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AUTOR:INNENTHEATERTAGE 2023

"Lange Nacht"

mit Stücken von Caren Jeß, Nele Stuhler und Lukas Bärfuss



Wie immer bei den AUTOR:INNENTHEATERTAGEN am Deutschen Theater Berlin kamen auch diesmal drei neue Stücke in einer "Langen Nacht" zur Uraufführung. Sie sind bis zum Ende der Intendanz von Ulrich Khuon an insgesamt fünf Terminen zu sehen. Die Stücke wurden aber nicht wie sonst von einer Jury im Rahmen eines Wettbewerbs ausgewählt, sondern von der Dramaturgie des Hauses. Da stehen neben dem bereits etablierten Schweizer Autor Lukas Bärfuss die beiden jüngeren Autorinnen Nele Stuhler und Caren Jeß. Alle drei waren bereits mit Stücken bei früheren AUTOR:INNENTHEATERTAGEN vertreten.

*

Die in Dresden lebende Schriftstellerin und Dramatikerin Caren Jeß ist momentan sehr erfolgreich. 2020 wurde sie bei der Kritiker-Umfrage von Theater heute zur Nachwuchsdramatikerin des Jahres gekürt. Nach Bookpink (2020) ist Jeß in diesem Jahr mit ihrem Stück Die Katze Eleonore in einer Inszenierung des Staatsschauspiel Dresden zum zweiten Mal für den Mülheimer Dramatikerpreis nominiert. Ihr neues Stück Dem Marder die Taube entstand im Rahmen des Berliner Ensemble-Dramatiker:innen-Fonds. Uraufgeführt wurde es von Regisseur Stephan Kimmig, den eine langjährige Arbeitsbeziehung mit dem scheidenden Intendanten Ulrich Khuon verbindet.

Auf der Bühne steht am linken Rand eine gläserne Kabine, in der ein geheimnisvoller Erzähler namens Herr R. (Paul Grill mit Brille und Langhaarperücke) ein wenig Rahmenhandlung in ein Mikro spricht. Auch über Tauben, Marder und Ratten berichtete er. Die Tiere in Caren Jeß‘ Texten haben immer auch etwas Metaphorisches. Per Livekamera auf die Seitenwände projiziert wirkt der vermeintliche, übriggebliebene Pförtner des stillgelegten Fabrikgeländes von Teppich-Kibek in der Provinzstadt Elmshorn wie ein magischer Beobachter. Hier wohnt auch die etwas verschrobene Theta (Anja Schneider), die in ihrem Garten Tauben hält und den räuberischen Marder mittels mit Hundehaaren ausgestopften Nylonstrümpfen fernhalten will. Die mit ihren Eltern in einer Einzimmerwohnung lebende Erike (Linn Reusse) lernt so über eine Annonce die schon etwas ältere Theta kennen.

Nach einer zunächst behutsamen Annäherung entwickelt sich eine zarte Freundschaft, bei der eher beiläufig die Probleme der beiden einsamen Frauen zur Sprache kommen. Die aus Berlin nach Elmshorn gezogene Theta hat schon länger nicht mit ihrer Zwillingsschwester gesprochen. Sie fühlt sich verantwortlich für den Tod ihrer älteren Schwester und meidet daher jeden Kontakt. Aber auch die Krankenschwester Erike hat so ihre Geheimnisse. Immer wieder geht ein Gazevorhang hoch und zeigt das Zimmer von Erike, in dem sie sich um das wie Puppen ausstaffierte Elternpaar (Sidney Fahlisch, Ananda Luna Cruz Grünbauer) kümmert. Hier entwickelt die Inszenierung sogar etwas Drive, wenn immer wieder die Songs der erfundenen Punkband Your Toothbruch angelehnt an die Dresdner Punkband Frank Alter Steinschmeisser aus dem Radio eingespielt werden.

Eine Qualität des Textes von Caren Jeß besteht darin, dass er zwar viel er- aber wenig auserzählt. So bleibt die Spannung des Stücks erhalten und die Fantasie des Publikums angeregt, bis am Ende die Perspektive wechselt und das bisher nur Erahnte freilegt. Das ist jetzt psychologisch nicht besonders überraschend, aber sehr intensiv gespielt und von Regisseur Kimmig behutsam und mit Sympathie für die Figuren inszeniert. Eine Konstellation, die man sich auch für weitere Jeß-Texte wünscht.

