Der Welt
abhanden
gekommen
ASCHE von Elfriede Jelinek
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Cristin König in Asche von Elfriede Jelinek - am Schauspiel Köln | Foto © Max Borchardt
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Asche ist vielleicht eines der persönlichsten Stücke von Elfriede Jelinek. Es wurde im vergangenen Jahr an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt, ist auf ihrer Website elfriedejelinek.com nachzulesen und entspricht dem letzten Teil eines Triptychons, dem die Stücke Sonne -los jetzt! und Luft vorangehen.
Im Nachhinein sollen zwei ausgewählte Inszenierungen von Jelineks Asche-Stück beleuchtet sein; in ihm werden Vergänglichkeit, Verluste, Älterwerden, Glauben, Schöpfungsmythen und Planetensterben thematisiert. Die Österreicherin wird kommendes Jahr 80 Jahre alt. Ihre Arbeit zeichnet sich durch einen innovativen Zugriff auf eine Musikalität von Sprache aus. Die studierte Musikerin widmete sich in frühen Jahren avantgardistisch der Neuen Musik und nutzt eine sprachliche Verspieltheit in ihren Gedankenströmen. In Asche verarbeitet sie auch den Tod ihres Gatten Gottfried Hüngsberg (1944-2022). Wenn im abstrakten und eher undramatischen Text ein Gott angesprochen wird, ist hier immer auch der geliebte Mensch Gottfried gemeint. Beide waren seit 1974 verheiratet und führten eine unkonventionelle Ehe zwischen Wien und München. Hüngsberg arbeitete in frühen Jahren viel mit Rainer Werner Fassbinder, u.a. als Komponist. Auch betreute er Jelineks Homepage. In das nur etwa 24 Seiten umfassende Drama verweist Jelinek auf antike Quellen wie Platon oder Hesiod und Gustav Mahlers Lieder eines fahrenden Gesellen.
Das Stück stellt die Frage, was nach dem Ende – dem Verlust einer geliebten Person oder gar des heimatlichen Planeten – kommt. In der verschachtelten, andeutungsreich-assoziativen Erzählung geht es um den Menschen, Gott, eine instabile und bröckelnde Realität und eine unterworfene, geformte und ausgebeutete Natur.
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Am SCHAUSPIEL KÖLN bearbeitet Kamila Polívková die Adaptation von Jelineks Vorlage. Die im tschechischen Brünn geborene Regisseurin kommt eigentlich aus dem Kostümbild. Übrigens hat auch Jelinek Vorfahren in Tschechien, so wurde etwa Wilhelm, ihr Großvater väterlicherseits, um 1878 dort geboren.
Asche ist Polívkovás zweite Regiearbeit in Deutschland und die erste Zusammenarbeit mit dem Schauspiel Köln. Die Inszenierung zeichnet sich durch visuell eindrückliche Bühnenbildtricks wie irritierende Zeitlupen-Momente und Live-Kamerabilder aus.
Cristin König steht anfangs als zentrale Figur und Trauernde – eine Art Alter Ego der Autorin – inmitten einer kargen, mit echtem Schnee bedeckten, dunkel gehaltenen Bühne. Sie spricht nach vorne weg und ruft ein imaginäres Gegenüber an: „Welche Anzahl von Welten nehmen wir an? Wie viele davon habe allein ich schon verbraucht?“
Später gibt der Bereich auf der rechten Bühnenseite den Blick auf einen Innenraum frei, der an ein Beerdigungsinstitut oder ein Krematorium erinnert (Bühne & Video: Antonín Šilar). Eine platzierte Anrichte schafft Assoziationen zu einem Sarg. Innerhalb dieser rechten Spielebene verkörpern vier weitere Figuren die Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft. Gedanken der Trauernden gehen nun sozusagen als innere Anteile über in Stimmen der Elemente. Diese geben jedoch den Gedankenwelten der Trauernden auch einen anderen Fokus oder eine andere Richtung. Ein Manko der Inszenierung ist hier, dass die Elemente nicht nur aufgrund der Kostüme in recht zurückhaltenden Bildern verkörpert werden. So setzt Zainab Alsawah als Element Wasser wiederholt Teewasser auf. Kristin Steffen hustet als Element Luft mehrfach. Peter Fasching zündelt als Element Feuer mit einem Feuerzeug. Matthias Max Herrmann hebt als Erd-Element Schnee vom Boden auf und trägt verschmierte Erdfarben auf seinem Hemd. Tatsächlich spielen eben diese vier Elemente auch beim Sterben eine zentrale Rolle.
Der im Wechsel vorgetragene Text enthält Referenzen auf vier Lieder oder Liedfragmente und Nietzsches zentralen Gedanken von der „ewigen Wiederkunft des Gleichen“.
Die Aufführung, in der sich die Figuren nur zaghaft bewegen und die meiste Zeit auf der rechten Bühnenebene gespielt wird, vermag aufgrund fehlender Interaktion kaum zu berühren und hinterlässt sein Publikum nachdenklich.
