Russische
Wochen (2)
DER SCHNEESTURM nach Vladimir Sorokin
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Bewertung:
Was sonst kaum noch irgendwo möglich ist: Russische und deutsche Schauspielerinnen und Schauspieler spielen gemeinsam auf einer Bühne russische Gegenwartsliteratur, die auf Tschechow, Tolstoi oder Gogol anspielt. Möglich gemacht haben es die Salzburger Festspiele unter der Schauspielleitung der Exilrussin Marina Dawydowa, die zwar auch schon wieder geschasst ist (eine andere Geschichte), aber mit dieser Zusammenarbeit der KIRILL & FRIENDS Company mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus sicher ein Zeichen gesetzt hat. Nun, Kirill Serebrennikov ist auch jeder Nähe mit Putins Regime und dessen Krieg gegen die Ukraine vollkommen unverdächtig und nach den juristischen Repressionen gegen ihn selbst seit einiger Zeit im deutschen Exil. Genau wie der Schriftsteller Vladimir Sorokin, der gerade eben seinen 70. Geburtstag im Berliner Exil begangen hat. Regisseur wie Autor sind im Westen durchgesetzt und das jeder auf seinem Gebiet durchaus zurecht.
Serebrennikov hat immer wieder für das Thalia Theater Hamburg russische Stoffe wie Tschechows Novelle Der schwarze Mönch, die Erzählung der Wiy des ukrainischstämmigen Russen Gogol oder das selbstgeschriebene Stück Legende über den russischen Kultregisseur Sergey Paradjanov inszeniert. Nun hat er sich den bereits 2010 von Vladimir Sorokin geschriebenen Roman Der Schneesturm (Originaltitel: Метель) für eine Bühnenadaption ausgesucht. 2010 gab es auch eine erste Adaption von Sorokins Roman Ljod (Das Eis) bei den Wiener Festwochen. 2012 ist Der Schneesturm erstmals in einer Übersetzung von Andreas Tretner bei Kiepenheuer & Witsch erschienen. Diese Übersetzung liegt auch der Bühnenfassung von Kirill Serebrennikov zu Grunde.
Schneestürme gab es in der russischen Literatur zuhauf, etwa bei Puschkin, Tolstoi oder Bulgakow. Sorokins Roman spielt auch darauf an. Ein Landarzt, wie er z.B. auch bei Tschechow vorkommt, begibt sich im tiefsten Winter auf eine Schlittenfahrt in den abgelegenen Weiler Dolgoje, wo er die Einwohner gegen eine epidemische Krankheit, die die Leute zu Zombies macht, impfen soll. Kurz vor dem Ziel gibt es keine frischen Pferde mehr, und Dr. Garin muss die Hilfe eines kauzigen Fahrers mit Spitznamen „Krächz“ und seines Mobils, gezogen von lauter Zwergpferdchen, annehmen. Der Roman spielt in einem russischen Nirgendwo in einer unbestimmten Zeit, in der es Riesen, Zwerge, besagte „Pferdis“ und auch riesige, wie Häuser große Pferde sowie sagenhaft „lebend gebärende Fasern“ gibt. Eine Parabel auf das postsowjetischen Russland, das wie Regisseur Serebrennikov meint, für die Menschen in der Provinz weit ab des Kremls durch die Weite des Raums geprägt ist. Der Schneesturm als unumstößliche Naturgewalt, mit der man durchaus auch Putins Machtgefüge vergleichen könnte. Wer sich ihr entgegenstellt, kommt darin um, oder zumindest wie Garin nie ans ersehnte Ziel.
Ganz so überdeutlich machen es weder Sorokin noch Serebrennikov. Roman wie Inszenierung bleiben wundersames Naturmärchen, ironische aber auch philosophische Parabel auf Gott, den Sinn des Lebens, das Gute wie Schlechte im Menschen und den täglichen Kampf ums kleine Glück. Was bei Sorokin durch eine spezielle mal derbe, mal poetische Sprache glänzt, wird bei Serebrennikov in eine opulente Bebilderung mit Livevideo, dauerhaftem Schneegeriesel, Livemusik, Tanz, Gesang und Puppenspiel überführt. Und das leider nicht immer nur zum Besseren. Die Bühne von Serebrennikov ist relativ zentral auf einen höhergestellten Doppelsitz als Schneemobil auf einem runden karusselartigen Gestell mit Miniaturpferden ausgerichtet. Links und rechts davon hängen zwei runde Videoscreens. Darüber ein bühnenbreites Videoband, auf das von einem Laufsteg an der Bühnenrampe die Handlung gedoppelt mit kleinem Schneemobil, Holzpferdchen und Stabpuppen projiziert wird.
