Alltägliche
Dramen
auf dem
Wohnungsmarkt
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Die Lage von Thomas Malle - am FWT Köln | Foto © Dieter Jacobi
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Bewertung:
Der Immobilienmarkt verzeichnet regelmäßig neue Preisrekorde. Nicht nur für Mieter steigen Preise vielfach an. Weltweit ringen Käufer um kaum noch bezahlbare Wohnimmobilien. Investoren, insbesondere aus China, kaufen auch in Deutschland reihenweise Wohnungen auf. Thomas Melle legte mit Die Lage ein Drama zum grotesk stark umkämpften Wohnungsmarkt vor, das 2020 in Stuttgart uraufgeführt wurde. Auch in Köln gibt es eine Tendenz steigender Gentrifizierung. Insbesondere in der Südstadt, in Ehrenfeld oder Nippes werden einkommensschwächere Haushalte verdrängt. In Köln inszeniert nun Kay Link das Stück am Freien Werkstatt Theater als Farce mit wechselnden Rollen in loser Szenenfolge.
Die Vorführung beginnt im Eingangsfoyer. Die Theaterbesucher werden hier vor Beginn als Kaufinteressenten angesprochen und zur Besichtigung in den Theatersaal eingelassen. Eine Maklerin (Mirjam Radovic) mit extravaganter, silbrig glänzender Turban-Kopfbedeckung (Kostüme: Gesa Gröning) lobt die Lage des Wohnraums in der Südstadt. Die Lage sei ja bekanntlich alles, so die Maklerin. Mietpreise werden genannt: Etwa 1.500 Europ koste die Monatsmiete, hinzu kämen drei Monatsmieten Provision und zwei Monatsmieten Kaution. Ein Gestell am Boden symbolisiert als eines der wenigen Requisiten auf der kargen Bühne den Grundriss einer mehrräumigen Wohnung. Die Maklerin preist im fensterlosen und ebenerdigen Theatersaal Stuck aus den 20ern und eine Ausrichtung zur Sonne hin. Prompt werden die übrigen Ensemblemitglieder in Rottönen angestrahlt. Sie wiederholen chorisch wie paralysiert: „Sonne ist gut“. Der Chor der Mietinteressenten bemüht sich sichtlich um die Gunst der Maklerin. Sie legen nacheinander umfangreiche Bewerbungsportfolien vor.
Doch da tritt der aktuelle Mieter (Charles Ripley) auf, der nun zur Vorgeschichte der Wohnung gehört. Er empört sich laut, er werde nach sechzehn Jahren raussaniert. Er schimpft, dass die Eigenbedarfskündigung eine Lüge sei. Wir erfahren im Verlauf des Stückes, dass er womöglich erst unbehaust und später im Obdachlosenheim endet. Vielleicht täuscht er aber auch erfolgreich eine Sucht vor und kommt so in einem soziotherapeutischen Heim unter.
Kay Links zeitkritische Inszenierung über Wohnungssuchende und Auswüchse der Mieterverdrängung arbeitet mit Floskeln des Fachjargons und Perspektivwechseln. Da ist die Rede vom Immobiliendarwinismus, vom Mietendeckel inklusive Solidarmodell, von Anlageobjekten, Niedrigzins-Politik oder vom freien Markt, der bekanntlich die Zwänge bestimmt. In Köln sei es auch Usus in der warmen Jahreszeit Balkone unterzuvermieten, heißt es. Ein offensichtlich wohlhabenderer Mietinteressent fragt, ob der Abort einen Flachspüler habe wie in Japan. Eine Journalistin (Anja Jazeschann) hingegen verbindet die Wohnungsbesichtigung mit einer Recherche. Sie befragt den Makler (nun Michel Kopmann), wer denn eigentlich der Eigentümer sei. Dieser gerät sichtlich ins Grübeln. Investoren und eine Schweizer Holding vielleicht; deutsche Grundbücher liegen jedoch bekanntlich unter Verschluss. Nicht nur diese Interessentin wird vergrault mit den Worten, dass sie ja nun doch wohl kein Interesse mehr habe.
Mögliche Anforderungen an potenzielle Mieter erscheinen absurd. Beim Aufnahmegespräch für eine WG-Gemeinschaft müssen sich Bewerber buchstäblich ausziehen. Es wird gefragt, ob sie Rauchen oder Schnarchen, unter nächtlicher Apnoe leiden, in Zimmerlautstärke streiten. Absurde Akustikproben mit albernem Gestöhne werden vorgeführt. Dabei kommt es zwischen Pärchen zu handfesten Streits.
Gegen Ende dominiert leider eine einseitige Perspektive arg laut. Drei der Mietinteressenten-Darsteller protestieren, ihr Leben werde verbaut und sie würden verdrängt. Der Protest richtet sich insbesondere gegen Spekulanten etwa aus dem Raum München. Bald wird der Mensch dem Menschen zum reißenden Wolf. Es kommt zum Zusammenbruch mit groteskem Röcheln. Die mit vielen Auf- und Abgängen sehr bewegte Vorführung gerät so über kurz oder lang zur allzu schrillen Farce.
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Die Lage am FWT Köln | Foto © Dieter Jacobi
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Ansgar Skoda - 19. Oktober 2021 (2) ID 13224
DIE LAGE (Freies Werkstatttheater Köln, 17.10.2021)
Inszenierung: Kay Link
Bühne und Kostüme: Gesa Gröning
Regieassistenz: Ruben Michael
Mit: Anja Jazeschann, Mirjam Radovic, Michel Kopmann und Charles Ripley
UA am Schauspiel Stuttgart: 24. April 2020
FWT-Premiere war am 9. Oktober 2021.
Weiterer Termin: 21.11.2021
Weitere Infos siehe auch: https://www.fwt-koeln.de/
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