Kein Schutz vor dem Schützer
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Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu
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Bewertung:
Tische werden während des Spiels von Requisiteuren auf Valentin Baumeisters sachlich-karge, nüchtern-kalte und dunkle Bühne gebracht. Ihre quadratischen Platten werden in Reihen gesetzt, die bald hoch und herunterfahren. Sie formen schließlich eine Treppe. Es ergeben sich so verschiedene Ebenen, die später auch Hierarchien darstellen. Ganz oben kann es nur eine/n geben.
Bertolt Brechts Drama Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui (1941) handelt von der Ideologie des Faschismus, der klare Hierarchien voraussetzt. Szenisch gerät eine politische Ordnung durch Radikalisierung, Tabubrüche und Verunglimpfungen in Bedrängnis und eine Machtelite wird schlussendlich überwunden und ersetzt.
Arturo Ui (Christian Czeremnych), ein Arbeitersohn aus der Bronx, versucht mit einer Gangsterclique über Schutzgeld Profit zu machen und an Macht zu gelangen. Dabei kommt ihm die aktuelle Wirtschaftskrise in Chicagos mit ihren politischen Verunsicherungen sehr gelegen. Brechts Farce wird am Theater Bonn von Laura Linnenbaum über 180 Minuten (einschl. Pause) inszeniert - mit einem großen Ensemble, teils köstlich überzeichneten Figuren und dynamischen Szenewechseln.
Jacob Z. Eckstein verspricht seinem Führer Arturo Ui laszive tanzend und singend blindes Vertrauen und unbedingte Unterwürfigkeit. Wenn seine Figur des Giuseppe Givola mit Blick auf Arturo Ui „Fuck me“ (Musik: David Rimsky-Korsakow) in das Mikrofon säuselt, birgt diese Szene eine gewissen Homoerotik. Givola reagiert prompt leicht eifersüchtig, wenn Ui seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu anderen Figuren hinwendet. Blinden Gehorsam bis hin zur Selbstaufgabe fordert Arturo Ui von all seinen Anhängern ein.
Seinen engsten Vertrauten, Leutnant Ernesto Roma (Timo Kählert), schmückt Ui mit einer Goldkette, mit der er ihn alsbald würgt. Später erscheint die Kette wie ein Hundehalsband, wenn er mit ihr den unterwürfig auf Knien vor ihm rutschenden Givola, seinen nächsten Handlanger, lockt. Ein Uis Schultern ummantelnder roter Theatervorhang mit Überlänge fällt gleich über mehrere, nach unten hin tiefer werdende Tischreihen. Zuvor schmückte dieses rote Tuch noch den alten Politiker Dogsborough (Andreas Leupold). Durch Intrigen, Manipulation und Korruption eignete Gangsterchef Ui es sich an.
Andere Requisiten erscheinen weniger originell. Die skrupellos ausgenutzten Anhänger Uis reinigen nach intriganten Lügen und Morden ihre Hände mit Wasser oder Desinfektionsmittel. Es wird auf der Bühne ängstlich oder begierig abwartend Kette geraucht. Theaterrauch liegt ohnehin regelmäßig in der Luft. Wenn Ui und Givola, bewaffnet mit Räuberpistolen, Ernesto Roma beseitigen wollen, überraschen Sie ihn mit Blumen. Der athletische Christian Czeremnych meistert in dieser Szene die Titelrolle mit viel schweißtreibenden Körpereinsatz, wenn er sich etwa den Leutnant Ernesto Roma (durchaus kein Leichtgewicht) über die Schulter wirft und sich dabei dreht. Er beweist so rein physisch seine Führungsstärke. Roma wird schließlich von Givola mit einer Dekowaffe beseitigt und unter den mitgebrachten Blumen liegen gelassen.
Später präsentiert sich Ui, bekleidet nur mit einem Feinripp-Slip, mit seitlich weit ausgebreiteten Armen anlässlich einer Trauergemeinschaft als gekreuzigter Erretter. Die sich gegen das gotteslästerliche Abbild erhebende Stimme einer trauernden Witwe (Ursula Grossenbacher) übertönt er mit seinem enervierend lauten und wenig einfühlsamen Stimmorgan. Der selbsterklärte Selfmademan möchte sogleich kondolierend ihr geerbtes Großkapital schützen. Ui beherrscht das Geschehen. Andersdenkende können hier nur schaudernd das Weite suchen.
