Der Wald vor
lauter Fragen
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Was fehlt uns zum Glück? am Theater Bonn | Foto © Markus J. Bachmann
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Bewertung:
Wer fragt, bleibt mitunter doch dumm! Denn viele Fragen lassen sich nicht befriedigend oder abschließend beantworten: Was kommt nach dem Tod? Was fühlen Tiere? Hoffen Fische auf etwas?
In der Bonner Werkstatt werden Besucher nun mit solchen Fragen gelöchert. Der eine oder die andere meint sich dabei auch mit der Frage konfrontiert, ob sich ein sogenannter Fragebogen unterhaltsam für die Bühne adaptieren lässt? Es ist jedenfalls ein Wagnis, Max Frischs kritische Selbstbefragung aus seinen Tagebüchern auf die Bühne zu bringen; er schrieb daran in den Jahren 1966 bis 1971, sie erschienen komplett erstmals 2019. Am Theater Bonn gelingt die Adaptation nur in Teilen.
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Regisseurin Katrin Plötner lässt die Akteure Frischs elf Fragenkomplexe anhand ausgewählter Fragen vorstellen. Anfangs herrscht eine gewisse Aufgeräumtheit in Bettina Pommers Bühnenbild. Bühnenwände und Boden sind wie Badezimmerfliesen gekachelt. Das weiße Kachelmuster mit dunkelblauen Streifen wiederholt sich auch auf den Requisiten; Elemente wie Quader, Würfel, Dreiecke spiegeln das Muster. Die fünf Akteure tragen anfangs alle korrespondierende Kostüme von Johanna Hlawica, derer sie sich teils nach und nach entledigen. Auch Ewa Góreckis effektvolle wackelnde Lichtprojektion auf die Bühne variiert das Muster.
Frischs provokante Befragung von Strukturen oder gesellschaftlichen Formen und Konstruktionen geht mit Bewegungen der sich öffnenden Bühnenelemente einher. So beleben die Akteure die Elemente, kugeln sich in diesen, verschwinden darin oder finden sogar – wie Christoph Gummert recht bühnenwirksam – Kipppunkte. Nichtsdestotrotz bleibt in Plötners vorsichtig tastender Inszenierung die Bedeutung der Bühnenaccessoires bis zum Ende weitestgehend unklar.
Die Akteure sprechen meist zum Publikum hin; duzen oder siezen es abwechselnd. Dabei bewegen sie sich teils in Choreographien von Zoe Knights: Herausfordernde, irritierende und verunsichernde Fragen nehmen ihren Lauf. In der Abfolge bleibt wenig Bedenkzeit: Sind Sie an der Erhaltung des Menschengeschlechts interessiert? Wie unterscheidet sich persönliches und politisches Hoffen? Wem gönnen Sie den eigenen Tod? Lieben Sie jemand?
Da geht es etwa um die Ehe, Identität, Frauen, Geld, Heimat, Hoffnung, Humor, Eigentum, Moral, Tod, das Vatersein und die Erhaltung des Menschengeschlechts. Die Fragen richten sich teils eher an ein männliches Publikum. Die Darstellerinnen Sandrine Zenner und Lydia Stäubli reagieren amüsiert auf, ins Sexistische driftende Fragen. Augenzwinkern oder kopfschüttelnd möchte man Fragen hier Gesagtes variieren: Ist das Wort „unfraulich“ nicht unwürdig? Wann steht eine Frau ihren Mann? Frischs Fragen sind suggestiv oder zynisch. Es gibt keine Tabuthemen, wenn etwa Scham, Drogen oder Armut adressiert werden.
Oft wird in den Fragen komplex auf das große Ganze oder die Zukunft abgehoben: Die Dinosaurier lebten 170 Millionen Jahre. Wird das Wirtschaftswachstum auch so lange bestehen? Solche Fragen werden ausgesprochen, bleiben jedoch naturgemäß offen, ohne das Bühnengeschehen weiter zu beeinflussen.
Aufgelockert wird die sperrige Vorführung insbesondere durch musikalisch-choreographische Einsprengsel. Das Ensemble tanzt effektvoll zu “Fully Automated Luxury GAY Space Communism“ nach Synth-1A oder singt eindrücklich Verse aus An die Nachgeborenen von Bert Brecht (Musik: Frieder Hepting). Ein weiteres Highlight der Aufführung ist auch, wenn Gummert „Happy“ singend sich inmitten der Bühne erhöht platziert. Er steckt in einer Weihnachtsbaum-Pappskulptur, die von Zenner geschmückt wird. Bald fordert er das Publikum zum Mitsingen auf, seinen Gesang in „Happy Birthday to me“ ausweitend. Später nimmt er als Tannenbaum Reißaus und schafft so leise Assoziationen zum deutschlandweiten Fichtensterben.
Fragekomplexe gliedern sich manchmal in Aufzählungen nach den Buchstaben des Alphabets: Gibt es ein Wiedersehen im Jenseits? Empfinden Sie die Erde als heimatlich? Wem gehört die Luft? Auf der Bonner Werkstattbühne wiederholen die Akteure gegen Ende einzelne Fragen, wie etwa auch die titelgebende, was einem zum Glück eigentlich fehle? Beglückend wäre für die Inszenierung mehr Stringenz, Improvisation oder ein erfrischender aktueller Bezug gewesen. Das Publikum wird nicht im Sinne eines Improvisationstheaters mit einbezogen. Die Akteure diskutieren keine möglichen oder unmöglichen Antworten. In der Zeit der Entstehung dieses Textes war die Anhäufung derartiger Fragen gewiss ungewöhnlich und regte zu einer Auseinandersetzung an. Über 50 Jahre später wirken sie, so wie sie auf die Bühne gebracht werden, aus der Zeit gefallen und eher nur noch lästig: noch mehr Fragen mit denen wir traktiert werden, ohne dass sich noch jemand um die Antworten schert.
Slapstick, Kopfschütteln und eine gepflegte Sauerei stehen am Ende. Gummert und Alois Reinhardt dürfen sich sogar voller aufgetragener, flüssig glänzender Farbe aneinander reiben. Auch Rutschpartien und über den Kopf gekippten Farbeimern bereichern schlussendlich das Bühnenchaos, das vielleicht auch aufgrund der Vielzahl unbeantworteter Fragen ausbricht.
Es gibt auch heute noch Intellektuelle oder Studierende, die Max Frischs Buch für Gedankenexperimente im Freundeskreis nutzen. Hierzu kann der Theaterabend durchaus inspirieren oder anregen. Schlagen Sie einfach eine Seiten auf und wählen Sie eine Fragen aus, um sie im Freundeskreis zu stellen, zu diskutieren oder auch zu streiten.
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Was fehlt uns zum Glück? am Theater Bonn | Foto © Markus J. Bachmann
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Ansgar Skoda - 24. September 2023 ID 14399
WAS FEHLT UNS ZUM GLÜCK? (Werkstatt, 23.09.2023)
Regie: Katrin Plötner
Musik: Frieder Hepting
Bühne: Bettina Pommer
Kostüme: Johanna Hlawica
Licht: Ewa Górecki
Dramaturgie: Sarah Tzscheppan
Choreografie: Zoe Knights
Mit: Wilhelm Eilers, Christoph Gummert, Alois Reinhardt, Lydia Stäubli und Sandrine Zenner Premiere am Theater Bonn: 23. September 2023
Weitere Termine: 27., 29.09./ 18., 27.10.2023
Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de
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