Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 6

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Neue Stücke

Ziemlich chaotische Regie

Armin Petras bearbeitete David Grossmans Roman EINE FRAU FLIEHT VOR EINER NACHRICHT für das Deutsche Theater Berlin

Bewertung:    



Der Schriftsteller David Grossman ist eine wichtige kritische Stimme in Israel, wenn es um den Friedensprozess mit den Palästinensern geht. Am deutlichsten hat er sich in seinem 2009 erschienen Roman Eine Frau flieht vor einer Nachricht literarisch zum Nahostkonflikt geäußert. Dieses 700-Seiten-Werk, das in vielen Rücksprüngen von der komplizierten Liebes-Geschichte zwischen jener Frau namens Ora und ihren beiden Freunden und abwechselnden Lebenspartnern Avram und Ilan erzählt, zu dramatisieren, bedarf es schon einiger Chuzpe. Ein Spezialist für solche Fälle ist Regisseur und Autor Armin Petras. Erst letztes Jahr brachte er Tolstois letzten großen Roman Auferstehung auf die Bühne des Deutschen Theaters. Nun also zur letzten Spielzeit von Intendant Ulrich Khuon musste es wohl nochmal Grossman sein, dessen Romane Aus der Zeit fallen und Kommt ein Pferd in die Bar 2013 und 2017 bereits recht erfolgreich für das DT adaptiert wurden. Und Armin Petras pustete beim Premierenapplaus einmal mächtig durch. Da war sich einer wohl doch nicht ganz so sicher.

Zurrecht. Auf der Bühne vermittelt sich von Anfang an nur schwer, worum es in dieser Geschichte eigentlich geht. Die Nachricht, vor der Ora zum Wandern nach Galiläa flieht, ist die vom möglichen Tod ihres Sohnes Ofer, den sie zuvor zu einer Sammelstelle der israelischen Armee gebracht hat. Eigentlich sollte Ofer gerade aus dem dreijährigen Militärdienst entlassen werden. Die Rucksäcke zum Wandern hat Ora schon für beide gepackt. Ofer hat sich allerdings freiwillig für einen bevorstehenden Kampfeinsatz gemeldet. Nun flieht Ora kurzentschlossen ohne ihn. Unterwegs greift sie nach einem Telefonat noch ihren mit Tabletten und Alkohol abgefüllten Freund Avram auf und lässt sich mit ihm vom arabischen Taxifahrer Sami, einem Freund der Familie, in der Natur absetzen.

So einfach macht es einem der Roman beim Lesen aber auch nicht. Zu Beginn wird dort erstmal lang und breit das Kennenlernen der drei Jugendlichen Ora, Avram und Ilan erzählt. Sehr intuitiv stellt Grossman die drei in einer dauer-dunklen, verlassen scheinenden Quarantänestation 1967 mitten im Sechstagekrieg vor. Betreut werden die ständig Fiebernden nur von einer nie auftretenden arabischen Krankenschwester. Sehr naiv, verletzlich aber auch direkt und offen ist dieses Zusammentreffen, das die drei für immer zusammenschweißen wird. In Petras‘ Inszenierung findet das ebenfalls im Dunklen hinter einem Gazevorhang statt. Zusätzlich gefilmt werden Anja Schneider als Ora, Kaspar Locher als Ilan und Max Simonischek als Avram von Julischka Eichel als Krankenschwester. Die Live-Bilder der wild Bandagierten sieht man als Großprojektion neben Originalaufnahmen von israelischen Soldaten beim Training auf dem Gazevorhang. Das mag eine gute Idee für die Übersetzung der Eingangssituation auf die Bühne sein, wirkt aber für des Romans Unkundige sicher etwas verwirrend.

