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Premierenkritik

Mit dem

Holzhammer

DIE DREIGROSCHENOPER am Staatsschauspiel Dresden


Die Dreigroschenoper am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Sebastian Hoppe

Bewertung:    



Zurzeit ist viel vom Fallen von Brandmauern die Rede. Auch am Ende von Volker Löschs Neubearbeitung der Dreigroschenoper von Bertolt Brecht mit der Musik von Kurt Weill für das Staatsschauspiel Dresden. Da tritt der junge Antifa-Aktivist Jakob Springfeld aus dem sächsischen Zwickau auf und berichtet von ständiger Angst in seiner Heimatregion vor der Bedrohung durch Faschisten. Eine Brandmauer in der Zusammenarbeit mit der AfD hätte es da nie gegeben, betont er und ruft gleichzeitig zur Bildung einer zivilgesellschaftlichen Bewegung für Demokratie auf.

Was das mit Brechts Theaterstück zu tun hat, in dem es doch um die Rivalität eines sogenannten Bettlerkönigs in London mit dem Boss einer Verbrecherbande geht, will zuvor Regisseur Lösch dem Dresdner Premierenpublikum in seiner fast dreistündigen Inszenierung nahe bringen. Er hat dafür den Autor Lothar Kittstein mit einer Überschreibung des Originals beauftragt. Man muss es schon so nennen, denn von Brecht bleibt da am Ende nicht mehr viel übrig. Kittstein (in Berlin bekannt durch seine Mitarbeit an der großartigen Live-Performance mit VR-Brillen Berlau :: Königreich der Geister am Berliner Ensemble) nimmt den rotzigen Sound der Vorlage auf und überträgt die Story um den Verbrecher und Mörder Macheath, genannt Mackie Messer, in die bundesrepublikanische Gegenwart. Und nicht mehr um die Krönung des Königs in London geht es hier, sondern um eine bevorstehende Landtagswahl in Sachsen.

Nicht zum König, doch immerhin zum sächsischen Kurfürsten krönt sich Macheath aber auch noch. Und das vor kursächsischer Barockkulisse eines nachgebildeten Brunnens aus dem benachbarten Dresdner Zwinger (Bühnenbild: Cary Gayler). Soviel Lokalkolorit muss sein. Jonathan Peachum, eigentlich Inhaber der Firma "Bettlers Freund", und seine Frau (Philipp Grimm und Sarah Schmidt) sind hier die Spitzen einer Partei namens Perspektive für Deutschland (PfD). Die Analogie ist klar. Der beim Reden halten ohne Lizenz erwischte Filch (Jannis Roth), hier ein rechter Schläger mit Bomberjacke und Springerstiefeln, wird zu Beginn von den beiden im Takt des kleinen Orchesters, das sich hinter einem Gazevorhang im Bühnenbild versteckt, verprügelt. Wer hier wo rechte Parolen verbreiten darf, bestimmen die Peachums. Dagegen steht Macheath (Jannik Hinsch) mit seiner Bande, die sich aus allen möglichen Arten von Verschwörungs-Schwurblern zusammensetzt. Von der Maskenverweigerin über die Eso-Tante Jenny (Anna-Katharina Muck) bis zum Ausländerhasser und Aluhutträger ist da alles vertreten. Die Stimme der Straße, sprich Montagsdemonstranten, gegen die parteipolitische Linie der arrivierten Rechtspopulisten. Das wäre dann so der verhandelte Konflikt.

