Sarah Kilters
Beziehungskomödie
als knallige Farce
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Von Wunden und Wundern in der Diskothek des Schauspiels Leipzig | Foto (C) Rolf Arnold
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Bewertung:
Die Berliner Dramatikerin Sarah Kilter wurde 2022 zur Nachwuchsdramatikerin des Jahres gewählt. Ihr Stück White Passing war eines der drei bei den Berliner Autor:innentheatertagen 2021 ausgewählten Stücke und wurde dort in Koproduktion mit dem Schauspiel Leipzig uraufgeführt und auch zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. Nun hat Sarah Kilter ein neues Stück als Auftragswerk für das Schauspiel Leipzig geschrieben. Verschnitt die Autorin in White Passing noch selbstreflexiv Fiktives mit dem eigenen Leben zwischen Charlottenburg und Wedding, so hat man es in Von Wunden und Wundern mit einem fast schon konventionellen Dialogstück über ein Paar in der Krise zu tun. Das allerdings auch als auf Pointe geschriebene Beziehungskomödie daherkommt.
Uraufführungsregisseur Marco Damghani lässt das Stück dann gleich als knallige Farce spielen. Es geht schon im Foyer der Diskothek am Schauspiel Leipzig los. Sonja Isemer erklimmt den Tresen und stellt sich als staatlich geprüfte Wundergutachterin vor, die eine statistische Erhebung im Publikum machen will. Wer gläubig ist, soll die linke Hand heben (nicht die Rechte, man sei schließlich in Sachsen). Wer an Wunder glaubt desgleichen. Sehr erfolgreich ist die Fragerin im eher ungläubigen Osten Deutschlands nicht. Ein Wundergläubiger gibt zumindest die Geburt seines Sohnes als ein solches an. Dann darf das Publikum in den Zuschauerraum, wo vorn ein in der Mitte gespiegeltes Wohnzimmer aufgebaut ist (Bühne: Hugo Gretler). Der Eingangsdialog eines Paars Anfang Dreißig wird als Schattenspiel hinter den transparenten Eingangstüren gespielt.
Er (Roman Kanonik) hat Probleme beim Sex und fürchtet an der Krankheit zu leiden, nur bei tätowierten Frauenkörpern kommen zu können. Sie (Paulina Bittner) zeigt zunächst Verständnis, will sich aber nicht tätowieren lassen. Seine momentane Potenzstörung ist auch nur der Anfang. Es zeigen sich bald andere unbeackerte Baustellen im Beziehungsleben der beiden, die nun im Folgenden ausdiskutiert werden sollen. Sie hat nämlich auch ein paar Probleme und verlässt die heimische Komfortzone nur noch, um zum Amazon-Locker vor dem Haus oder zu ihrem Osteopathen Max zu gehen:
„750 Euro warm kostet unsere Freiheit und Sicherheit. Ich will dich und Lieferservice und medizinische Onlinesprechstunde und eine riesengroße Mauer drumherum.“
Die Generation Homeoffice funktioniert nur noch in den eigenen vier Wänden, außer das Internet versagt den Dienst. Und statt Pornos im Netz zu sehen, müssen sich die beiden nun mit Rollenspielen bei Laune halten.
Kostümbildnerin Ragna Hemmersbach hat das Paar wie zwei Nager in ihrem Bau mit spitzen Ohren, Nasen und behaarten Beinen ausstaffiert. Großartig auch die Bananenstiefel und Mandarinenschuhe. Sie knabbern Möhren oder Salat und kratzen sich beim Reden jeder in seinem Teil der Wohnung. Das funktioniert eine Weile ganz gut. Die Pointen fußen hauptsächlich auf den üblichen Klischees von sich für modern und kultiviert haltenden Großstädtern. Das Publikum ist amüsiert. Er ist geschieden und hat einen Sohn, der ihn nicht sehen will. Sie träumt vom gemeinsamen Heim, möchte aber kein Kind mit ihm haben. Der Disput wird zur großen Abrechnung, bei der jeder dem anderen vorhält, nicht verstanden zu werden. Da gibt es mehr Wunden als Wunder. Als Er schließlich gehen will, um Ihr ihren hart erarbeiteten Platz zurückzugeben, klingelt es an der Tür und die Wundergutachterin Frau Hunzen purzelt unverhofft in das Geschehen. Die beiden halten sie aber zunächst noch für die Technikerin von der Telekom, die den kaputten Internetanschluss reparieren soll.
Was eigentlich der Katalysator für ein „kleines oder größeres Wunder“, wie es im Einführungstext zum Stück auf der Website lautet, dienen soll, macht die Sache aber nicht wirklich besser. Echte Wunder hat die ebenso problembeladene Gutachterin nämlich auch noch nicht gesehen. Und so führt der verzweifelt geführte Kampf um den Erhalt der Beziehung, den Sie nun beherzt auch mit Hilfe einer Tigerkatze als letzte Chance ergreift, immer weiter ins Chaos. Marco Damghanis beherztem Zugriff ist es zu verdanken, dass diese relativ harmlose Trash-Comedy um eine recht banale Beziehungskrise für viel komödiantisches Schauspielfutter sorgt. Ein weiterer witziger Diskurs des Paars mit Symbolen wieder als Schattenspiel hinter der Tür sorgt für Unterhaltung. Das ein gewisser Ernst hinter dem Durcheinander, das sich schließlich als amtliche Verwechslung herausstellt, stecken könnte, möchte man gerne glauben. Aber ein kleines Theaterwunder bleibt wie im Stück leider aus.
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Von Wunden und Wundern in der Diskothek des Schauspiels Leipzig | Foto (C) Rolf Arnold
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Stefan Bock - 15. September 2024 ID 14916
VON WUNDEN UND WUNDERN (Diskothek, 14.09.2024)
von Sarah Kilter
Regie: Marco Damghani
Bühne: Hugo Gretler
Kostüme: Ragna Hemmersbach
Dramaturgie: Georg Mellert
Mit: Paulina Bittner (als SIE), Roman Kanonik (als ER) und Sonja Isemer (als HUNZEN)
UA am Schauspiel Leipzig: 14. September 2024
Weitere Termine: 15., 20., 28.09./ 09., 20.10.2024
Auftragswerk des Schauspiel Leipzig
Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel-leipzig.de/
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