35. Internationales Festival TANZ IM AUGUST
|
Trajal Harrell
The Romeo
|
|
Bewertung:
Der amerikanische Choreograf Trajal Harrell (seit 2019 Hausregisseur am Schauspielhaus Zürich, wo er auch das Schauspielhaus Zürich Dance Ensemble leitet) war und ist regelmäßig mit seinen Arbeiten bei TANZ IM AUGUST vertreten; zuletzt im vorigen Jahr (The Köln Concert), die Jahre vorher sahen wir auch schon Caen Amour oder Antigone Sr./ Twenty Looks or Paris is Burning at The Judson Church (L).
Jetzt war er wieder da und gastierte mit seiner Zürcher Truppe im Haus der Berliner Festspiele:
"Stellen Sie sich einen Tanz vor. Nennen wir ihn den 'Romeo', nach Shakespeares jungem Liebenden, der in entflammter Begeisterung glaubte, er könne den Tod besiegen. Stellen Sie sich diesen Tanz vor, der in der ganzen Welt bekannt wäre, obwohl niemand wüsste, wann und wo er entstanden ist. Einige würden sagen, dass er zum ersten Mal vor vielen Jahrhunderten beim Hüten von Schafen auf einer Alm getanzt wurde; andere womöglich wollen ihn auf einer ländlichen Beerdigung zum ersten Mal gesehen haben; vielleicht entstand er auch während einer Pause in einem Bergwerksschacht oder nach einem fehlgeleiteten Schuss auf einer Jagd in der nordamerikanischen Steppe; oder vielleicht tanzte die Tochter eines japanischen Fischers zum ersten Mal den Romeo, als ihr Vater nach heftigem Sturm wieder das sichere Ufer erreicht hatte.
Egal, wo der 'Romeo' entstanden wäre: Stellen Sie sich diesen Tanz vor, den Menschen aller Herkünfte, Geschlechter und Generationen, aller Temperamente und Stimmungen tanzen, wenn sie ihren Tragödien ins Auge blicken und nur noch tanzen." (Quelle: schauspielhaus.ch)
The Romeo heißt also seine neue Kreation, und (abgesehen vom Tanz an sich) eröffnete und -schloss sie sich mir als textil gewordene Augenweide. Harrell entwarf für seine Truppe und für sich Kostüme, die in ihrer blumigen Farbenpracht und zum Teil absurden Schönheit so ziemlich alles in den Schatten stellten, was ich bisher irgendwo auf irgendwelchen Bühnen sah; es müssen hunderte gewesen sein, und jedesmal, wenn seine Akteurinnen und Akteure vom "Umziehen" hinter dem orientalisch anmutenden schwarzgittrigen Gartenpavillon zurückkamen, hatten sie sich in eine neue Haute Couture gehüllt, alles weit, alles fließend... Ein einziger Rausch! (Man sah und sieht halt, wie was aussieht, wenn der Schweizer Franken locker aus der Tasche fällt.)
Vânia Doutel Vaz, Maria Ferreira Silva, Rob Fordeyn, Challenge Gumbodete, Trajal Harrell [jaja, er selbst machte auch mit], New Kyd, Thibault Lac, Christopher Matthews, Nasheeka Nedsreal, Perle Palombe, Norel Amestoy Penck, Stephen Thompson und Songhay Toldon demonstrierten diesen neuen Fantasie-Tanz. Meist per Einzelauftritt, seltener mit Partner oder im Ensemble.
Die Bewegungen sind - wie die Materialien und die Passform ihrer traumhaften Kostüme - leicht und schwebend, barfuß und auf Zehenspitzen erfolgt das, und die meist nach vorne ausgestreckten Arme, welche große "Operngesten" imitieren und gemächlich Flügelschläge, quasi wie in Zeitlupe, verüben, wirken wie ein tranceartiges Abgehobensein in körperlicher Schwerelosigkeit.
Auch sieht es oft so aus, als wenn die Tänzerinnen und Tänzer die dem Ausdruckstanz nicht unnahe Berufszunft des Mannequins persiflieren wollten - das alles freilich undispektierlich und mit sichtlich allergrößter Nachahmungs- und Spiellust.
Musikalisches kommt vom Band, ein Mix aus kitschig angereicherter "Opernliteratur", hochromantischen Rachmaninow-Akkorden auf dem Klavier, hin und wieder irgendeinem belanglosen Song und (zumeist) atmoshphärischem Geklimper à la Erik Satie.
Am Schluss der Performance verunstalten die vormals Schönen in ihren schönen Klamotten ihre schönen Gesichter, indem sie beängstigende Grimassen schneiden und sich versehrterweise verkrümmen und verbiegen - auch ein starkes Bild, was die allzumenschliche Distanz zur Illusion des ewig Schönen manifestiert; und dann benennen sie der Reihe nach, jeder Akteur für sich, einen Namen inkl. seines Geburts- und Lebensjahres [hatte ich zwar nicht verstanden, wie das insgesamt gemeint war, aber egal], ja und Harrell beendet diesen unglaublichen Wachtraum mit dem Ruf "Black out!" - Und dunkel ward's.
Noch nie sowas gesehen! Jetzt bereits mein stilles Highlight dieses 35. Festivals.
|
The Romeo von Trajal Harrell |(C) Orpheas Emìrzas/ Schauspielhaus Zürich
|
Andre Sokolowski - 13. August 2023 ID 14333
The Romeo (Haus der Berliner Festspiele, 12.08.2023)
Inszenierung, Choreografie, Bühnenbild und Kostüme: Trajal Harrell
Mitarbeit Bühnenbild: Nadja Sofie Eller
Soundtrack: Trajal Harrell und Asma Maroof
Lichtdesign: Stéfane Perraud
Dramaturgie: Katinka Deecke und Miriam Ibrahim
Mit: Vânia Doutel Vaz, Maria Ferreira Silva, Rob Fordeyn, Challenge Gumbodete, Trajal Harrell, New Kyd, Thibault Lac, Christopher Matthews, Nasheeka Nedsreal, Perle Palombe, Norel Amestoy Penck, Stephen Thompson und Songhay Toldon
Produktion: Schauspielhaus Zürich mit dem Schauspielhaus Zürich Dance Ensemble
Deutschlandpremiere bei TANZ IM AUGUST 2023
Weitere Infos siehe auch: https://www.tanzimaugust.de
https://www.andre-sokolowski.de
Ballett | Performance | Tanztheater
Musiktheater
TANZ IM AUGUST
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|