Soloabend mit
Lina Beckmann
|
Lina Beckmann in Laios von Roland Schimmelpfennig - am Deutschen Schauspielhaus Hamburg | Foto (C) Monika Rittershaus
|
Bewertung:
Nachdem Karin Beier zum Auftakt ihrer Intendanz am Deutschen Schauspielhaus Hamburg bereits einen sechseinhalb Stunden dauernden Antikenabend unter dem Titel Die Rasenden inszenierte, hat sie nun 10 Jahre später einen fünfteiligen Antiken-Marathon unter dem Titel ANTHROPOLIS herausgebracht. Nach dem Geschlecht der Atriden und ihre Rolle im und nach dem Trojanischen Krieg mit den Stücken Iphigenie in Aulis, Troerinnen, Orestie und Elektra ist nun die Labdakiden-Saga rund um die Stadt Theben dran. Das hat auch die Jury des Berliner Theatertreffens überzeugt. Auf der Vorauswahlliste stand neben dem gesamten Zyklus auch der Teilabend II Laios, der es letztendlich allein auf die Einladungsliste der 10 bemerkenswerten Inszenierungen geschafft hat.
Beier hat im fast leeren, einer Arena ähnlichen Einheitsbühnenhalbrund von Johannes Schütz mit bemalten Rückwänden den Laios als Soloabend für ihre Lieblingsdarstellerin Lina Beckmann eingerichtet. Mit Devid Striesow als Ödipus, Julia Wieniger als Iokaste und Lilith Stangenberg als Antigone stehen noch weitere bekannte Theater-Stars in den Folgeabenden auf der Bühne. Den Text des ANTHROPOLIS-Zyklus lieferte Roland Schimmelpfennig. Als Inspiration dienten ihm die bekannten Tragödientexte von Aischylos, Euripides und Sophokles, die der deutsche Dramatiker überschrieben hat. Für den Prolog/Dionysos verwendete er zum Beispiel die Tragödie Die Bakchen von Euripides.
Etwas anders verhält es sich mit dem Laios, für den kein bekannter antiker Tragödienstoff überliefert ist. Hier orientiert sich der Text an der antiken Mythologie des Labdakiden-Stamms. Aber Lina Beckmanns Bericht geht am Beginn noch etwas weiter zurück bis zum Drachentöter Kadmos. Aus den von ihm gesäten Drachenzähnen wuchsen bewaffnete Männer, die sich sofort bekämpften und töteten. Mit den fünf übrig gebliebenen gründete Kadmos die Stadt Theben. Eine Geschichte von Krieg und Gewalt um die Herrschaft in Theben, die nach dem Tod des Labdakos, Vater des Laios, an Lykos als Vormund überging. Nach der Eroberung von Theben und dem Tod von Lykos wurde das Kind Laios im Wald ausgesetzt und später vom König Pelops gefunden und von ihm aufgezogen.
Lina Beckmann erzählt das alles als lockeren Bericht, nicht ganz ohne Humor und mit einigen Wissensabfragen ans Publikum. Wer im Prolog aufgepasst hat, kann Antwort geben. Aber auch so hat man an diesem Abend seinen Spaß. Mal wie ein vorgezogenes Satyrspiel mit Leierbegleitung, mal als Mimen- und Maskenspiel wirft sich die Schauspielerin ins Zeug. Sie faucht wie eine Katze, reißt eine Rinderattrappe als wild aufwachsender Laios. Steine werden herumgetragen, ein Chor aus antiken Masken wird aufgebaut und ein roter Teppich für den jungen Herrscher Laios zu seiner Inthronisation ausgerollt. Doch der jugendliche Held hat ganz andere Interessen, besonders am jungen Sohn des Pelops, mit dem er als schwules Paar im Streitwagen durchbrennen will. Ob diese Variante der Story oder doch eine andere von der Entführung eines Minderjährigen richtig ist, bleibt offen.
Auch das erste Treffen zwischen Laios und Iokaste läuft wie bei normalen Teenagern ab. Ein Trip mit dem Motorroller zum Imbiss, wo eine alte Wahrsagerin mit Raucherhusten die Prophezeiung, die man landläufig als Fluch des Ödipus kennt, heraus röchelt. Jugendliche Unbekümmertheit oder Einsicht zur gerechten Staatsführung und Zeugung eines Stammhalters, das sind so die Probleme, vor denen das junge Herrscherpaar wider Willen steht. In mehreren Varianten spielt Lina Beckmann diese Konfliktlösung durch, während an der Bühnenrückwand im Video eine fröhlich hippieske Beachparty mit dem ganzen Thebaner Clan abläuft. Hier bekommt man schon mal einen kleinen Vorgeschmack, auf das, was noch an Tragödie in diesem Labdakiden-Zyklus steckt und wer die ProtagonistInnen sind. Und über allem schwebt der fiese Schrei der Sphinx, den Beckmann immer wieder ertönen lässt.
|
Laios von Roland Schimmelpfennig - am Deutschen Schauspielhaus Hamburg Foto (C) Monika Rittershaus
|
*
Wie gerade bekanntgegeben, wurde Schimmelpfennigs Laios-Text auch für den diesjährigen Mülheimer Dramatikerpreis nominiert. Der Autor kann sich hier freier in der Auslegung des Plots bewegen als in den Fortsetzungen des Ödipus- und Antigone-Stoffs, die trotz ebenso begeistert aufspielenden Stars doch recht konventionelle dramatische Serienkost geworden sind. Über den gesamten ANTHROPOLIS-Marathon steht herausragend allein Lina Beckmann mit diesem kleinen, tatsächlich bemerkenswerten Solo. Und wie in Hamburg, wird sicher auch das Berliner Theatertreffen-Publikum der Ausnahmeschauspielerin in Standig Ovations den gebührenden Respekt dafür zollen.
|
p. k. - 19. März 2023 ID 14669
Laios (Deutsches Schauspielhaus Hamburg,, 16.03.2024)
ANTHROPOLIS II von Roland Schimmelpfennig
Regie: Karin Beier
Bühne: Johannes Schütz
Kostüme: Wicke Naujoks
Musik: Jörg Gollasch
Licht: Annette ter Meulen
Video: Voxi Bärenklau
Dramaturgie: Sybille Meier
Mitarbeit Bühne: Anna Wörl
Mitarbeit Kostüme: Teresa Heiß
Mit: Lina Beckmann
Film: Lina Beckmann, Goya Brunnert, Josefine Israel , Ernst Stötzner, Julia Wieninger und Michael Wittenborn
UA war am 29. September 2023.
Weitere Termine: 13., 26.04. / 09., 25.05.2024 und beim tt
Weitere Infos siehe auch: https://schauspielhaus.de/
Freie Szene
Neue Stücke
Premieren (an Staats- und Stadttheatern)
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
RUHRTRIENNALE
TANZ IM AUGUST
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|