Lena Geyer hat in der bis zur Lächerlichkeit unheimlich ausgespielten Rolle des ordinären Gangsters Emanuele Giri mehr als gut lachen. Sie wiehert in Dauerschleife und guckt dabei stets hochnäsig-stupide. Sie ist Anhängerin und Handlangerin Arturo Uis der ersten Stunde. Der Gangsterchef ist irgendwann umgeben von einfach gestrickten Mitläufern und auf ihren Vorteil bedachte Opportunisten.
In einer starken Szene eines Gerichts-Schauprozesses werden alle auf der Bühne stehenden Figuren zu sprachlosen Handlangern Uis. Während er für sie mit dem Rücken zum Publikum mit verstellter Stimme als unablässiger Beobachter spricht, vollführen sie zu dem Gesagten passende Gestik und Mimik, fallen jedoch zuweilen konsterniert aus der Rolle, was Ui mit vernichtend-giftigen Kommentaren quittiert. Er alleine behält so die Fäden in der Hand und lässt sich nicht Reinreden.
Wie einige der anderen Akteure, spielt Sophie Basse mehrere Figuren und darf mit der Rolle der Betty Dulfeet gegen Ende als Gegenspielerin Ui Kontra geben und ihn demaskieren: „Ihr Morden kommt von Herzen! Ihr Verbrechen ist tiefgefühlt wie andrer Menschen Wohltat!“ Trotzdem übernimmt Ui bei einem ihr aufgezwungenen Walzer die Führung.
Die Bonner Vorführung hat insbesondere gegen Ende hin Längen und die Figurenzeichnung wirkt etwas einseitig und überzogen. So bewegen sich die Akteure gegen Ende krabbelnd wie Raubtiere auf allen Vieren Kopf an Kopf. Als stärkster beweist sich stets Ui. Linnenbaum setzt in ihrer Adaptation von Brechts Lehrtheater gegen Ende einige Hinweise auf aktuelle politische Zusammenhänge:
Personenaufstellungen um den Titelantihelden erinnern in einer Szene an den erfolgreichen Rechtspopulisten Donald Trump und seine zahlreichen Kinder, die ihn im Wahlkampf unterstützten und die er als Mitarbeitende in wichtigen Funktionen einstellte. Die Kleidung der Figuren in Blau mir zentriertem rotem Pfeil und Schildern mit erhobenen Zeigefinger deutet auch auf die AfD hin (Kostüme: Philipp Basener), die wegen rechtsextremistischer Umtriebe und Verfassungsfeindlichkeit überwacht wird, aber trotzdem erstaunliche Erfolge feiert.
Komik und Grausen liegen in dem Drama nahe beieinander. Brecht wollte seinerzeit an den Aufstieg, das Phänomen und die Propaganda Hitlers erinnern. Laura Linnenbaum zeigt in Bonn Brechts parabelhafte Gangsterschau von der verlogen-brutalen Machtergreifung der Nazis ein bisschen verworren und überspitzt, doch temporeich und mit unterhaltsam-eindringlichen Schauwerten.
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Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu
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Ansgar Skoda - 12. Juni 2023 ID 14246
b>DER AUFHALTSAME AUFSTIEG DES ARTURO UI (Schauspielhaus Bad Godesberg, 08.06.2023)
Regie: Laura Linnenbaum
Musik: David Rimsky-Korsakow
Bühne: Valentin Baumeister
Kostüme: Philipp Basener
Licht: Boris Kahnert
Dramaturgie: Jan Pfannenstiel
Besetzung:
Arturo Ui, Gangsterchef ... Christian Czeremnych
Ernesto Roma, sein Leutnant ... Timo Kählert
Emanuele Giri, Gangster ... Lena Geyer
Der Blumenhändler Giuseppe Givola, Gangster ... Jacob Z. Eckstein
Der alte Dogsborough | Ignatius Dullfeet ... Andreas Leupold
Der Ansager | Ein Schauspieler | Der Angeklagte Fish ... Bernd Braun
Butcher, Karfioltrust | Richterin ... Ursula Grossenbacher
Flake, Karfioltrust | O'Casey | Verteidigerin | Betty Dullfeet ... Sophie Basse
Clark, Karfioltrust | Der Ankläger ... Wilhelm Eilers
Sheet, Reedereibesitzer | Bowl, sein Kassierer | Hook, Gemüsehändler ... Riccardo Ferreira
Premiere am Theater Bonn: 20. Mai 2023
Weitere Termine: 17.06./ 05.10.2023
Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de
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