Daraufhin hat Kittstein Brechts Text umgetrimmt. Man wird hier also pausenlos mit allem möglichen rechtspopulistischen und rassistischen Gedöns zugeschwallt. Die Szenenfolge mit der Hochzeit von Macheath mit Peachums Tochter Polly (Henriette Hölzel als rechtes Punkgirl) mit besagter Krönung zum Kurfürstenpaar über dessen Verhaftung durch den Polizeichef und Ex-Kriegskameraden Tiger-Brown (Thomas Eisen), der die Bande für einen geplanten Umsturzversuch mit Waffen versorgt, bis zum rettenden Reiter, der hier einfach den Wahlsieg der PfD in einer Videoeinspielung und die Verbrüderung der gerade noch konkurrierenden Gruppierungen bedeutet. Ans Bundesverdienstkreuz sollen nun alle Feinde der PfD genagelt werden. Wer da von wem gefressen wird und wo die besungene Moral bleibt, kann sich dann jeder selbst denken, obwohl es mehr als deutlich ins Publikum gebrüllt wird. Mehr geschrien als gesungen werden zwischendurch auch die bekannten Songs zu einer recht konventionellen Musikbegleitung, die Mühe hat sich dagegen zu behaupten.

Eifersucht spielt auch hier eine nicht unerhebliche Rolle. Eso-Jenny verrät ihren Ex Macheath an die Polizei. Im Knast stehen sich dann wie bei Brecht zwei weitere Gegenspielerinnen gegenüber. Nur aus Browns Tochter Lucy wird hier ein schwuler Countertenor namens Lucyus (Georg Bochow) ebenfalls mit ordentlichem Rechtsdrall. Die Regie gibt sich viel Mühe, das Publikum mit Slapstick und Knallchargentum bei Laune zu halten. Es ist ja nicht so, dass diese Überspitzung der politischen Realität sich nicht an Ereignissen der deutschen Gegenwart orientieren würde. Brechts Vorlage geht aber durchaus über die bloße Karikatur politischer und sozialer Verhältnisse hinaus. Das Soziale ist dieser neuen Fassung aus unverständlichen Gründen allerdings gänzlich ausgetrieben worden. Auch warum die AfD mit ihrer Parolen (nun ja auch nicht mehr nur im Osten) so anschlussfähig ist, scheint das Inszenierungsteam nicht wirklich zu interessieren. Da gähnt einen wortreiche Leere an.

*

Der Umbau der Dreigroschenoper zur rechten Farce konnte laut Dramaturg Jörg Bochow „durch die großzügige und vertrauensvolle Unterstützung der Brecht-Erben und des Suhrkamp Verlags“ realisiert werden. Man glaubt es kaum. Es fühlt sich an wie ein schlechter Witz. Und selbst wenn die lokale sächsische Presse jubelt, kommt auch das dem Fall einer Brandmauer gleich und gibt einen Vorgeschmack auf das, was nach dem Erlöschen des Urheberrechts auf Brechts Stücke zukommen könnte. Seinem Ruf mit dem Holzhammer zu inszenieren dürfte Volker Lösch wieder mal gerecht geworden sein, als ernstzunehmender politischer Regisseur hat er sich damit allerdings selbst erledigt.



Die Dreigroschenoper am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Sebastian Hoppe

p. k. - 7. Oktober 2023
ID 14421
DIE DREIGROSCHENOPER (Staatsschauspiel Dresden, 06.10.2023)
Regie: Volker Lösch
Bühne: Cary Gayler
Kostüme: Carola Reuther
Musikalische Leitung: Michael Wilhelmi
Musikalische Einstudierung: Thomas Mahn
Lichtdesign: Andreas Barkleit
Tondesign: Hernán Ferrari
Dramaturgie: Jörg Bochow
Besetzung:
Jonathan Peachum ... Philipp Grimm
Frau Peachum ... Sarah Schmidt
Polly Peachum ... Henriette Hölzel
Macheath ... Jannik Hinsch
Brown ... Thomas Eisen
Jenny ... Anna-Katharina Muck
Filch ... Jannis Roth
Matthias ... Viktor Tremmel
Walter ... Sven Hönig
Jakob ... Yassin Trabelsi
Roberta ... Kaya Loewe
Lucyus ... Georg Bochow
u.a.
Premiere war am 6. Oktober 2023.
Weitere Termine: 13., 25.10./ 07., 29.11./ 08., 18.12.2023


Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsschauspiel-dresden.de


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