Viel, viel
Text
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Die zwei Päpste von Anthony McCarten am Renaissance-Theater Berlin | Foto (C) Bernd Brundert
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Bewertung:
Vor drei Jahren schrieb der Autor Anthony McCarten - frei nach seinem Bestseller The Pope: Francis, Benedict, and the Decision That Shook the World (dt. "Die zwei Päpste: Franziskus und Benedikt und die Entscheidung, die alles veränderte") - das Drehbuch zu dem Netflix-Spielfilm The Two Popes (dt.: Die zwei Päpste), wo Anthony Hopkins Papst Benedict XVI. und Jonathan Pryce Franziskus (als der noch nicht Papst geworden war) verkörperten. Und auch ein Stück verfertigte er, vorher oder nachher, aus dem Stoff; ja und sein Geldbeutel müsste daher geklingelt haben, dass es nur so krachte.
Morgen (2. 4.) wird's - ins Deutsche übersetzt von Sonja Valentin - im Renaissance-Theater Berlin Premiere haben (Regie: Guntbert Warns); gestern sahen und hörten wir's in einer der zwei Voraufführungen...
"Der Rücktritt Benedikts XVI. im Jahr 2013 ist eine Sensation: Seit über 700 Jahren hat kein Papst aus eigener Entscheidung das Amt aufgegeben. Benedikts Verzicht gingen kontroverse Jahre voraus: Sein erzkonservativer Kurs und nicht zuletzt die Vatileaks-Affäre um Korruption, Misswirtschaft und sexuelle Ausschweifungen befeuerten die Forderungen nach einer Erneuerung der katholischen Kirche. In diesem Zusammenhang trifft Benedikt XVI. auf Erzbischof Jorge Mario Kardinal Bergoglio, der später als Papst Franziskus in die Geschichtsbücher eingehen soll. Eigentlich will Bergoglio als Erzbischhof zurücktreten, doch in einem schonungslosen Schlagabtausch kommt Benedikt mehr und mehr zu der Einsicht, dass der als progressiv geltende Bergoglio der einzig richtige Papst-Nachfolger sein kann."
(Quelle: felix-bloch-erben.de)
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Was auffällt ist, dass in dem Stück selten gespielt als mehr, und zwar entschieden mehr, herumgeredet wird. Die zwei Protagonisten debattieren also, wenn man das so sagen wollte, ziemlich lang und oftmals unaufhaltsam bräsig über dies und das, vor allem freilich über ihre jeweiligen Rücktritts- oder Rückzugsabsichten; sowohl Papst Benedikt als auch sein Nachfolger in spe führen am Anfang (dieses Stücks) Derartiges im Schilde, was dann wiederum den eigentlichen Stückfluss pushen sollte und ihn immerhin auf eine Spieldauer von 150 Minuten (inkl. Pause) bringt.
Meine Lieblingsszene ist die erste, wo der bayerische Papst vom Bergwandern in ein ihm nahe gelegenes Kloster gerät, wo er dem Anschein nach sehr viel und gern (auch während seiner Papstzeit?) abstieg, um sich dort von einer seiner Lieblingsnonnen bekochen zu lassen; und so gibt es Knödelsuppe, und die beiden gucken schließlich in die Röhre, wo sie sich Kommissar Rex ansehen. Allerliebst. Aber das Allerbeste dieser Szene, wo dann ausnahmsweise auch bisschen gespielt und also nicht nur langweilig herumgequatscht wird, ist der hochabrupte Fußwaschungsversuch der Nonne, kurz nachdem der Papst ihr im Vertrauen sein beabsichtigtes Rücktrittsgelüst gesteht: Imogen Kogge (als Schwester Brigitta) mutiert da urplötzlich von Kundry zur Emanzipistin, rastet unverhofftermaßen aus, indem sie all die fürchterlichen Makel, die die Kirche, der der Papst bis hier noch vorsteht, so beschwert, mit stark erhob'ner Stimme aufzählt; und da spielt auch dieses Dauerleidthema des sexuellen Missbrauchs eine nicht zu überhörende, obgleich bloß punktuelle Rolle.
Die anderen vier Szenen sind in einem Slum-Kapell'chen von Buenos Aires, im Castel Gondolfo, in der Päpstlichen Bibliothek und der Sixtinischen Kapelle verortet; das Einheitsbühnenbild von Manfred Gruber bietet sehenswerte Schnellverwandlungen mittels sehr eindrucksvoll genutzter Schiebe- und Klapptüren, paar Möbelstücke, Requisiten und auf den Hintergrund gebeamter Originalschauplätze resp. ihrer optischen Zitate.
Walter Kreye und Walter Sittler (als die 2 Päpste) mussten, wie schon angedeutet, unglaublich viel Text lernen; von der Besetzung her scheint Sittler viel zu jung für seine Rolle. In weiteren zwei Nebenrollen sind Ivy Lißack (als argentinische Schwester Sophia) und Maximilian Zimmmermann (als stummer Kammerdiener Mario) zu erleben.
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Ich (als "Ungläubiger") erfahre auch, dass der heutige Papst Franziskus ein gigantisches Gewissensproblem wegen seiner kollaborativen Zeit in der Ära der damaligen argentinischen Militärdiktatur (1976-1983) zeitlebens mit sich herumschleppte und höchstwahrscheinlich immer noch herumschleppt - das erfahren zu haben, ist einer der Wissensgewinne, dessentwegen es sich durchaus lohnte Die zwei Päpste im Renaissance-Theater zu besuchen.
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Walter Sittler und Walter Kreye als Die zwei Päpste im Renaissance-Theater Berlin | Foto (C) Bernd Brundert
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Andre Sokolowski - 1. April 2022 ID 13552
DIE ZWEI PÄPSTE (Renaissance-Theater Berlin, 31.03.2022)
Deutsch von Sonja Valentin
Regie: Guntbert Warns
Bühne: Manfred Gruber
Kostüme: Ariana Warns
Dramaturgie: Joachim Flicker
Mit: Walter Kreye (als Papst Benedikt), Walter Sittler (als Kardinal Bergoglio), Imogen Kogge (als Schwester Brigitta), Ivy Lissack (als Schwester Sophia) und Maximilian Zimmermann (als Kammerdiener Mario)
Premiere: 2. April 2022
Weitere Termine: 05.-12., 16.-23.04. / 24.-27., 31.05. / 01.-06.06.2022
Deutschsprachige Erstaufführung
Weitere Infos siehe auch: https://renaissance-theater.de/
https://www.andre-sokolowski.de
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