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Wiederaufnahme

Der Graf

heißt

Weinstein



Siebzehn Skizzen aus der Dunkelheit von Roland Schimmelpfennig - am Schauspiel Stuttgart | Foto (C) Katrin Ribbe

Bewertung:    



Warum gerade Arthur Schnitzlers vor einem Jahrhundert skandalträchtiger Reigen nicht nur für unzählige Verfilmungen und Tanzversionen die Vorlage geliefert hat, sondern auch zu immer neuen Bearbeitungen und Kontrafakturen für das Sprechtheater reizt, darüber kann man bloß spekulieren. Werner Schwab hat bereits 1995 mit Der reizende Reigen nach dem Reigen des reizenden Herrn Arthur Schnitzler den Anfang gemacht, als die Rechte an dem Drama noch nicht frei gegeben waren (Schnitzler ist 1931 gestorben), als es „Überschreibungen“ noch nicht gab und das Wort „Übermalungen“ für (Arnulf Rainers) Bilder reserviert war, als noch kein #Me Too dafür sorgte, dass man Verführung mit Vergewaltigung gleichsetzt, und die Salzburger Festspiele kündigen für kommendes Jahr eine Neufassung des Reigens von zehn Autoren aus verschiedenen Ländern an. Auch Roland Schimmelpfennig hat sich über den Stoff des Reigens hergemacht. Bei ihm heißt er Siebzehn Skizzen aus der Dunkelheit und wurde im Juli am Schauspiel Stuttgart uraufgeführt. Dann kamen die Sommerpause und Corona dazwischen. Jetzt hat das Theater die Inszenierung mit einer einzigen Umbesetzung wieder aufgenommen.

Erst vor acht Jahren haben Edgar Selge und Franziska Walser, im Privatleben ein Ehepaar, auf der selben Bühne im Alleingang sämtliche Rollen des Schnitzler-Stücks gespielt. Auf die Reduktion, die zugleich die Wandlungsfähigkeit von Schauspielern demonstrieren soll, folgt nun das Panorama. Schimmelpfennig verlegt die Handlung in die Gegenwart, „modernisiert“ die Sprache, hält sich aber weitgehend an die Konstruktion. Allerdings zerstört er durch zusätzliche kurze Szenen die geometrische Struktur des Stücks. Aus dem spießigen, klugscheißenden Ehemann wird ein „linker, aber nicht alternativer“ Intellektueller, aus dem naiven, aber berechnenden „süßen Mädel“ eine Kokain schnupfende Disco-Queen, aus dem degeneriert Grafen ein Filmproduzent. Der Soldat trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift AC/DC und raucht Elektrozigaretten. Die Regieanweisungen werden – kein eben neuer Einfall – von den Darstellern gesprochen.

Schimmelpfennig übernimmt Schnitzlers genialen Einfall, im Dunkel zu belassen, was seine antisemitischen Gegner empört und einen berühmten Prozess ausgelöst hat. Auch in der aktuellen Fassung sieht man keine Rammelei. Wann immer sie stattfindet, bleibt die leere, nur durch einen goldenen Vorhang gelegentlich nach hinten verkürzte Bühne schwarz, und das Publikum wird durch einen grellen Neonrahmen geblendet.

Die Regisseurin Tina Lanik inszeniert die Figuren als Karikaturen mit hohem Wiedererkennungswert in ständiger Bewegung und mit übertriebenen Verrenkungen. Schnitzlers Drama hat ein beachtliches Komikpotential. Wer sich davon überzeugen will, sehe sich Danielle Darrieux im Ehebett oder Gérard Philipe als Graf in der Verfilmung durch Max Ophüls an. Sie hat Maßstäbe gesetzt. Auch für die Bühne. In der Stuttgarter Adaption ist davon wenig geblieben. Sie bevorzugt das Grobe gegenüber dem Subtilen. Aber auch dafür hat schon Werner Schwab die Richtung gewiesen.

Die Schnitzler-Literatur erkennt im Reigen einen zeitgenössischen Subtext: die Weitergabe der Syphilis, die zur Zeit, als der Arzt Schnitzler das Stück geschrieben hat, noch nicht heilbar war, durch die sozialen Schichten hindurch. Da könnte man heute an Corona denken. Doch das interessiert Schimmelpfennig offenbar nicht. Muss auch nicht sein. Stellt sich bloß die Frage: worin liegt der Gewinn dieser Variante gegenüber Schnitzlers Original? Der Verfasser dieser Kritik konnte ihn nicht entdecken. Der Gerechtigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass die Bewertungen nach der Premiere fast durchweg positiv wenn nicht euphorisch ausfielen. Und zwar bezüglich des Stücks, der schauspielerischen Leistungen und auch der Regie. Wie gerne stimmte ich in den Chor ein. Es gelingt mir nicht. Not me.



Siebzehn Skizzen aus der Dunkelheit von Roland Schimmelpfennig - am Schauspiel Stuttgart | Foto (C) Katrin Ribbe

Thomas Rothschild - 19. Dezember 2021
ID 13366
SIEBZEHN SKIZZEN AUS DER DUNKELHEIT (Schauspiel Stuttgart, 18.12.2021)
Inszenierung: Tina Lanik
Bühne und Kostüme: Stefan Hageneier
Komposition: Cornelius Borgolte
Licht: Felix Dreyer
Dramaturgie: Carolin Losch
Mit: Robert Rožić, Felix Strobel, Celina Rongen, Marco Massafra, Josephine Köhler, Matthias Leja, Paula Skorupa, Valentin Richter, Sylvana Krappatsch und Evgenia Dodina
Uraufführung war am 10. Juli 2021.
Weitere Termine: 21., 28.12.2021 // 14.01., 02., 26.02.2022


Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel-stuttgart.de/


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