Unabhängigkeits-
krieg gegen
den Vater
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Anna Princeva als Hélène in Die sizilianische Vesper an der Oper Bonn | Foto © Thilo Beu
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Bewertung:
O allmächtiger Vater, sei auf der Hut… Das mag man mitunter als Besucher von der Bonner Neuinszenierung der Verdi-Oper Les vêpres siciliennes (Die sizilianische Vesper) denken. Sie behandelt emphatisch aufkeimende, intime Vatergefühle eines einsamen Herrschers in Zeiten der Vergeltung. Der adlige Gouverneur Montfort besetzt als skrupelloser Machthaber und Anführer der Franzosen Sizilien. Einer seiner Widersacher ist der junge Sizilianer Henri, der zusammen mit anderen einen Aufstand gegen Montforts Fremdherrschaft erprobt. Montfort jedoch erfährt aus einem Brief von Henris verstorbener Mutter, dass Henri sein illegitimer Sohn ist. Er lässt Henri zu sich bringen und fordert dessen Sohnesliebe ein. Montfort ahnt nicht, dass Henris Mutter ihren Sohn ihre ungute Erinnerung an den Kindsvater mit auf den Weg gab.
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Der Brite David Pountney inszeniert den 1855 in Paris uraufgeführten Fünfakter bilderreich und mit großen Ensembleleistungen. Die Koproduktion mit der Welsh National Opera Cardiff wird dabei in französischer Originalfassung dargeboten. Verdis Rahmenhandlung geht auf historische Ereignisse zurück; das Massaker der Sizilianer an ihren französischen Besatzern um 1282. Doch viele zwischenmenschliche Konflikte, die das Drama vorantreiben, sind historisch nicht verbürgt. So wird die Handlung nach Palermo verlegt, und es wird zum Vater-Sohn-Konflikt eine Liebesgeschichte hinzugedichtet. Henri liebt eine mutige und rachsüchtige Widerständlerin, deren Bruder in Montforts Auftrag hingerichtet wurde: die österreichische Herzogin Hélène.
Zu Beginn fordern zudringlich-übergriffige Besatzer Hélène auf, ein Lied vorzutragen. Hélène nutzt die Chance, ihre anwesenden Leidensgenossen zu Widerstand aufzurufen. Sie präsentiert in einem Lied das allegorische Bild eines Schiffes, das in Seenot geraten ist. Am Beispiel der Bootsbesatzung, die ihre gesammelten Kräfte mobilisieren, gelingt es Hélène Aufruhr unter ihren Landsleuten zu entfachen. Der Mut zur Revolte, der kurzzeitig bei den Sizilianern aufkeimt, verpufft jedoch sofort mit dem Auftauchen Montforts. Auch die leise zwischen Henri und Hélène aufkeimende Liebe wird durch die unsicheren Regierungsverhältnisse überschattet.
Bühnenbildner Raimund Bauer arbeitet mit wenigen und eher schlichten Requisiten. Fahrbare Hochsitze und großformatige schwarze Rahmen werden vielfältig eingesetzt. Im dunklen Raum aufmarschierende Chöre und Statisten leuchtet Lichtdesigner Thomas Roscher effektvoll aus. Die Sizilianer tragen Schwarz, während die Franzosen in prachtvoll farbige Gewänder mit Reif- und Gehröcken gehüllt sind (Kostüme: Marie-Jeanne Lecca). Die Personenführung erscheint bei den Begegnungen zwischen den Besatzern und den Sizilianern zuweilen etwas blass. Die Vorführung schafft insbesondere durch choreographische Einlagen dynamische Spannungsmomente. Im Mittelteil der Oper zeigt Choreographin Caroline Finn in einem Zwischenspiel ausdrucksstarkes Handlungsballett zur Musik von Verdis Jahreszeitenballett. Eine Vorgeschichte von Henris langsam aus einem Sarg steigender Mutter und einem jüngeren Montfort wird als Totentanz dargeboten. Montfort warb als junger Mann um Henris Mutter, wurde jedoch alsbald gewalttätig und vergewaltigte sie. Henri und der alte Montfort mustern die eindrucksvolle Tanzszenerie sichtlich bewegt von der Seite.
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Die Russin Anna Princeva mimt die Hélène dramatisch ausdrucksstark und mit expressiv leuchtfähigem, farbenreich-facettiertem Sopran. Der italienische Tenor Leonardo Caimi gestaltet den Gewissenkonflikt Henris recht eindringlich und mit solider gesanglicher Verve. Auch der Amerikaner Mark Morouse lässt in der Rolle des Montfort mit harmonisch-geschmeidigem Bariton aufhorchen. Will Humburg sorgte mit seinem Dirigat des groß besetzten Beethoven Orchester Bonn für schillernden Glanz und kraftvolle Präzision. Humburg erweist sich hier erneut als ausgesprochener Verdi-Experte. Auch der durch Marco Medved angeleitete Chor & Extra-Chor des Theaters Bonn läuft nicht nur beim Finale zu wahren Glanzleistungen auf.
Obschon die Vorlage historische Ungereimtheiten aufweist und auch die Personenführung nicht immer zu fesseln vermag, reißt Die sizilianische Vesper insbesondere auch aufgrund effektvoller choreographischer Einlagen mit.
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Die sizilianische Vesper an der Oper Bonn | Foto © Thilo Beu
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Ansgar Skoda - 4. Juni 2019 ID 11464
DIE SIZILIANISCHE VESPER (Oper Bonn, 01.06.2019)
Musikalische Leitung: Will Humburg
Regie: David Pountney
Bühne: Raimund Bauer
Kostüme: Marie-Jeanne Lecca
Licht: Thomas Roscher
Choreographie: Caroline Finn
Choreinstudierung: Marco Medved
Besetzung:
Hélène … Anna Princeva
Ninette … Ava Gesell
Henri … Leonardo Caimi
Guy de Montfort … Mark Morouse
Jean Procida … Pavel Kudinov
Thibaut … Jeongmyeong Lee
Danieli/ Mainfredo … David Fischer
Robert … Giorgos Kanaris
Le Sire de Bethune … Leonard Bernad
Le Comte de Vaudemont … Martin Tzonev
Tänzerinnen und Tänzer: Jessica Akers, Hellen Boyko, Paula Niehoff, Javi Ojeda Hernandez, Jack Widdowson und Hayato Yamaguchi
Chor des Theater Bonn
Extrachor des Theater Bonn
Beethoven Orchester Bonn
Premiere war am 25. Mai 2019.
Weitere Termine: 09., 15., 23., 27., 29.06. / 05.07.2019
In Koproduktion mit der Welsh National Opera Cardiff
Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-bonn.de
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