Ein auf Dauer
ziemlich müder
Ulk
OPERATION MINDFUCK am Maxim Gorki Theater, Berlin
|
(C) Esra Rotthoff
|
Bewertung:
Wer bisher noch nicht wusste, was ein „Mindfuck“ ist, kann nun ins Gorki-Theater gehen und es in der neuen Produktion von Yael Ronen erfahren. Operation Mindfuck, ein Stück, das die Regisseurin gemeinsam mit dem ehemaligen Gorki-Schauspieler Dimitrij Schaad geschrieben hat, dreht sich um gezielte Desinformation, im weitesten Sinne also Fakenews, die von sogenannten Trollfabriken zumeist in sozialen Medien in Umlauf gebracht werden, um die Meinung der dortigen Nutzer zu manipulieren bzw. in Bezug auf Wahlen ganze politische Systeme zu destabilisieren. In der Hinsicht bekanntgeworden ist die angebliche Beeinflussung russischer Trollfabriken im US-Wahlkampf 2016. Ein interessantes Thema, um das es dann aber im besagten Stück nicht weiter geht, sondern eher um den Versuch einer komödiantischen Aufarbeitung zum Thema gezielte Desinformation im Netz in Form eines Ulks. Theater als großer bunter Mindfuck also, was dann ja auch irgendwie passt.
Den Titel Operation Mindfuck hat sich das Autoren-Team aus der Illuminatus!-Romantrilogie der US-amerikanischen Bestsellerautoren Robert Anton Wilson und Robert Shea entlehnt. Eine Abenteuergeschichte, die auf satirische Weise mehrere historische und fiktive Verschwörungstheorien miteinander vermengt. Und da wird auch im Stück irgendwann ziemlich fett aufgetischt. Von der als Erzählerin fungierenden Alice (Aysima Ergün) bekommt das Publikum im Schnelldurchlauf die Geschichte der Verschwörungstheorien vermittelt, die von den beiden Schauspielern Taner Şahintürk und Till Wonka hinter ihr als parodistischer Slapstick performt werden. Ein einziger LSD-Trip von den Illuminaten über die Zahl 23, das Auge der Pyramide, Lee Harvey Oswald und den Kennedy-Mord bis zu Watergate und Nazi-Zombies auf dem Grund eines Sees in Ingolstadt.
Dazu erscheint noch Orit Namias als Eris, griechische Göttin der Zwietracht, in der römischen Mythologie auch als Discordia bekannt. Mit ihrem Zankapfel löste sie den Trojanischen Krieg aus. Hier geistert sie als Hirngespinst der bekifften Robert Anton Wilson und Kerry Thornley, dem Gründer des sogenannten Diskordianismus, über die Bühne, entpuppt sich später aber als undurchsichtige, doch sehr reale Troll-Administratorin und Chefin der beiden Creative Writing und Kulturjournalismus studierenden Freundinnen Alice und Maze (Maryam Abu Khaled), die sich als Fakenews-Produzentinnen das magere Bafög aufbessern. Da bekommt Creative Writing endlich mal einen Sinn. Wenn es mit dem Stückeschreiben oder Kulturjournalismus nicht mehr klappt, kann man also immer noch als Internet-Troll reüssieren, die entsprechend starken Nerven vorausgesetzt.
Alice übertreibt das Ganze allerdings mit der Zeit etwas, gerät so selbst in den Strudel ihrer kruden Desinformationen und hat nun Angst, paranoid und ein Opfer ihres eigenen Mindfucks zu werden. So schön so gut, oder doch eher nicht. Im zweiten Strang der wirren Geschichte versucht der ominöse Max (Taner Şahintürk), ein Gegenspieler der Troll-Chefin Eris, einen volltrotteligen und dauersächselnden Typen namens Kinderkind (Till Wonka), das frühere Gesicht auf den Kinderschokoladetafeln, zum Bundeskanzler-Kandidaten aufzubauen. Das hat zumindest was Wonka betrifft einen gewissen Knallchargenhumor und verarbeitet ironisch die Medienpräsenz von Politikern zum Beispiel in Gummistiefeln in Katastrophengebieten. Das hier auch auf den Populismus á la Trump angespielt werden soll, verrät einem der blonde Wischmob auf Wonkas Kopf, ansonsten erfährt man in diesem mageren Plot herzlich wenig über die Manipulation von Wählern im Netz.
*
Es scheint, als hätte das Team Ronen/Schad in der Pandemie zu viele komische Serien gestreamt oder die ein oder andere Tüte dabei weggeknallt. Sehr passend dazu die wunderschönen psychedelischen Videoprojektionen von Stefano di Buduo, die zu passender Flower-Power-Musik über die verspiegelten Bühnenwände von Magda Willi bis in den Saal hinein wabern. Zuviel von dieser hirnvernebelnden Droge macht aber auf Dauer doch etwas müde und am Ende ziemlich gleichgültig.
|
Stefan Bock - 1. Juni 2022 ID 13652
OPERATION MINDFUCK (Maxim Gorki Theater, 29.05.2022)
Based on a true story but not really von Dimitrij Schaad und Yael Ronen
Regie: Yael Ronen
Bühne: Magda Willi
Kostüme: Amit Epstein
Musik: Yaniv Fridel, Ofer Shabi
Videodesign: Stefano di Buduo
Licht: Arndt Sellentin
Dramaturgie: Clara Probst, Yunus Ersoy und Irina Szodruch
Mit: Maryam Abu Khaled, Taner Şahintürk, Till Wonka, Aysima Ergün und Orit Namias
Premiere war am 28. Mai 2022.
Weitere Termine: 06.06. / 02.07. 2022
Weitere Infos siehe auch: http://www.gorki.de/
Post an Stefan Bock
Freie Szene
Neue Stücke
Premieren (an Staats- und Stadttheatern)
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
RUHRTRIENNALE
TANZ IM AUGUST
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|