Bewertung:    



Gaia googelt nicht und Gaia rettet die Welt hießen die beiden Vorläufer des neuen Stücks von Nehle Stuhler am Deutschen Theater Berlin. Nun hat sich die Performerin, Regisseurin und Autorin (u.a. Die Chor an der Berliner Volksbühne) zum dritten Mal mit der Göttin und theatralen Weltenschöpferin Gaia beschäftigt. Gaia am Deutschen Theater (gemeint ist hier das in Göttingen) wurde wieder von der jungen Regisseurin Sarah Kurze mit großem DT-Ensemble uraufgeführt.

Groß ist auch das Brimborium auf der großen Bühne des DT. Viel Glitter, Glanz und Flitter zeigen schon die Kostüme Vanessa Vadineanu, mit denen die Produktion beim Eurovision Song Contest gut hätte punkten können. Ansonsten geht es um eine Truppe von SchauspielerInnen im Deutschen Theater Göttingen, die beim großen Menschheits-Abschaffungs-Kehraus von den Göttern versehentlich vergessen wurden. Deshalb steigt Göttin Gaia (Maren Eggert) mit ihrem Mythen-Verschriftlicher (Harald Baumgartner) im Schlepptau auf die Erde, um das zu vollenden. Während das Trüppchen mit der üblichen Theater-Nabelschau beschäftigt ist und nur der Theater-Jugendclub (Lilli Dezius, Jurek Lane Mio Südhoff, Marlene Engberding, Joséphine Lou Falkenstein, Malia Kassin) aufmuckt, geht Gaia erstmal an die Abschaffung der „Leitung“ (Lisa Hrdina mit angeklebtem Bart). Die kann sich allerdings nochmal rausreden und bietet der Göttin einfach die Leitung an, damit das Theatervölkchen nun mal richtig „Tun, Leiden, Lernen“ kann.

Und das steht dann leider auch dem Publikum bevor. Nele Stuhler packt in den sehr redseligen Text alles nur Erdenkliche zum Akt des Theaterschaffens, hier als großes Welttheater bezeichnet, deren Erschafferin auf dem Regiethron nun Gaia ist, und ihre liebe Not mit dem wuseligen, ich-bezogenen Theatervölkchen (Elias Arens, Lorena Handschin, Bernd Moss, Caner Sunar, Lisa Hrdina) hat. Geprobt wird der Aufstieg und Fall des antiken Göttergeschlechts. Der Titanenkampf zwischen Kronos und seinem Sohn Zeus als lustige Schaumschlacht. Goethes Faust paraphrasierend soll hier auch immer das Publikum mitgedacht werden und alles neu sein, das es auch „BEhagt“. Kleiner Seitenhieb ans benachbarte Theater. Allerdings scheren sich hier weder Text noch Inszenierung um irgendeine Verständlichkeit und geht schließlich alles im Chaos (personifiziert durch einen Kurzauftritt von Linda Pöppel) unter. Zum Ende gibt es noch eine Art Mitgliederversammlung aller Theatergewerke, bei der neben vergangenen DT-Größen wie Heiner Müller, Dieter Mann, Hans-Peter Minetti oder Brecht-Enkelin Johanna Schall auch der Theaterservice zu Wort kommt. Hier bedient sich Nele Stuhler bei einem protokollierten Zeitdokument aus dem Jahr 1989. (W)ende gut, alles gut.

Bewertung:    



Von Lukas Bärfuss wurde 2009 das Stück Öl am Deutschen Theater uraufgeführt. Der Schweizer Dramatiker leitete auch 2021 die Auswahljury des Stückewettbewerbs der Autor:innentheatertage. Nun hat der ungarische Regisseur András Dömötör sein neues Stück Verführung uraufgeführt.

