Diplomatie?
Frieden?
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Cover DNT-Programmheft
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Bewertung:
Abseits von den Großstadtbühnen, in Weimar, leitet Hasko Weber nun schon seit zehn Jahren das geschichtsträchtige Dreispartenhaus. Hasko Weber ist einer der eher stillen Intendanten. Selbstdarstellung ist nicht sein Ding. Dafür zeichnet er sich durch Treue aus. In die vertraute Umgebung hat der bald Sechzigjährige, der in der DDR sozialisiert wurde, eine ganze Riege von Mitarbeitern mitgenommen, die schon an seiner vorherigen Wirkungsstätte, in Stuttgart, zum Team gehörten. Das hat einen menschlichen und einen künstlerischen Aspekt. Das Ergebnis jedenfalls spricht dafür. Selbstverständlich ist es schon lange nicht mehr.
Auf dem Spielplan stehen, in der Regie des Hausherren, Die Nibelungen von Friedrich Hebbel, deren Uraufführung vor etwas mehr als eineinhalb Jahrhunderten just hier, am heutigen Nationaltheater in Weimar, stattgefunden hat. Eine „Entdeckung“ ist das dreiteilige Trauerspiel nicht. Es wird immer wieder von namhaften Regisseur*innen inszeniert. Dass es ein Dauerbrenner sei wie die Stücke von Shakespeare oder Tschechow, kann man allerdings auch nicht behaupten. Der Stoff jedoch ist bekannt, nicht so sehr aus dem mittelalterlichen Epos (wer, außer ein paar genötigten Germanistik-Studenten mit Schwerpunkt Mediaevistik, liest das schon?), wie aus Richard Wagners Opernzyklus.
In einer ungedruckt gebliebenen Vorrede zu seinem Drama schrieb Friedrich Hebbel, als hätte er die Aktualisierungs- und Überschreibungsmanie unserer Tage vorausgeahnt: "Der Zweck dieses Trauerspiels war, (...) nicht (...), wie es schon zum voraus auf eine jugendliche, vor bald zwei Dezennien publizierte und überdies noch arg gemissdeutete Vorrede hin in einer Literatur-Geschichte prophezeit wurde, irgend ein modernes Lebens-Problem zu illustrieren." Hasko Weber scheint sich an diese Absicht halten zu wollen und dem Stück, das vielen veraltet und für die Bühne kaum mehr tauglich erscheint, mit der gleichen Haltung zu begegnen wie der Dramatiker dem Nibelungenlied, das ihm als Vorlage diente. Der Regisseur und seine Dramaturgin Beate Seidel versuchen nicht, Hebbels Werk, etwa durch Hinzufügungen zum Text, ein "modernes Lebens-Problem" zu implantieren, sondern überlassen es den Zuschauern, Analogien in der Gegenwart aufzufinden.
Das wirkt, jedenfalls in den ersten zwei Stunden, wie aus der Zeit gefallen. Das muss nicht von Nachteil sein. Und mag sogar verblüffen. Auf der Fassade des Theaters prangt ein Transparent mit der Aufschrift "DIPLOMATIE! Jetzt! Frieden!". Auf der Bühne herrscht das genaue Gegenteil: Blutige Rache für den gemeinen Mord an einem Unschuldigen. Hätte Kriemhild mit Hagen Tronje verhandeln sollen?
Hasko Weber zeigt, bis zur Pause in hartnäckigem Halbdunkel, Kostümtheater mit historisch allerdings nicht verbürgten Kostümen. Für Irritation sorgen lediglich eine Banane und, nach der Pause, ein MacBook. Immer wieder marschieren die mit Riesenschwertern bewaffneten Figuren in Formation nach vorne wie die Bauarbeiter in dem DDR-Kultfilm Spur der Steine. Der nur fünfundzwanzig Minuten lange zweite Teil des Abends und dritte Teil des Stücks, Kriemhilds Rache, spielt dann auf einer bis zum Bühnenrand vorgezogenen weißen Fläche in grellem Licht.
Das Kapital dieser Inszenierung sind das durchweg fabelhafte Ensemble, aus dem Einzelne hervorzuheben ungerecht wäre, und die von einer Basstrommel beherrschte Musik von Sven Helbig. Ein ungewöhnlicher Theaterabend. Und nebenbei eine blasse Erinnerung an Klassikeraufführungen in der DDR. Auch sie gehörten zur Geschichte, deren angebliche Beschönigung die Vasallen der westlichen Geschichtsschreibung der Historikerin Katja Hoyer zurzeit pflichtgemäß vorwerfen.
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Die Nibelungen am DNT Weimar: Nahuel Häfliger (Siegfried), im Hintergrund: Janus Torp (Giselher), Calvin-Noel Auer (Gerenot), Martin Esser (Kaplan) und Marcus Horn (Volker) Foto (C) Candy Welz
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Thomas Rothschild - 3. Juni 2023 ID 14229
DIE NIBELUNGEN (Deutsches Nationaltheater Weimar, 02.06.2023)
Regie: Hasko Weber
Bühne und Kostüme: Thilo Reuther
Musik: Sven Helbig
Dramaturgie: Beate Seidel
Licht: Christian Schirmer
Video: Andreas Günther/ Who-be
Besetzung:
Philipp Otto (König Gunther)
Nadja Robiné (Kriemhild, dessen Schwester)
Janus Torp (Giselher, deren Bruder)
Calvin-Noel Auer (Gerenot, deren Bruder)
Annelie Korn (Ute, deren Mutter)
Sebastian Kowski (Hagen Tronje)
Fabian Hagen (Dankwart, dessen Bruder)
Marcus Horn (Volker, Spielmann)
Martin Esser (Kaplan)
Nahuel Häfliger (Siegfried)
Johanna Geißler (Brunhild, Königin)
Bastian Heidenreich (Frigga, deren Vertraute/ Werbel/ Hildebrant)
Nahuel Häfliger (König Etzel)
Lutz Salzmann (Markgraf Rüdeger)
Tahera Hashemi (Götelinde, dessen Frau)
Annelie Korn (Gudrun, deren Tochter)
Premiere war am 11. Februar 2023.
Weitere Termine: 20.10./ 11., 26.11./ 08.12.2023// 12.01.2024
Weitere Infos siehe auch: https://www.nationaltheater-weimar.de
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