Mont Ventoux
KOR’SIA
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Bewertung:
Das Finale des diesjährigen Festivals TANZ IM AUGUST fand wie immer in der Berliner Volksbühne statt. Genau an dem Tag, an dem auch die Senatsverwaltung für Kultur die Ausschreibung für die neue Intendanz im Haus am Rosa-Luxemburg-Platz veröffentlichte:
„Gesucht wird eine erfahrene, mutige und empathische Persönlichkeit oder ein Team mit Visionen für die Leitung eines der größten Ensembletheater im Berlin des 21. Jahrhunderts.“ Vorausgesetzt wird ein „integrativer, von Vertrauen, Wertschätzung und Verbindlichkeit geprägter Führungsstil, der ein vertrauensvolles Arbeitsklima ermöglicht“.
Da ist die Latte schon mal recht hoch gelegt.
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Hoch hinaus geht es auch beim Tanzabend Mont Ventoux des spanischen Kollektivs KOR’SIA. Der in den französischen Alpen gelegene Berg Mont Ventoux (windiger Berg) wurde schon von den Kelten als heiliger Berg verehrt. Besondere Bedeutung erlangte er durch einen 1350 von Francesco Petrarca geschriebenen Brief, gerichtet an seinen Freund und ehemaligen Beichtvater Dionigi di Borgo San Sepolcro, in dem der italienische Dichter von einer Besteigung des Bergs berichtet. Die kontemplativen Seelen- und Naturbeschreibungen, die mit Reflexionen Petrarcas über sein Leben wechseln, werden als Geburtsstunde der europäischen Renaissance bezeichnet.
Davon inspiriert „begibt sich das Kollektiv KOR’SIA auf die Suche nach einem neuen Menschenbild, das den Herausforderungen unserer Zeit gewachsen ist“, wie es im Ankündigungstext heißt. Das Menschenbild verschwimmt hier erstmal recht undeutlich im Bühnennebel hinter einer Glaswand. Die Windmaschine heult, und der Electro-Sound wummert. Dazu bewegen sich die 8 noch nackten TänzerInnen sehr hektisch durcheinander. Später rückt die Wand nach hinten, und die Hektik verlagert sich in den Vordergrund. Die Truppe schreitet nun einzeln oder in Gruppen von links nach rechts oder schiebt sich im Einkaufswagen über die Bühne. Der neue Mensch als Konsum-Produkt. Recht viel klarer wird diese performative Bergbesteigung im Nebel aber nicht. Nur einmal ist auch das Bergmassiv als Videoprojektion an der Bühnenrückwand zu sehen.
Erst im zweiten Teil des einstündigen Abends wirkt der Tanz ruhiger, die Elektroklänge werden meditativ. Die TänzerInnen wechseln von innen nach außen, beobachten sich. Der neue und der alte Mensch begegnen sich, und auch ein Plüschtier mit langen Ohren schaut aus dem Glaskasten dem Treiben zu. Doch die aufkommende Kontemplation wird immer wieder durch sägende Technobeats unterbrochen. Wilde Bewegungen und Kämpfe im Stroboskoplicht wechseln mit harmonischem Reigen im klassischen Gruppenballett. Klarer wird es an diesem Abend nicht. Trotzdem viel Jubel und Beifall für eine stark verrätselte Körper- und Seelenschau.
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MONT VENTOUX mit dem spanischen Kollektiv KOR´SIA | Foto (C) Maria Alperi
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Stefan Bock - 2. September 2024 ID 14898
MONT VENTOUX (Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, 30.08.2024)
Idee, Choreografie & Künstlerische Leitung: Mattia Russo und Antonio de Rosa
Dramaturgie: Agnès López-Río
Szenografie: Amber Vandenhoeck mit KOR'SIA
Musikkomposition: Alejandro Da Rocha und Raquel Tort Vázquez
Kostümbild: Luca Guarini mit Aitor Goikoetxea und Levi’s
Mit: Benoît Couchot, Angela Demattè, Samuel Dilkes, Emilie Leriche, Helena Olmedo (nicht performend), Andrew Scott, Dovydas Strimaitis, Ana Van Tendeloo und Edoardo Brovardi
Eine Produktion von KOR’SIA n Kooperation mit der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
Weitere Infos siehe auch: https://www.tanzimaugust.de
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