Schein und Sein
BEKENNTNISSE DES HOCHSTAPLERS FELIX KRULL in der Werkstatt des Theaters Bonn
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Bewertung:
Ein Hauch von Theaternebel hängt durchgehend in der Luft. Ein großer, verspiegelter und beleuchteter Schriftzug prangt mittig auf der Bühne: „cuvée“. Ausstatter Sebastian Ellrich lädt die Theaterbesucher mit dem raumfüllenden Requisit dazu ein, das vieldeutige Wort entziffern zu wollen. Das Wort aus dem Französischen entstammt dem „Cuve“ für Gärbehälter. Es ist ein Synonym für eine Assemblage oder einen Verschnittwein aus unterschiedlichen Rebsorten. Die meisten Schaumweine sind Cuvées, also Verschnitte verschiedener weißer oder weiß gekelterter roter Rebsorten. Das Verschneiden von Weinen soll die Qualität der fertigen Produkte erhöhen, gleichzeitig müssen die unterschiedlichen Rebsorten auf dem Etikett nicht vermerkt werden. Der Titelheld aus Thomas Manns Fragment gebliebenen Roman Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (1954) ist Sohn eines Schaumweinfabrikanten aus der Kleinstadt Bingen am Rhein.
Der zentral platzierte Schriftzug „cuvée“ dient effektvoll als Ort der Handlung für Begegnungen im Stück. Paul Michael Stiehler bannt als stets präsenter Titelheld die Blicke des Publikums, wenn er wie selbstverständlich um und auf diesen Bühnenelementen oder Lettern agiert. Krull erzählt zu Beginn von seinem „armen Vater“, der ein Lebemann war, dessen Weinverköstigungen regelmäßig in Orgien ausarteten. Schon sein Vater legte so mehr Wert auf Oberflächlichkeiten als auf gute Qualität im Wesen seines Produktes. Langsam erkennen die Zuschauer in einem lustvollen Spiel mit Schein, List und Illusion, dass auch Krull selbst gerne mehr vortäuscht als er ist.
Krulls Mutter (Ursula Grossenbacher) nimmt es ihm schon an Schultagen unumwunden ab, wenn er vorgibt krank zu sein. Sie lobt ihren Sohn für seinen verblüffenden Einfallsreichtum und eine sogenannte „Glückshaut“, die ihn für Höheres auserkoren hat. Gleich zu Beginn verkündet Felix Krull eine hanebüchene Theorie: „Nur der Betrug hat Aussicht auf Erfolg, welcher nichts ist, als die Ausstattung einer lebendigen, jedoch noch nicht völlig ins Reich des Wirkliche eingetreten Wahrheit.“
Regisseurin Müller setzt die Bühnenfassung von John von Düffel temporeich mit schnellen und intensiven Begegnungen zwischen Krull und den anderen Figuren um. Paul Michael Stiehler legt in seiner Darstellung offen, wie Krull sich für den Schein und Oberflächlichkeit interessiert und dabei voller Empathiefähigkeit ist. Der Anfang Zwanzigjährige möchte zu einer feinen und edlen Gesellschaft dazugehören und spielt Rollen, um sein Ziel zu erreichen. Er ist sehr darauf bedacht das zu erfüllen, was andere in ihm sehen möchten und was ihn auf seinen Weg weiterbringt.
Bei der Wehrmusterung verunsichert er den Stabsarzt (Lena Geyer), welche die Diensttauglichkeit der Soldaten prüft, effektvoll durch nervöse Zuckungen. Da er nachdrücklich angibt, tauglich zu sein, behält der Arzt im Machtverhältnis scheinbar die Kontrolle, wenn er Krull ausmustert, nicht ahnend, dass Krull dies sehr recht ist. Mit solcherart Tricks zieht er aus seiner Wirkung auf Menschen Nutzen. Krull beeindruckt in der darauffolgenden Szene in Paris den selbstgefälligen Hoteldirektor Stürzli (ebenfalls Lena Geyer) durch verfeinerte Sprachkenntnisse. Temperamentvoll flunkernd schwingt er sich, agil über die Bühnenbuchstaben schreitend und springend, zu wahren Höhenflügen empor. Prompt wird er als Liftboy Armand eingestellt, dabei seinen sprachlos konsternierten Vorgänger (Sören Wunderlich) ausstechend , von dem dann nur der Name “Armand” bleibt.
