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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Mit Messer

und Axt

im Puppenheim



Sophie Basse (in der Titelrolle) und Sören Wunderlich als Torvald Helmer in Nora oder Ein Puppenhaus am Theater Bonn | Foto © Sandra Then

Bewertung:    



Finster und wie paralysiert blickt ein nebeneinandersitzendes Geschwisterpaar zu romantischen Pop-Klängen ins Publikum: Ivan (Jacob Z. Eckstein) und Emmy (Lena Geyer) fingern mit einer Axt respektive einem Messer. Hinter ihrem Sofa haben ihre Eltern routinierten Sex auf einer erhöhten Bühnenebene. Nora (Sophie Basse) und Torvald Helmer (Sören Wunderlich) kopulieren stöhnend auf einem Pissoir. Nach dem Ende des Geschlechtsaktes tauscht Sohn Ivar bedeutungsvolle Blicke mit seiner Schwester Emmy aus. Er hebt den Arm des Plattenspielers und beendet die laute Musik. Argwöhnisch beobachten die Kinder ihre Eltern beim zunächst noch zärtlichen Nachspiel. Alsbald verdrehen Emmy und Ivar genervt die Augen, zücken gar Axt und Messer, wenn über Mittel für den Haushalt und unnütze Ausgaben für mögliche Luxusgüter gestritten wird.

Ibsens Klassiker wurde häufig neu betrachtet und neu gedeutet. Charlotte Sprenger, die am Theater Bonn Nora oder Ein Puppenhaus neu inszeniert, ist bereits vertraut mit modernen Überarbeitungen des norwegischen Werkes. Sie inszenierte so 2020 am Landestheater Linz Elfriede Jelineks erstes Bühnenstück Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte, oder Stützen der Gesellschaften (1980), ein Sekundärdrama zu Ibsens Vorlage. Jelinek zeigt hier angesichts gesamtgesellschaftlicher ökonomischer Werte und patriarchaler Zusammenhänge einen desillusionierten Blick auf weibliche Befreiungsversuche auf. In Bonn deutet Sprenger Ibsens Nora von Anfang an als eine selbstbewusste, starke und stolze Frau, die sich gegenüber ihrem Mann zunächst nur aus Kalkül unterwürfig zeigt. Nora weiß, was sie möchte, bevorzugt bei Sprenger mit einer Jugendfreundin den „Deep Talk“ und nimmt Ausrufe wie „Please open your heart“ ernst.

Ähnlich wie Robert Borgmann mit seiner Nora am Schauspiel Köln bebildert Sprenger die bald übergriffige Beziehungsdynamik mit überzeichneten Figuren und aufgebrachtem Geschrei. Während Borgmann die Rollen mit Nora als gefügigem Model und Torvald als ihrem Starfotograf umdeutete, wertet Sprenger die Bedeutung der Kinder in der Familie Helmer auf.

Die Kinder, tagtäglich mit den Lebenslügen der Eltern und mit ihrer unterschwelligen Missgunst konfrontiert, stehen in Bonn oft im Zentrum des Bühnengeschehens. Sie übernehmen teils aggressive Sichtweisen und sprechen aus der Position der Eltern heraus. Eine impulsive Mimik und Gestik, das Hantieren mit der Axt und dem Messer deuten unterschwellige Aggressionen an, die sich von den Eltern auf die Kinder übertrug. Ivan und Emmy übernehmen hier Muster der Eltern. Denn auch die Mutter ist bewaffnet, wenn sie unangekündigten Besuch – wie später die Jugendfreundin Kristine Linde (Lydia Stäubli) - in Wild-West-Manier mit feindlich erhobenem Gewehr begrüßt. Die Kinder bringen die Beziehungsdynamik und das Selbstverständnis der Eltern in unverstellten Monologen – hier werden mindestens teilweise Intertexte einbezogen - auf die Spitze und fungieren oft als Antreiber der Handlung.