Die beiden Akteure Doktor Garin (August Diehl) und Perkhusha/Krächz (Filipp Avdeev) setzen sich immer wieder runde durchsichtige Astronautenhelme auf, an denen Livekameras befestigt sind, die die Gesichter der beiden auf die runden Screens übertragen. Der etwas mühsame Dialog der beiden so unterschiedlichen Charaktere durchzieht das Buch wie auch Serebrennikovs Inszenierung. Avdeev switcht häufig ins Russische, was nur englisch übertitelt wird. Diehl ist der ungeduldige deutsche Intellektuelle, der auf Eile drängt, aber immer wieder am stoischen Brotkutscher und der widrigen Witterung scheitert. Der Schneesturm ist hier personifiziert. Vor allem Sonja Beißwenger gibt die verführerische Schneefee, die den Doktor umschmeichelt und zum Aufgeben bewegen will. Die Truppe KIRILL & FRIENDS tanzt, singt russische Weisen und deutsches Liedgut. Auf dem Weg in den hier Langenweiler genannten Niemandsort, kommen die beiden immer wieder vom Weg ab, nächtigen bei einem streitsüchtigen Müller in Zwergengröße, der hier von einem der Darsteller mit Maske und umgehängten kurzen Beinen dargestellt wird. Seine Frau ist dagegen die pure Weiblichkeit und lullt nicht nur ihren Mann zur Nacht ein. Die Kufe des Gefährts bricht an einer magischen Pyramide, wird mit Binden und Nägeln wieder repariert und landet in der Nase eines toten Riesen.
Die Inszenierung klappert alle Stationen des 200-Seiten-Romans brav ab, ohne das daraus ein wirklicher Mehrgewinn entstehen würde. Ohne den szenischen und musikalischen (Live-Musik: Malika Maminova) Aufwand schmälern zu wollen, stellt sich schon zu Pause eine gewisse Sättigung ein. Danach dreht der Abend nochmal etwas auf, auch wenn selbst die Schlüsselszene, bei der Garin bei ein paar Dopamierer genannten Drogendesignern den wahren Wert der im Schnee gelegenen Pyramiden erfährt und in einem verschwitzten Drogentrip seine eigene Hinrichtung in einem Kessel siedenden Öls durchlebt, hier mehr oder weniger nur szenisch vorgetragen wird. Die Reue als Vorstufe zur Demut nicht nur vor der Natur, sondern dem Leben und Tod selbst, ist Sorokins bitter-süße Pille, die Serebrennikov dem Festspiel-Publikum am Ende etwas zu süßlich darreichen will.
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Der Schneesturm nach Vladimir Sorokin bei den Salzburger Festspielen 2025 Foto (C) SF/Sandra Then
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Stefan Bock - 19. August 2025 ID 15419
Der Schneesturm (Perner-Insel, Hallein, 16.08.2025)
nach Vladimir Sorokin
Regie, Bühne und Kostüme: Kirill Serebrennikov
Bühne und Kostüme: Vlad Ogay
Musik und Komposition: Alexander Manotskov
Musikalische Leitung: Daniil Orlov
Choreografie: Evgeny Kulagin und Ivan Estegneev
Videodesign: Ilya Shagalov
Live-Kamera: Frol Podlesnyi
Lichtdesign: Sergej Kuchar
Sounddesign und Ton: Viacheslav Kasianov
Dramaturgie: Birgit Lengers und Anna Shalashova
Mit: August Diehl, Filipp Avdeev, Sonja Beißwenger, Yang Ge, Belendjwa Peter, Mikhail Poliakov, Slava Serdiuchenko, Varvara Shmykova und Claudius Steffens sowie der Live-Musikerin Malika Maminova
Premiere war am 16. August 2025.
Weitere Termine: 20., 22.-24., 26.08.2025
Koproduktion der Salzburger Festspiele mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus und KIRILL & FRIENDS Company
Weitere Infos siehe auch: https://www.salzburgerfestspiele.at
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