SALZBURGER FESTSPIELE 2023
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Gegen den Chor
der Intoleranz
anlaufen
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Nathan der Weise bei den Salzburger Festspielen 2023 | Foto (C) Monika Rittershaus
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Bewertung:
Lessings Drama Nathan der Weise hat seinen unbestrittenen Platz in der deutschen Aufklärung. Es ist Schulstoff und wird immer wieder gern als Aufruf zur Toleranz gegenüber andersgläubigen Minderheiten gelesen. Heute wäre eher Akzeptanz oder besser noch Respekt gefragt. „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“ ist auch ein immer wieder bemühtes Zitat. Dem ist nach wie vor nicht immer so in einem demokratischen Staat, in dem nach jüngsten Hochrechnungen 20 Prozent eine offen rechtspopulistische Partei wählen würden. Was für Deutschland die AfD, ist für Österreich die FPÖ. Besonders der Antisemitismus hat in beiden Ländern eine unrühmliche Tradition.
Im Auftrag der SALZBURGER FESTSPIELE hat sich nun Regisseur Ulrich Rasche Lessings Toleranz-Stück aus dem Jahr 1779 vorgenommen. Der Kern des Dramas ist die sogenannte Ringparabel, die der reiche jüdische Kaufmann Nathan dem Sultan Saladin auf dessen berechnende Frage nach der einzig wahren Religion erzählt. Drei nichtunterscheidbare Ringe aus der Hand eines liebenden Vaters an seine drei Söhne vergeben, stehen hier als kluges Gleichnis für den Streit der drei monotheistischen Religionen des Islams, Juden- und Christentums. Das Stück spielt zu Zeiten der christlichen Kreuzzüge in Jerusalem, einer historischen Nahtstelle zwischen Okzident und Orient. Der Jude Nathan hat, obwohl seine Familie einem Pogrom von Christen zum Opfer fiel, Menschlichkeit bewiesen und eine christliche Waise erzogen, gerät dadurch aber zwischen die weltlichen und religiösen Mächte.
Rasche eliminiert alles Historisierende wie passende Kulissen und Kostüme aus seiner Inszenierung. Gespielt wird im vom Regisseur entworfenen Bühnenbild auf der fast leeren Drehbühne, die in drei Scheiben, die sich mit- und gegeneinander bewegen können, untergliedert ist. Darüber schweben drei ineinandergestaffelte Ringe, an denen schmale, bühnenhohe Wandscheiben befestigt sind. Sie drehen sich mit der Bühne und bilden durch Licht imaginierte Nebelwände, die sehr eindrucksvoll sind. Die Zeit der überwältigenden Bühnenmaschinerien Rasches scheint aber endgültig vorbei zu sein.
Beeindruckend ist auch wie immer das Zusammenspiel von rhythmisch aufgesagtem Text, zu dem sich das Schauspielensemble gegen die Drehrichtung der Bühne bewegt, und der sie begleitenden, von Nico van Wersch komponierten Musik. Ein kleines Orchester von fünf MusikerInnen an Bass, Keyboard und Schlaginstrumenten unterlegt den Text mit einem unterschwelligen, dann aber wieder Spannung aufbauenden Soundteppich. Die Inszenierung fokussiert hier ganz konzentriert auf Lessings im Blankvers geschriebenen Text, der trotz seiner antiquierten Sprache gut verständlich bleibt. Ein typisches Rasche-Überwältigungs-Gesamtkunstwerk, das trotz zurückgenommener Intensität mit seinen 4 Stunden und einer Pause dem Publikum auch viel an Durchhaltevermögen abverlangt.
Eine weitere Besonderheit der Inszenierung ist, dass Rasche den Nathan mit einer Schauspielerin besetzt hat. Valery Tscheplanowa ist relativ kurzfristig für die erkrankte Judith Engel eingesprungen. Das bemerkt man aber keine Sekunde. Ein Glücksgriff, der die Inszenierung zusätzlich von unnützem Diskursballast über alte weiße und/ oder weise Männer befreit. Zum Ereignis wird, wie sich Tscheplanowas Nathan und der von Nicola Mastroberardino dargestellte Saladin lauernd umkreisen. Aus zunächst unterlegener Konstellation gewinnt der umsichtige Nathan durch seine kluge Überzeugungskunst mit der Ringparabel die Zuneigung des sichtlich verblüfften Sultans. Auch in weiteren Dialogen mit dem ins Zweifeln über seine Glaubensvorurteile kommenden jungen Tempelherrn (Mehmet Ateşçi) wirkt diese Kraft der überlegt gebrauchten Worte.
In weiteren Rollen überzeugen Julia Windischbauer als Nathans angenommene Tochter Recha und Almut Zilcher als Saladins Schwester Sittha. Ein bis in die mehrfach besetzten Nebenrollen erstaunlicher Cast. Rasche legt die christlichen Figuren der Daja, Gesellschafterin der Recha, des Patriarchen von Jerusalem und des Klosterbruders in einem Chor zusammen (Besetzung siehe unten). Hier schwingt sich der Volkszorn zum Chor der Intoleranz und des Hasses auf den Juden Nathan besonders in der Person des christlichen Patriarchen von Jerusalem auf. Seine markigen Worte „Tut nichts! Der Jude wird verbrannt“, ergänzt Rasche mit Zitaten der Aufklärer Voltaire und Fichte (nebst Beitrag im Programmheft), die den Juden in ihrem Toleranzdiskurs zwar Menschenrechte, zugestehen wollten, weitreichende Bürgerrechte aber nur um den Preis der vollständigen Assimilierung.
Das trifft auch heute noch den Kern der Debatte um Toleranz und Integration. Humanismus als Sonntagspredigt. Von Schwarz zu weiß wechseln hier am Ende die Kostüme. Bei der versöhnenden Familienzusammenführung von Recha und dem Tempelherrn, die sich als Geschwister erweisen, mit Saladin und Sittha als Onkel und Tante im Kreis des Chors steht der Jude Nathan wieder nur am Rand. Aus der Ringparabel um die Kraft des wahren Rings, der sich im vorurteilsfreien Wettstreit der drei Brüder erweisen mag, bleibt hier nur das von Valery Tscheplanowas gestammelte „Zu Hilf'!“
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Nathan der Weise bei den Salzburger Festspielen 2023 | Foto (C) Monika Rittershaus
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p. k. - 5. August 2023 ID 14321
NATHAN DER WEISE (Perner Insel, Hallein, 02.08.2023)
Regie und Bühne: Ulrich Rasche
Komposition: Nico van Wersch
Kostüme: Sara Schwartz
Chorleitung: Toni Jessen
Licht: Alon Cohen
Sounddesign: Raimund Hornich
Dramaturgie: Sebastian Huber
Mit: Valery Tscheplanowa (als Nathan), Julia Windischbauer (als Recha), Nicola Mastroberardino (als Sultan Saladin), Almut Zilcher (als Sittah), Mehmet Ateşçi (als junger Tempelherr) sowie den Musikern Carsten Brocker, Christopher Lübeck, Katelyn King, Špela Mastnak, Thomsen Merkel u.a.
Premiere war am 28. Juli 2023.
Weitere Termine: 05., 07., 09., 11., 12.08.2023
Eine Produktion der Salzburger Festspiele
Weitere Infos siehe auch: https://www.salzburgerfestspiele.at/
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