Noch eine
Familien-
geschichte
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Peer Oscar Musinowski und Nina Siewert in Am Ende Licht am Schauspiel Stuttgart | Foto (C) Katrin Ribbe
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Bewertung:
Willkommen! Elmar Goerden ist, nach den Abweichungen des Büchner-Preisträgers Clemens J. Setz im Jahr 2018, an einen wichtigen Ort seiner steilen Karriere zurückgekehrt. Er hat in Stuttgart Am Ende Licht inszeniert. Autor ist Simon Stephens, einer der erfolgreichsten Dramatiker unserer Zeit. Im deutschsprachigen Raum hat sich Sebastian Nübling einen großen Teil der Erstaufführungen gesichert, auch der Stuttgarter Intendant Burkhard C. Kosminski hat, damals noch in Mannheim, ein Stück des heute fünfzigjährigen Engländers erstaufgeführt, und Am Ende Licht mit dem schönen Originaltitel Light Falls, der sich auf „night falls“, „es wird Nacht“ reimt, kommt in dieser Saison in der Übersetzung von Barbara Christ nach Stuttgart an mehreren Orten auf die Bühne. Diese auffällige Spielplanentscheidung könnte den Verdacht nahe legen, dass es jenseits des aktuellen Kampfes zwischen angeblich moderner Performance und Mitmachtheater auf der einen Seite und angeblich veraltetem Literaturtheater auf der anderen ein Bedürfnis nach einer Story, einer nachvollziehbaren Handlung gibt oder die Intendanten und Dramaturgen diese zumindest beim Publikum vermuten.
Und Goerden erweist sich einmal mehr als ein genauer, um Verständnis des Textes bemühter, uneitler, also nicht auf Mätzchen versessener Regisseur. Und wer das nun für verstaubt hält, möge begründen, warum er ein mit Paprika gewürztes Gulasch einem Gulasch mit eingelegten Himbeeren vorzieht. Dass es auf Kosten der Bühnenwirkung gehen muss, wenn man sich auf die Vorlage einlässt, ist Quatsch, und Goerdens Inszenierung liefert einen weiteren Beleg dafür.
Am Ende Licht besteht, der Dramaturgie Roland Schimmelpfennigs nicht unähnlich, aus einer Folge von lose mit einander verbundenen Konstellationen. Dass sie in einem Kontext stehen, der seit Tracy Letts ein Déjà vu hervorruft, lässt sich nicht verbergen. Dass sich die Familie in der Krise befindet, wissen wir eigentlich schon seit Strindberg, aber noch nie war das Theater so beflissen, uns diese Erkenntnis einzubläuen, wie zurzeit. Warum Schwule, nicht nur hier, fast ausschließlich über Sex reden müssen, als hätten sie keine Sorgen um, sagen wir, Geld oder den Arbeitsplatz, bleibt ein Geheimnis. Am Ende Licht ist ein Stück ohne Zentrum, hat keine Haupt- und Nebenfiguren. Mit seinen zehn Personen – ganz gerecht: fünf Damen und fünf Herren – ist es eine ideale Vorgabe für die Beschäftigung eines Ensembles, bei dem alle Mitwirkenden zum Zug kommen. Goerden lässt sie die Dialoge Schlag auf Schlag sprechen und ermuntert sie zu überdeutlichem gestischen und mimischen Ausdruck.
Zur Eröffnung haben Silvia Merlo und Ulf Stengl, mit denen Goerden nicht zum ersten Mal zusammenarbeitet, ein transparentes, in hellgraues Licht getauchtes Panoramaregal eines Coop-Ladens in den Hintergrund gebaut. Danach bedecken sie – ein in jüngster Zeit, zum Beispiel in der Salzburger Lulu von 2017, inflationär benutzter „Einfall“ – die leere Bühne, an deren Rand die Schauspielerinnen und Schauspieler auf ihren Auftritt warten, mit Ballons.
Beglückend ist die Wiederbegegnung mit den viel zu selten präsenten Sylvana Krappatsch und Klaus Rodewald als die lebend-tote Mutter Christine und ihr untreuer Mann Bernard. Nina Siewert darf diesmal beweisen, dass sie mehr drauf hat als den Typus der Kindfrau. Man ahnt, dass das Potential des Stuttgarter Ensembles im gegenwärtigen Spielplan nicht ausgeschöpft ist. Da gibt es Luft nach oben. Und vielleicht am Ende Licht.
Am Ende der Premiere verneigte sich der Autor mit den Darstellern vor dem Publikum, offenkundig zufrieden und guter Dinge. Corona war, jedenfalls für den Augenblick, vergessen.
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Am Ende Licht am Schauspiel Stuttgart | Foto (C) Katrin Ribbe
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Thomas Rothschild - 14. November 2021 (2) ID 13294
AM ENDE LICHT (Schauspiel Stuttgart, 13.11.2021)
Inszenierung: Elmar Goerden
Bühne: Silvia Merlo & Ulf Stengl
Kostüme: Lydia Kirchleitner
Licht: Sebastian Isbert
Dramaturgie: Ingoh Brux und Christina Schlögl
Mit: Sylvana Krappatsch, Klaus Rodewald, Katharina Hauter, Nina Siewert, Jannik Mühlenweg, Sebastian Röhrle, Marco Massafra, Marietta Meguid, Therese Dörr und Peer Oscar Musinowski
Premiere war am 13. November 2021.
Weitere Termine: 16., 17., 30.11. / 06., 13., 17.12.2021 // 01., 09., 23.01.2022
Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel-stuttgart.de/
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