Wiedergutmachungstheater
YOU CAME, YOU SAW - EIN NO ESCAPE ROOM von Ayşe Güvendiren
|
Bewertung:
Ein Stück über institutionellen Rassismus:
„Ausgehend von Recherchen und Interviews mit Betroffenen und Opfern rechter Gewalt untersucht sie (die Autorin), wie staatliche Behörden und Instanzen bei der Ermittlung gegen rassistisch motivierte Verbrechen versagen.“ (Quelle: staatsschauspiel-dresden.de)
Darf man das überhaupt schlecht finden? Ja. In diesem Falle: Man muss.
Eine weißgeflieste Bühne (Theresa Scheitzenhammer), in der Mitte fährt regelmäßig ein Tor hoch, ein ebenso steril anmutendes Podium, nicht mehr als fünfmalfünf Meter fährt vor und dient den etwa ein Dutzend Szenen als Spielfläche.
Zuvor noch eine längliche Ansprache einer Clownsmaske per Video (Cana Bilir-Meier & Tizian Stromp Zargari), die Kundigere als ich sicher einer Figur aus einer Gruselserie zuordnen könnten. Der Programmzettel („Heft“ kann man das im Kleinen Haus schon lange nicht mehr nennen, immerhin wird er kostenlos verteilt) verweist auf „Jigsaw“; von mir aus, so wichtig ist das auch nicht. Jedenfalls erklärt die Maske, dass da gleich sehr schlimme Dinge zu erleben sein werden, und verweist darauf das Theater jederzeit verlassen zu können. Der Hinweis ist berechtigt, wie sich später zeigt, wenn auch aus anderem Grund.
Es werden Szenen, nun ja, nachgestellt, die sich im Umfeld von rassistischen Anschlägen in Deutschland seit den Neunzigern zugetragen haben. Dazwischen gibt es immer Erläuterungen der erwähnten Clownsmaske, die regelmäßig das Folgende mit einer Bedeutung ausstattet, die dann zumeist nicht im Ansatz erreicht wird.
Im Blickpunkt stehen dabei die Angehörigen, die das Agieren von Staat und Polizei oftmals als „Anschlag nach dem Anschlag“ empfinden. In vielen Fällen ist das plausibel, ergreifend und nachvollziehbar, bei anderen ist die Fallhöhe zu tatsächlich erlebtem Leid doch recht groß. Aber auch diese werden unterschiedslos in den Topf des institutionellen Rassismus geworfen, was die wirklich inakzeptablen Handlungen und Begebenheiten leider erheblich relativiert. Man muss nicht aus jeder Überforderung eines Polizeibeamten eine staatliche Strategie vermuten, und das Chaos, das kurz nach dem Anschlag im OEZ München 2016 herrschte, ist sicher kein Beleg für das absichtsvolle Vertuschen fremdenfeindlicher Straftaten. Aber es kommt leider so rüber, zumal die damals wirklich gute Krisenkommunikation der Polizei, die auch zurecht dafür ausgezeichnet wurde, als Beweis dafür herhalten muss. Auch als gutwilliger Zuschauer schüttle ich da meinen Kopf, um Fassung ringend.
Leider ist die völlige Ahnungslosigkeit der Autorin und Regisseurin (Ayşe Güvendiren) in puncto Polizeiarbeit und Krisenmanagement in vielen Fällen die Basis der anklagenden Inszenierung. Da werden Dinge nebeneinandergestellt, die von bewusster Vertuschung (Kassel, Hanau) bis zum Im-Dunkeln-tappen der Ermittler (Nürnberg, Köln) reichen. Ja, wenn es kein offensichtliches Motiv gibt, dann ermittelt die Polizei eben in alle Richtungen, und dazu gehören nun auch mal mögliche Strukturen der organisierten Kriminalität. Es ist wohlfeil und einfach heute zu behaupten, man hätte bei den ersten NSU-Morden eindeutig die Nazi-Szene als Täter erkennen können, wahr wird es dadurch dennoch nicht.
Vom generell schwierigen Grundansatz der Inszenierung abgesehen, ist aber auch die Theatralik des Abends äußerst niveaulos. Philipp Grimm, Philipp Lux, Sarah Schmidt und Lukas Vogelsang als Darstellende sind sowas von unterfordert, sie haben nichts zu spielen, nur aufzusagen. Und gefühlt die halbe Zeit der Aufführung nimmt eine bedeutungshubernde Musik (Torsten Knoll) ein, die von einigen Lichtspielen (Olivia Walter) ergänzt wird. Alberne Kostüme (Melina Poppe) runden das Bild ab.
Das Publikum wird hier mit der Keule des Mitgefühls in Geiselhaft genommen, um sich anderthalb Stunden eine unausgegorene Anklage gegen den Staat und wen-auch-immer anzuschauen. Gut Gemeintes ist selten gut, was leider hier erneut bewiesen wurde.
„Die Regisseurin Ayşe Güvendiren beschäftigt sich in ihren Projekten immer wieder mit der Frage, wie Opfer rechter und rassistischer Gewalt in unserer Gesellschaft zu Wort kommen. Wie kann ihre Realität hör- und erfahrbar gemacht werden?“ (Quelle: dto.)
Auf diese Weise sicher nicht.
|
You came, you saw – Ein No Escape Room von Ayşe Güvendiren - am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Sebastian Hoppe
|
Sandro Zimmermann - 16. Juni 2025 ID 15307
YOU CAME, YOU SAW - EIN NO ESCAPE ROOM (Kleines Haus 1, 14.06.2025)
von Ayşe Güvendiren
Regie: Ayşe Güvendiren
Bühne: Theresa Scheitzenhammer
Kostüme: Melina Poppe
Musik und Sounddesign: Torsten Knoll
Video: Cana Bilir-Meier und Tizian Stromp Zargari
Lichtdesign: Olivia Walter
Dramaturgie: Kerstin Behrens und Tassilo Pyko
Mit: Philipp Grimm, Philipp Lux, Sarah Schmidt und Lukas Vogelsang
UA am Staatsschauspiel Dresden: 14. Juni 2025.
Weitere Termine: 20., 29.06.2025
Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsschauspiel-dresden.de
Post an Sandro Zimmermann
teichelmauke.me
Neue Stücke
Schauspielpremieren
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
AUTOR:INNEN- THEATERTAGE
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
THEATERTREFFEN
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|