ja nichts ist ok
René Pollesch und Fabian Hinrichs zeigen an der Berliner Volksbühne eine gespaltene Dreier-WG mit viel Weltschmerz und Knautschlackledersofa-Depression
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Bewertung:
Zwei Dramatiker uraufführen ihre neuen Stücke an einem Sonntagabend. Wann hat es das zuletzt in Berlin gegeben? Das für Januar an der Volksbühne angesetzte Fabian Hinrichs-Solo von René Pollesch musste leider krankheitsbedingt verschoben werden. Und so kam es zu diesem denkwürdigen Doppel. Mit einem schnellen Taxifahrer hätte man es vielleicht sogar von der bereits um 18 Uhr angesetzten Premiere am Rosa-Luxemburg-Platz in Mitte zur 20-Uhr-Premiere von Falk Richters Bad Kingdom nach Wilmersdorf an die Schaubühne am Lehniner Platz geschafft. Doch dazu später.
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Nachdem Pollesch/Hinrichs 2022 im postpandemischen Frühling nicht ganz ernst gemeint Geht es dir gut? gefragt hatten, kommt nun nicht ganz postwendend knapp zwei Jahre später die Antwort: ja nichts ist ok. Was allerdings auch nicht ganz so ernst gemeint zu sein scheint. Es beginnt mit einem furiosen Suizid-Versuch mit Theatermesser auf offener Bühne und endet mit einem Erste-Klasse-Begräbnis unter Mitthilfe von 13 StatistInnen. Fabian Hinrichs als multipler Schmerzensmann einer Berliner Dreier-WG performt sich tapfer leidend durch dieses neuerliche Befindlichkeitslamento des zunehmend gramgebeutelten Dramatikers und Volksbühnen-Intendanten René Pollesch.
Wohl eher „janüscht is ok“ würden die Kummer gewohnten, am selbigen Sonntag zum Teil erneut an die Wahlurne gerufenen echten BerlinerInnen sagen. Dazu hat Anna Viebrock in alter Volksbühnentradition einen offenen Doppelbungalow auf die Drehbühne gestellt. Davor wirft sich Hinrichs in einer Art dissoziativem Kampf mit sich oder einer anderen Persönlichkeit „Hilfe! Hilfe!“ und „Sag es! Sag es!“ schreiend in den Pool. Der Schauspieler mimt hier den Erzähler sowie die drei Mitglieder einer Wohngemeinschaft, das für die zwischen Zwanzig und Vierzig befindlichen GroßstädterInnen wohl immer noch gebräuchlichste da günstigste Wohnmodell. Denn sie wollten ja nicht in Brieselang, sondern im Zentrum leben. Wobei die am Wochenende gelegentlich sicher ganz gerne mal im schönen Havelumland im Grünen abraven würden. Aber das kommt später.
Bei Pollesch/Hinrichs spielt sich alles in und um den Bungalow ab. Die Dreier-WG aus Claudia, Paul und Stefan steckt in der Krise. Nicht nur Sepsis, Wurzelbehandlung und überall herumliegende Haare und Kleiderhaufen prägen ihren Alltag, sondern mittlerweile auch der zweite Krieg in Folge, wie man hört. Zur eigenen Egozentrik kommt eine zunehmend in zwei unversöhnliche Lager gespaltene Wahrnehmung der Wirklichkeit. Dazu ein ständiger Bekenntniszwang. Das lässt vor allem Paul in einen immer größeren Weltschmerz fallen. Der Pedant und Ignorant Stefan manifestiert die Spaltung mit einer Mauer aus Postpaketen. „Das ist die Welt, die ich mir bauen will!“ Statt gecancelt zu werden, ziehen Paul und Claudia per Airbnb in einen Bungalow mit Pool, wo allerdings Stefan und die Erkenntnis, dass man dem ganzen Elend nicht entkommen kann, bereits auf die beiden wartet.
Soweit zum dünnen Handlungsgerüst. Dahinter steckt allerdings etwas mehr als ein zur Belustigung des Publikums multiple im zweigeteilten Bademantel herum hüpfender Fabian Hinrichs. Pollesch lädt neben kleinen Witzchen seinen Text mit reichlich Pathos auf. Besonders sein Gefühls-Protagonist Paul frönt im nächtlich dunklen Bett seiner Knautschlackledersofa-Depression. „Ich sterbe in Einsamkeit und Scheiße. Claudia!“ Da hilft auch kein intelligenter, sprechender Kühlschrank. „Vor 560 Millionen Jahren war das Leben noch gewaltfrei“, erfahren wir im letzten Teil des Abends. Da schwammen noch Gliederfüßler friedlich im Wasser herum. Wie dieser Friedensprozess wiederbelebt werden kann, ist die große Frage des Abends. Aber der neben dem Bungalow aufgetürmte Pappmaché-Steinhaufen wirkt da eher wie eine dumpfe Vorahnung künftiger Zivilisationsgewalt. Vom Faustkeil zur Waffe, vom Rad zum Panzer. Bereits in seinem Stück Der perfekte Tag ließ René Pollesch Fabian Hinrichs über den menschlichen Fortschritt philosophieren. An diesem denkwürdig langatmigen Abend haben die beiden das Rad nicht gerade neu erfunden. Ist das Scheitern der Wohngemeinschaft als Metapher für die gespaltene Gesellschaft auch das Ende einer großen Künstlergemeinschaft?
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ja nichts ist ok von Pollesch/Hinrichs an der Volksbühne Berlin | Foto (C) Thomas Aurin
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p. k. - 13. Februar 2024 ID 14600
ja nichts ist ok (Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, 11.02.2024)
von Pollesch/Hinrichs
Text: René Pollesch
Bühne: Anna Viebrock
Kostüme: Tabea Braun
Licht: Frank Novak
Dramaturgie: Johanna Kobusch
Mit: Fabian Hinrichs sowie den Statistinnen und Statisten Nadine Ahlig, Marion Lanzerstorfer, Klaus Schneider, Lotte Selier, Alex Sommerfeldt, Oliver Walter, Farid Fleschmann, Estanislao Gonzalez, Eva Günther, Helene Hendrikje Hager, Kristina Hartmann, Sonja Holst und Ingeborg Koch
UA war am 11. Februar 2024.
Weitere Termine: 15., 25.02. / 09., 23.03.2024
Weitere Infos siehe auch: https://www.volksbuehne.berlin
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