Auch im Folgenden entwirrt Petras die Handlung nicht wirklich. Nun steht Samis alter Fiat auf der Bühne, und das Publikum erlebt so etwas wie den Live-Dreh eines Kamerateams bei der Fahrt Oras, Ofers (Tamer Tahan) und Samis (Natali Seelig mit angeklebtem Schnauzbart) zur Sammelstelle, was motivisch zwar der Handlung entspricht, aber eher eine wilde Parodie dessen ist. Das Kamerateam, das es im Roman an der Sammelstelle tatsächlich gibt, fungiert außerdem noch als Erzähler, damit man nicht ganz den Faden verliert. Die Jahreszahlen der Handlungsebenen, auf die Gaze projiziert, sind ebenfalls ein halbwegs gutes Orientierungsmittel. Die Fahrt zu Avram geht danach weiter vorbei an Straßensperren mit finsteren israelischen Soldaten bis zu einer Schule, die nachts ein Krankenhaus für illegale Araber ist. Sami liefert dort einen kranken Jungen (Julischka Eichel) ab. Petras hat ihm noch ein paar erklärende Worte in den Mund gelegt. Grossman beschreibt in diesen Szenen aber recht eindrucksvoll, was inklusive Rassismus von vielen ungesehen hinter der Fassade abläuft.

Danach springt es in den Jom-Kippur-Krieg, in dem Avram und Ilan 1973 kämpfen. Ein Los entscheidet, wer von beiden vorzeitig in den Fronturlaub fahren kann. Hier rennt Kasper Locher als Ilan nach Avram schreiend über die Drehbühne, die von Bühnenbildner Peta Schickart mit allerlei Kriegskulissen vollgestellt wurde. Später sieht man da auch die Mauer, die die palästinensischen Gebiete von Israel abtrennt. Avram funkt aus aussichtloser Situation unter arabischem Beschuss in die Freiheit. Live-Musiker Micha Kaplan spielt dazu Cello. Es flackern grelle LEDs und Scheinwerfer streifen über das Publikum. In 90 Minuten bis zur Pause geht es wild durch die israelische Geschichte.

Etwas ruhiger lässt es der Regisseur nach der Pause angehen. Jetzt spielen Anja Scheider und Max Simonischek tatsächlich so etwas wie die Wanderung im Roman. Das Bühnenbild kreiselt recht langsam und legt immer wieder einige Stationen wie ein Camp gläubiger Juden frei, was Petras für eine weitere Knallchargen-Nummer nutzt. Zum Glück hat Armin Petras zwei Darsteller, die hier noch einiges von David Grossmans Roman über die Rampe retten können. Hier kommen sich endlich zwei näher, die die Liebe fast schon aufgegeben haben. Der kriegstraumatisierte Avram und die vor ihrer Angst um den Sohn vor ihrem Leben davonlaufende Ora, die nicht aufhören kann, von Ofer zu erzählen, um ihn damit am Leben zu halten. Einen Sohn hat David Grossman, während er dieses Buch schrieb, im zweiten Libanonkrieg verloren. Dem Autor gehört am Ende der Beifall des Abends.



Eine Frau flieht vor einer Nachricht am Deutschen Theater Berlin | Foto (C) Arno Declair

Stefan Bock - 20. Februar 2023
ID 14055
EINE FRAU FLIEHT VOR EINER NACHRICHT (Deutsches Theater Berlin, 19.02.2023)
nach dem gleichnamigen Roman von David Grossman

Bearbeitung und Regie: Armin Petras
Bühne: Peta Schickart
Kostüme: Annette Riedel
Musik Micha Kaplan
Video: Rebecca Riedel
Licht: Robert Grauel
Dramaturgie: Juliane Koepp
Videomitarbeit und Live-Kamera: Rafael Ossami Saidy
Mit: Julischka Eichel, Kaspar Locher, Anja Schneider, Natali Seelig, Max Simonischek und Tamer Tahan
Premiere war am 19. Februar 2023.
Weitere Termine: 22.02./ 01., 08., 21., 29.03. 2023


Weitere Infos siehe auch: https://www.deutschestheater.de


Post an Stefan Bock

Freie Szene

Neue Stücke

Premieren (an Staats- und Stadttheatern)



Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!



Vielen Dank.



  Anzeigen:





THEATER Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

BALLETT |
PERFORMANCE |
TANZTHEATER

CASTORFOPERN

DEBATTEN
& PERSONEN

FREIE SZENE

INTERVIEWS

PREMIEREN-
KRITIKEN

ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski

RUHRTRIENNALE

TANZ IM AUGUST

URAUFFÜHRUNGEN


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal


Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)