Autor Bäfuss hat hier ein psychologisch angehauchtes und relativ well made geschriebenes Konversationsstück vorgelegt, das seine Spannung daraus zieht, dass man die Motivation der handelnden Figuren nicht sofort erkennen kann. DT-Star Ulrich Matthes spielt den kurz vor der Entlassung aus dem Gefängnis stehenden Heiratsschwindler und Hochstapler Hauke Born, der zu Beginn von Tamás Matkó am Flügel begleitet den Paolo-Conte-Hit It's wonderful vorträgt. Ein Aufbruchs-Song ins Ungewisse. „Good Luck, My Baby“. Was Hauke noch an diesem Ort festhält, ist eine Fußfessel und die Psychologin der Justizvollzugsanstalt Tania Morena (Birgit Unterweger).

Hauke ist allerdings auch ein Meister der Lüge und Manipulation. Mit Sonja Schwarz (Julia Windischbauer), einer angeblichen Tochter aus einer früheren, flüchtigen Affäre, tritt nun plötzlich Haukes Vergangenheit wieder in sein Leben. Das plätschert dann schön dahin, bis man endlich weiß, worum es wirklich geht. Nämlich um 7 Millionen Euro, die Hauke einst seiner Ex-Geliebten, einer reichen Konzern-Erbin abgeschwindelt hat, und die seitdem verschwunden sind. Der Schweizer Bärfuss schlägt nun den Bogen weit in die deutsche, braune Vergangenheit und schließt damit an aktuelle Debatten um Vermögen aus der Ausbeutung von Zwangsarbeitern in deutschen Betrieben während der Nazizeit an. Als in der Kunstszene bekannte Beispiele gelten die Familien Flick, Brose-Stoschek oder Bührle, dessen Vergangenheit jüngst zum Problem für die Kunsthalle Zürich wurde.

In Bärfuss‘ Stück kulminiert das in einem Bericht über die Verbrennung von Zwangsarbeitern in einer Scheune durch die SS kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Plänkeleien zwischen Hauke, seiner Psychologin und der vermeintlichen Tochter geraten da zunehmend in den Hintergrund. Hauke redet sich mit der braunen Vergangenheit des Geldes seine Schuld schön und auch die beiden Frauen scheinen ihr eigenes Interesse am Verbleib der Millionen zu haben. Damit lässt sich sicher der Umgang mit Nazi-Vermögen am hier leider dramatisch relativ uninteressanten Fall darstellen und kritisieren. Aber wie schon der letzte Chanson-Hit des Abends so schön formuliert: „Paroles, Paroles“.

Bewertung:    




Verführung von Lukas Bärfuss am Deutschen Theater Berlin | Foto (C) Arno Declair

Stefan Bock - 16. Mai 2023
ID 14202
LANGE NACHT DER AUTOR:INNEN (Deutsches Theater Berlin, 13.05.2023)
UA (der drei nachfolgenden Stücke) waren am 30. April 2023.
Weitere Termine: 27.05. / 10., 24.06.2023

Dem Marder die Taube
von Caren Jeß

Regie: Stephan Kimmig
Bühnenbild: Katja Haß
Kostüme: Sigi Colpe
Musik: Michael Verhovec
Licht: Robert Grauel
Dramaturgie: John von Düffel
Mit: Paul Grill, Linn Reusse, Anja Schneider, Sidney Fahlisch und Ananda Luna Cruz Grünbauer

Gaia am Deutschen Theater
von Nele Stuhler

Regie: Sarah Kurze
Bühne: Janja Valjarević
Kostüme: Vanessa Vadineanu
Musik: Samuel Wiese
Licht: Robert Grauel
Dramaturgie: Sima Djabar Zadegan
Dramaturgische Begleitung Junges DT: Maura Meyer
Mit: Elias Arens, Harald Baumgartner, Maren Eggert, Lorena Handschin, Lisa Hrdina, Bernd Moss, Linda Pöppel, Caner Sunar, Lilli Dezius, Jurek Lane Mio Südhoff, Marlene Engberding, Joséphine Lou Falkenstein, Malia Kassin und Samuel Wiese

Verführung
von Lukas Bärfuss

Regie: András Dömötör
Bühne: Magda Willi
Kostüme: Fruzsina Nagy
Musik: Tamás Matkó
Licht: Robert Grauel
Dramaturgie: Juliane Koepp
Mit: Ulrich Matthes, Birgit Unterweger, Julia Windischbauer und Tamás Matkó


Weitere Infos siehe auch: https://www.deutschestheater.de/


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