Bewertung:
Jette Steckel wählte am THALIA THEATER HAMBURG einen erfrischend anderen Ansatz mit jungen Artisten, Live-Musik und einer kreiselnden Grünfläche als Bühne. Sie wurde mit ihrer Inszenierung in diesem Jahr auch zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. Für die Regisseurin ist es die erste Inszenierung eines Textes der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin. An ihrem Haus war bisher ihr Kollege Nicolas Stemann auf Jelineks Dramen abonniert. Steckel entschied sich für den eher neuen Arbeitskosmos, weil ihr Vater vor kurzem starb und für sie so das Thema des Verlustes und Abschiedsnehmens noch nah war.
Steckel konfrontiert Jelineks zivilisationskritische Haltung, die gerade für junge Menschen bitter ist, mit auftretenden Jugendlichen vom Zirkus Zartinka, die etwa Radschläge, Jonglage oder an Schwebereifen Akrobatik vorführen. So konfrontiert sie den von vier Akteuren (Barbara Nüsse, Franziska Hartmann, Björn Meyer, Jirka Zett) nachdenklich und in wechselnden Stimmungen deklamierten Text durch Störmomente mit einer Reibungsfläche. Der runde Bühnenboden, um den die Zuschauer platziert sind, dreht sich in der Hamburger Inszenierung fortwährend. Ein schönes Bild für Jelineks Kreislauf-Metapher vom Verfall des eigenen Körpers. Es stellt sich auch ein Schwindelgefühl ein, wenn die Zuschauer die Darsteller stets am Bühnenrand entlang wandern sehen, diese jedoch nicht wirklich vorwärts kommen. Der Verlust einer Welt, die der Mensch nicht nur zum Guten verformt hat, wird vom Ende her betrachtet.
Der Text scheint mitunter nicht aufgeteilt, es gibt chorische Stellen, und es wird gejamt. Die Regisseurin hat Jelineks Text etwa um ein Viertel gekürzt. Die jungen Artisten setzen einen Kontrapunkt zu den oft betrüblichen Wortkaskaden. Sie provozieren beim Publikum einen Wahrnehmungswechsel, indem sie plötzlich, durcheinander laufend, sogenannte platonische Körper wie Schaumstoff-Quadrate und Dreiecke über die Bühne werfen. Während sich die Figuren mit ihren Haltungen zu erlittenen Verlusten zu vergaloppieren scheinen, vollführen die Artisten mit ihren Körpern frei schwebend Höhenflüge. Eine Artistin präsentiert sich auch mal mit stolzem Geweih als Hirsch.
Bald wird in die Mitte der Grünfläche ein Kreuz platziert. Die Figuren versammeln sich nachdenklich um das Kreuz herum und führen ihre Sinnsuche fort. Während einsetzende Live-Musik von Matthias Jakisic den Textvortrag unterbricht, nutzen die Artisten das Kreuz als Stange für Turnübungen. Das Drama endet schließlich mit versöhnlichen Bildern. Zu Loop-fähigen Klängen von The Look von Metronomy gehen Figuren und Artisten als in sich geschlossenen Gemeinschaft hintereinander. Sie platzieren behutsam jeweils nacheinander handtellergroße Spiegelkugeln auf dem Bühnenboden. Ein schönes Schlussbild für das Abgeben von etwas Positivem in die Welt.
Bewertung:
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Asche von Elfriede Jelinek - am Thalia Theater Hamburg | Foto © Armin Smailovic
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Ansgar Skoda - 1. Juli 2025 ID 15340
ASCHE (Depot 2, 04.05.2025)
von Elfriede Jelinek
Regie: Kamila Polívková
Bühne & Video: Antonín Šilar
Kostüme: Elke von Sivers
Musik: Þóranna Dögg Björnsdóttir
Licht: Jürgen Kapitein
Dramaturgie: Dominika Široká
Mit: Zainab Alsawah, Peter Fasching, Cristin König, Mathias Max Herrmann und Kristin Steffen
UA an den Münchner Kammerspielen: 26. April 2024
Premiere am Schauspiel Köln: 26. April 2025
ASCHE (Thalia Theater Hamburg, 30.06.2025)
Regie: Jette Steckel
Bühne: Florian Lösche
Kostüme: Hanna Krümpfer
Musik: Matthias Jakisic
Leitung Zirkus Zartinka: Tobias Fiedler
Dramaturgie: Julia Lochte
Licht: Tilmann Cassens
Mit: Franziska Hartmann, Björn Meyer, Barbara Nüsse, Jirka Zett und dem Live-Musiker Matthias Jakisic sowie sowie Artist*innen vom Zirkus Zartinka
Premiere am Thalia Theater Hamburg: 12. Januar 2025
https://www.schauspiel.koeln
https://www.thalia-theater.de
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