Gemeinschaft als
ein tanzender
Körper
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Manolita Chen mit dem Beijing Dance Theater | Foto © Liu Ruirui
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Bewertung:
Ein Tänzer scheint verborgen unter einem Hut mit übergroßer, runder Krempe. Er dreht sich langsam um die eigene Achse. Dabei macht er feine Bewegungen mit gestreckten Armen und kunstvoll filigran gespreizten Fingern. Auch später liegt im Tanz der Ensemblemitglieder Yufei Han, Benchen Lin, Qintao Cai, Ziqian Qin, Menghan He, Lin Li, Yuecong Li, Jueling Zhu und Tzuying Wu Ordnung von hoher Genauigkeit. Mit einer Gleichförmigkeit der Bewegungen formen sie eindrücklich gemeinsame Körperbilder.
Ihre Gesichtszüge sind hinter weißen Farbschichten und eingefärbten Augenpartien maskenhaft verborgen, erscheinen so ausdruckslos und kalt. Ihre Oberkörper bleiben steif und unbewegt, während die Ensemblemitglieder mit trippelnden Schritten schnell über den Boden dahin gleiten. Unter den bodenlangen, schwarzen, durch eingelassene Pailletten glitzernden Röcken wird ihre Beinarbeit nicht sichtbar. Disziplinierte, oft synchrone Bewegungsabläufe wirken marionettenhaft. Wenn die Compagniemitglieder in einer Reihe stehen oder liegen, erscheinen Arme oder Beine wie mechanisch ineinander verwoben. Hier zeigen faszinierende Bilder eine gespenstische Ordnung; in kontrollierten, genau aufeinander abgestimmten Bewegungen.
Die Choreographin Yuanyuan Wang gründete 2008 das erste zeitgenössische Tanzensemble in China, das Beijing Dance Theater. Ihre etwa 14 Tänzerinnen und Tänzer absolvierten alle eine Tanzausbildung im klassischen Ballett. Die chinesische Compagnie vereinigt klassische Elemente mit Modern Dance.
An der Oper Bonn werden im Tanzgastspiel zwei abendfüllende Choreografien des Ensembles gezeigt, die aus asiatischer Sicht einen Blick auf Europa werfen.
Zunächst wird Manolita Chen (2017) vom spanischen Choreografen Marcos Morau dargeboten, der als Gast mit der chinesischen Compagnie arbeiten durfte. Der spanische Vorname „Manolita“ und der chinesische Nachname „Chen“ verweisen auf die Gründerin und Leiterin eines reisenden, chinesischen Zirkustheaters in Spanien. Die Choreographie ist inspiriert von dem, im Jahre 1950 gegründeten Wandertheater der Manolita Chen, das Zirkus mit Cabaret und Varieté verband, viele internationale Künstler beschäftigte, und 40 Jahre durch die Lande zog.
Manolita Chen verbindet Elemente des Flamenco, des Bolero und der spanischen Folklore mit Bezügen zur chinesischen Kultur und zum traditionellen chinesischen Tanz. Außergewöhnliche Körperbilder von mitunter kunstvoll ineinander verflochtenen Akteuren bleiben in Erinnerung.
Im zweiten Teil des Abends wird die Choreographie Requiem (2016) von Compagnie-Direktorin Yuanyuan Wang gezeigt. Hier beschäftigt sich Wang mit Mozarts gleichnamigem Werk, das der Komponist aufgrund seines frühen Todes nicht selbst vollendete. Der Komponist Joseph von Eybler und Mozarts Schüler Franz Xaver Süßmayr komponierten etwa ein Drittel des Requiems.
Das Licht ist teils schwach und rot gefiltert. Langsam schreiten Frauen auf einer erhöhten Ebene entlang. Sie lassen sich zu eingespielten Klängen von Mozarts Gedenkmesse fallend in die Arme ihrer männlichen Partner gleiten. Eine Tänzerin hebt sich von der Gruppe durch ein eng anliegendes, hautfarbenes Kostüm ab. Sie agiert losgelöst von der Gruppe und wirft sinnlich und lasziv rote Rosen auf den Bühnenboden. Fließend gehen ausdrucksvolle Szenen und Tableaus ineinander über. Am Ende steht ein spirituelles Schlussbild, bei dem die Tänzerinnen und Tänzer sich um ein dunkles Gerüst wie Opfergaben aufgebahrt haben.
Im ausverkauften Opernhaus werden die Akteure und die sich mit ihnen verbeugende Compagnieleiterin mit Standing Ovations bedacht. Ein dynamischer und bewegender Abend, der aufgrund einer fremdartigen Ästhetik und einem ausdrucksvollen Körpervokabular unsere Sehgewohnheiten herausforderte.
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Manolita Chen mit dem Beijing Dance Theater | Foto © Liu Ruirui
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Ansgar Skoda - 26. März 2023 ID 14118
Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de
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