Nora gefällt sich in der Rolle der Bewunderin Torvalds, wenn sie zärtlich den Namen seiner neuen Berufung ausspricht, Vorstand einer Aktienbank. Sophie Basse in der Rolle der Nora kleidet sich neu ein und posiert, wenn sie sich in großen, kreisrunden Fenstern, die an Münzen erinnern, räkelt. Ihre Nora träumt von einem wirtschaftlichen Aufschwung über die Stellung ihres Mannes. Sören Wunderlich als Torvald spricht gerne über die Hochfinanz und hantiert auf der Bühne zwanghaft mit Desinfektionsmitteln oder einem Mini-Staubsauger. Er lässt die Kinder Paragraphen zum Thema Betrug vortragen, bis diese plärren, weil sie eine Ziffer nicht kennen. Betulich beruhigt Nora ihre Kinder mit den Worten: „Das sind doch nur Paragraphen.“

Ibsens Drama handelt von der Anpassung an Konventionen, unterdrückter Wut und der sozialen Stellung der unterschiedlichen Geschlechter. Das Abwägen über Geld, Moral und Verzicht bestimmen den Alltag der Figuren. Inspiriert wurde Ibsen vom realen Schicksal der Laura Kieler. Ohne Wissen ihres Mannes nahm die norwegisch-dänische Schriftstellerin ein Darlehen auf, um ihren Mann durch eine Reise in den Norden von seiner Lungenkrankheit zu heilen. Wie der realen Laura Kieler wird auch Ibsens Nora dieses Darlehen zum Verhängnis.

Am Theater Bonn singt Sophie Basse als Nora effektvoll Doris Days „Que sera sera (Whatever will be, will be)“ in einer bluesigen Version, die an das Cover der belgischen Künstlerin Selah Sue erinnert. Begleitet wird sie dabei von Timo Kählert, der ihr in der Rolle des Nils Krogstad mal Geld für die ärztliche Versorgung Torvalds lieh. Heute möchte Torvald, der Krogstads Vorgesetzter ist, diesen entlassen. Als Nora ihn davon mit allen Mitteln abbringen will, erklärt Torvald schlicht, das sei so bereits „intern entschieden.“ Nora weiß, dass ihm eine „reine Weste“ wichtig ist und ahnt, dass ihr Betrug auffliegen wird.

Im szenischen Einbezug von Masken deuten sich Verstellungen und Lügen in der Familiendynamik an. Einige Regieeinfälle wirken jedoch etwas unausgegoren und überzogen. Wenn Nora für Torvald auf seiner Feier tanzen soll, sucht sie sich als mögliches Kleid ein einfaches weißes Laken mit Gucklöchern aus. Das erinnert im ersten Moment an ein Burka-ähnliches Gewand. Doch als alle anderen Besucher der Feier auch in ähnlichen Laken auftauchen hält Torvald diverse Besucher für Nora. Er verlustiert sich später an Noras, unter einem Laken verborgenen heimlichen Flirt, dem schmucken Doktor Rank (Christian Czeremnych). Die beobachtende Nora begreift sich als beliebig austauschbar, wenn sie erschrocken und beschämt ins Publikum blickt.

Wenn Nora ihre Familie verlassen möchte, protestieren neben Torvald heftiger noch die Kinder. Nora muss sich anhören, sie sei undankbar und ungerecht, kleinlich und unmoralisch. Sie wird als leichtfertige Frau oder auch als einfache Hausfrau kleingemacht. Sie wisse nichts vom Ernst des Lebens, handle nicht auf eigene Verantwortung, meinen ihr nächsten Anverwandten. Ein Schlussbild der pausenlosen, etwa zweistündigen Vorführung deutet jedoch endlich an, dass auch die Kinder von der Trennung ihrer Eltern profitieren. Starke Darstellerleistungen, aber eine etwas unentschlossene Aufarbeitung der Emanzipation der Titelfigur.



Nora am Theater Bonn | Foto © Sandra Then

Ansgar Skoda - 29. Januar 2024
ID 14577
NORA ODER EIN PUPPENHAUS (Schauspielhaus Bad Godesberg, 26.01.2024)
Regie: Charlotte Sprenger
Musikalische Leitung: Jones Landerschier
Ausstattung: Maximilian Schwidlinski
Licht: Thomas Tarnogorski
Dramaturgie: Jan Pfannenstiel
Besetzung:
Nora Helmer ... Sophie Basse
Torvald Helmer …. Sören Wunderlich
Kristine Linde … Lydia Stäubli
Nils Krogstad ... Timo Kählert
Doktor Rank … Christian Czeremnych
Emmy Helmer ... Lena Geyer
Ivar Helmer ... Jacob Z. Eckstein
Premiere am Theater Bonn: 26. Januar 2024
Weitere Termine: 01., 10., 16.02./ 10., 16., 20.03.2024


Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de


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