Auch in dieser neuen Rolle findet der betörend charmante Jüngling, nun in schmucker Uniform, Anerkennung bei diversen Bewunderern. In einer köstlichen Szene umgarnen den Titelhelden sowohl die naiv leidenschaftlich Eleanor (Lena Geyer) als auch ein melancholischer, feiner älterer Lord (Sören Wunderlich). Krull erwehrt sich höflich der aufdringlichen Avancen, trägt gar flugs eine Verehrerin vor die Tür.
Neben diesen beiden hat sich jedoch auch eine reiche Intellektuelle in Felix verguckt, die allgemein eine Schwäche für junge Männer hat: Ursula Grossenbacher mimt Madame Houpflé, eine Fabrikantengattin und erfolgreiche Schriftstellerin, die den jungen und schlanken Liftboy Armand lüstern begehrt. Wenn sie ihn „Hermes“ tauft und seine körperlichen Vorzüge preist, findet Krull die größte Bestätigung in Komplimenten und wittert vielleicht auch das wohl größte gesellschaftliche Fortkommen. Krull und Houpflé winden sich bald brünstig stöhnend auf den Schriftlettern der Bühne. Verschmitzt bübisch lächelnd verrät Krull: „Aber könnte es vielleicht sein, dass du etwas vermisst? Ein Kästchen. Ich habe es genommen.“ Sein Verbrechen bleibt ungesühnt. Sie lässt sich begeistert von Krull erniedrigen und empfindet Lust, wenn er sie bestiehlt.
In einer späteren Szene verwünscht ein adliger Marquise (Sören Wunderlich) gegenüber seinen Altersgenossen Krull die Pläne seiner Eltern, ihn auf Weltreise zu schicken, da er eine nicht standesgemäße Geliebte hat. Als der Marquise fragt „Wer kann wünschen ein anderer Mensch zu sein als der, der er ist“, wird Krull hellhörig. Krull behauptet: „Den Anzug gewechselt könnten die Bedienenden ebenso gut Herrschaft sein.“ Der Marquise lässt sich nicht ganz selbstlos auf das Spiel ein, Krull aus unteren Ranghöhen als sein Alter Ego emporsteigen und durch Europa reisen zu lassen.
Wie lange lassen sich Schein und Illusion aufrecht erhalten? Krull erklärt nach vorne hin, dass er keine engen Liebesbeziehungen und keine wahren, ernsten, tieferen Beziehungen hat. Dabei geht es ihm trotzdem gut. Oberflächliche Bestätigung durch andere lässt ihn seine verschiedenen Rollen perfektionieren. Seine Luftschlösser werden respektiert, gar bewundert. Zunächst begegnet er niemanden auf Augenhöhe und scheint mit sich und seiner Einsamkeit zufrieden. Am Sehnsuchtsort der portugiesischen Stadt Lissabon überraschen die Figuren durch extravagante wallende Gewänder, deren Schleppen über den Boden schleifen. Bei allem Funkeln und Schillern stößt Krull hier mit seinem fassadenartigen Selbstbild plötzlich auf ein Gegenüber, das ihn mit der Endlichkeit allen Seins konfrontiert. Ausgehend von der Welt des Scheins dringt die Inszenierung somit in wesentlichere und tiefere Fragen der Existenz hinein.
Und anders als in Deutschland wird in Frankreich mit dem Begriff Cuvée nicht der Verschnitt, sondern vielmehr die Einzigartigkeit eines Weines bezeichnet. Es können verschnittene Weine oder bestimmte Lagen sein, aber doch immer einzigartig und oftmals sind es gar die besten Weine, die gemeint sind.
Spielerisch wird im Werkstadt-Theater mit Sprache und Verführung jongliert. Regisseurin Hanna Müller bringt unterhaltsame, genau beobachtete und absurde Szenen aus Thomas Manns Romanklassiker kurzweilig und höchst vergnüglich auf die Bühne.
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Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull am Theater Bonn | Foto © Matthias Jung
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Ansgar Skoda – 10. März 2025 ID 15180
BEKENNTNISSE DES HOCHSTAPLERS FELIX KRULL (Werkstatt, 07.03.2025)
Regie: Hanna Müller
Musik Schauspiel: Anna Hirsch
Ausstattung: Sebastian Ellrich
Licht: Johanna Salz
Dramaturgie: Susanne Röskens
Mit: Lena Geyer, Ursula Grossenbacher, Paul Michael Stiehler und Sören Wunderlich
Premiere am Theater Bonn: 7. März 2025
Weitere Termine: 13., 20., 26., 27.03./ 3., 5., 7.4.2025
Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de
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