CD / DVD
INTERVIEWS
KONZERTKRITIKEN
LEUTE
NEUE MUSIK
PREMIERENKRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
RUHRTRIENNALE
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|