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AUTOR:INNENTHEATERTAGE 2023


Sonne, los jetzt!

von Elfriede Jelinek


Bewertung:    



Das mit größter Spannung bei den diesjährigen AUTOR:INNENTHEATERTAGEN erwartete Gastspiel war sicherlich Elfriede Jelineks Klima-Monolog Sonne, los jetzt!, inszeniert von Nicolas Stemann am Schauspielhaus Zürich. Der Jelinek-Experte hatte sich für den Text, der genau wie Jelineks Stück Angabe der Person Ende 2022 erschienen ist, entschieden. Das Thema schien Regisseur Stemann interessanter. Letztlich ist aber Angabe der Person in der Uraufführung von Jossi Wieler am Deutschen Theater Berlin zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen worden. Das mag auf den ersten Blick verwundern. Aber allein schon beim Vergleich der Komplexität und des Aufbaus der beiden Texte schneidet Sonne, los jetzt! schlechter ab. Stemann verwendet für seine Inszenierung wohl auch deshalb einen weiteren Text von Elfriede Jelinek und das Gedicht The Hollow Men von T. S. Elliot.

Zeilen aus The Hollow Men (dt.: "die hohlen Männer" oder auch "die hohle Menschheit"), aus dem Off ins Dunkel gesprochen, eröffnen dann auch den düsteren Abend und geben ihm gleich zu Beginn eine bedeutsame Schwere. „This is the way the world ends“, flüstert immer wieder die tiefe Männerstimme. Dazu senkt sich eine runde, beleuchtete Scheibe vom Schnürboden. „Not with a bang but a whimper“ (dt.: "nicht mit einem Knall aber einem Gewimmer“) ist der letzte Satz des Gedichts, das den Abend dann später auch wieder beschließt. Da hängt Stemann die Latte schon mal mächtig hoch.

Immer noch im Halbdunkel wuseln dann schwarze Gestalten über die Bühne, während Karin Pfammatter die ersten Sätze aus Jelineks Sonnen-Monolog vorträgt. „Was ist das, was da durch den Raum jagt, das bin doch nicht ich!“ Das driftet dann auch gleich mal ins antike Tragödienfach ab. Die Sonne als Mutter, die tötet und von ihrer Tochter getötet wird. Stemann setzt da richtiger Weise auch mehrfach den Rotstift an. Nur das was übrigbleibt, schwallt nun in Schleifen über das Publikum.

Jeder darf hier mal die Sonne sein. Mit Strahlenkranz auf dem Haupt, oder gleich als Rokoko-Sonnenkönig bzw. -königin als Gender-Scherz: „Ich verbrenne die Länder und hinterlasse nichts, für keinen, Geschlecht egal.“ Mit Wasser besprüht sich das Ensemble unter der vereisten Leuchtscheibe. Das von der Sonne beobachtete Volk tummelt sich am Strand mit Liegestuhl oder wirft sich in wallende Folienwellen. Brennender Sonnenwagen gegen sprengender Wasserwagen. Wird die hohle Menschheit versengt oder versinkt sie in den Fluten des steigenden Meeresspiegels?

Nicolas Stemann inszeniert der Jelinek'schen Sonnen-Suada hinterher und bebildert brav, was man von ihm bisher eigentlich nicht gewohnt war. Eine endlose Reihe von Bäumen beispielweise, an der Jelinek Tod und Ewigkeit erklärt. Im Zitate-Gepäck hat sie dazu u.a. den österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein. Damit das nicht allzu trocken wird, muss zwischendurch ordentlich gewitzelt werden, wobei besonders Daniel Lommatzsch und Sebastian Rudolph auffallen. Das spielfreudige Zürcher Ensemble ergänzen Alicia Aumüller, Lena Schwarz und Patrycia Ziólkowska. Musikalisch live umrahmt wird das Ganze wie immer bei Stemann von Thomas Kürstner und Sebastian Vogel.

Nach einer Stunde hängt die dauerbesprühte Sonnenscheibe endlich in Fetzen herunter. Ein in Folie gehüllter Alpengletscher mit Schweizer Fähnchen schmilzt dahin. Dass nach Jelinek nach uns kein Geschlecht mehr kommen wird, wird als Reihe aussterbender Tierarten, auf die 2058 auch der Mensch folgt, vorgetragen und vorgeführt. Dass auch die Sonne einst zu einem kalten Kiesel verglüht, kann uns da fast schon egal sein. Wir befinden uns nach Regisseur Stemann auf dem Highway to Hell. Den AC/DC-Klassiker rockt das Ensemble in Roko-Kostümfetzen zu dröhnenden E-Gitarren.

„Es ist zu spät, es ist zu spät“, klagte das Ensemble schon zu Beginn. Jelineks Befund ist ähnlich apokalyptisch, aber eben auch recht redundant. Die Stimme der Jugend kommt nur aus dem Off. Immer mal wieder wird die Rede der schwedischen Fridays-For-Futur-Aktivistin Greta Thunberg beim UN-Klimagipfel eingespielt. „How dare you?“ Stemanns Inszenierung wagt da leider sehr wenig. Ein Wohlfühlabend für die älteren Theatersemester. Schöner sterben in Reihe eins. Zur Sonne gesellt sich noch Jelineks Text Luft. Doch die ist dem Abend schon viel früher ausgegangen.



Sonne, los jetzt! von Elfriede Jelinek | Foto (C) Philip Frowein/ Schauspielhaus Zürich


Stefan Bock - 12. Mai 2023
ID 14191
Sonne, los jetzt! (Deutsches Thehater Berlin, 09.05.2023)
von Elfriede Jelinek

Regie: Nicolas Stemann
Bühne: Katrin Nottrodt
Kostüme: Katrin Wolfermann
Musik: Thomas Kürstner und Sebastian Vogel
Video: Johanna Bajohr
Licht: Basil von Breitenbach
Dramaturgie: Bendix Fesefeldt
Mit: Alicia Aumüller, Daniel Lommatzsch, Karin Pfammatter, Sebastian Rudolph, Lena Schwarz und Patrycia Ziólkowska
UA am Schauspielhaus Zürich: 15. Dezember 2022
Gastspiel des Schauspielhauses Zürich zu den Berliner AUTOR:INNENTHEATERTAGEN


Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspielhaus.ch/


Post an Stefan Bock

AUTOR:INNENTHEATERTAGE

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