Dominierte Damen
der Bonner
Republik
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Trang Dông als Katharina Richter in Frauen vor Flusslandschaft am Theater Bonn | Foto © Matthias Jung
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Bewertung:
Hinter großen Männern stehen bekanntlich oft starke Frauen. Doch wo verordnen sich diese Frauen selbst, wenn sie sich mitteilen? Und ist Sprache nicht auch immer ein Fluss, der in eine Redelandschaft münden kann.
Bei den titelgebenden Frauen in Heinrich Bölls Frauen vor Flusslandschaft handelt es sich um Gattinnen oder Lebensgefährtinnen von Politikern und deren Bankiers. Mit Flusslandschaft ist die Villengegend am Rhein in Bonn-Bad Godesberg gemeint. In dem posthum 1985 erschienen Werk geht es dem Literaturnobelpreisträger nicht um konkrete Politiker in der ehemaligen westdeutschen Hauptstadt.
Schauspieldirektor Jens Groß bringt nun in der Bundesstadt eine geraffte, szenisch neu inszenierte Adaption auf die Bühne, als sog. Uraufführung. Der letzte Roman Bölls, der in Dialogen und Selbstgesprächen konzipiert ist, wurde jedoch kurz nach Erscheinen 1988 bereits von Volker Schlöndorff auf die Bühne der Münchner Kammerspiele gebracht. Als Grundlage in Bonn dient nun eine Textfassung von John von Düffel und Dramaturgin Nadja Groß, in denen einzig fünf Frauengestalten auf der Bühne agieren.
Diese Frauenfiguren erscheinen insbesondere anfangs austauschbar. Sie tragen schicke, gediegene Blazer-Rock-Kombinationen oder weit geschnittene Damenhosen, klassisch feminin und old fashioned (Kostüme: Philipp Basener). Die Damen rufen in Selbst- oder Zwiegesprächen Erinnerungen wach. In ihren Gedankengängen dominieren Männerfiguren, die in Bonn in seltenen Momenten von Band eingespielt werden. Regelmäßig erwähnt werden insbesondere Grobsch, ein Nazi-Jäger, und ein Altnazi namens Plonius, offensichtlich unter dem Decknamen Bluthund bekannt, hinter den Grobsch her ist.
Das Bühnenbild von Tom Musch wirkt kalt, farblos und steril. Im nicht näher bestimmbaren Raum begegnen sich die Frauen; mal unterhalten sie sich zwanglos, mal versuchen sie Vergangenes aufzuarbeiten oder zu verdrängen. Auf der linken Seite ist ein Flügel platziert. Regelmäßig wird die Klappe des Flügels geräuschvoll zugeschlagen. Die auftretenden Figuren sprechen von kostbaren Flügeln, die zerlegt und wie Feuerholz gestapelt wurden. Auf der rechten Seite hängen schwarze Herren-Jacketts an einer Stange. Weitere Accessoires sind Sitzbänke zum Aufklappen, in die sich einzelne Figuren in kurzen Momenten hineinlegen, wie in einen Sarg.
Eine gelernte Kellnerin (Trang Dông) gibt beherzte Ratschläge und reicht den Umstehenden Tee oder Kaffee. Wir erfahren, dass ihr Mann seit einigen Jahren die Mercedessterne von Politikerautos abmontiert und illegal verkauft. Auch Erika Wubler (Birte Schrein) deutet vermeintliche Verbrechen und politische Abgründe lebendig an. Doch, ähnlich wie Eva Plint (Lydia Stäubli), interessiert sie sich noch mehr für (verpasste) amouröse Chancen und Verwicklungen. Den stärksten Eindruck hinterlässt die Figur der Elisabeth Blaukrämer (Ursula Grossenbacher), die scheinbar an dem komfortablen Handlungsort weggesperrt wird, weil sie Machthabenden, wie etwa ihrem Gatten, auch aufgrund ihrer Erinnerungen lästig wurde. Sie will keine Vorzeigefrau mehr sein und wird von der unnahbaren Dr. Dumpler (Sophie Basse) befragt und traktiert, die scheinbar Gefallen an Methoden der Unterdrückung hat.
Die Vorlage problematisiert, dass Männer trotz Nazi-Vergangenheit in der Bonner Republik leitende politische Positionen innehaben. Nazi-Verstrickungen reichen dabei bis in die höchsten Machtzirkel. Resigniert verarbeiten auftretende Frauen das Trauma des Zweiten Weltkrieges und distanzieren sich teilweise von politischen Praktiken und dem Intrigenspiel ihrer Männer. Auf der Bühne wird wenig interagiert und viel erinnert. Verachtung, Melancholie, Skepsis und eine Bandbreite der Gefühle lassen sich erahnen. Kernthemen, wie Machtdenken, Geld, Schuld, Hochmut, Manipulation, Profitgier und Korrumpierbarkeit scheinen durch.
Salopp kurz ausgesprochene Sätze lassen Bölls Sprachkunst anklingen, wie „Jedes Stück Brot, das ich esse, esse ich jemandem weg.“ Anders als in Bölls Alterswerk werden Umgebung, Geschehen oder Figuren jedoch nicht näher vorgestellt. Es werden viele Namen genannt und es klingen Vorgeschichten an, die jedoch kaum weiter ausgeführt werden, was zur Spannungsarmut beiträgt.
Die Figuren bleiben blass, ihre Schicksale lassen meist kalt.
Gegen Ende folgt – etwas plump – eine Art dialogischer und politischer Aufbruch, der Frauen nun nicht mehr als passiv Agierende, sondern als aktive Handlungsträgerinnen porträtiert. Auf Großbildleinwand werden in zeithistorischen Dokumenten Politikerinnen per Video eingespielt: unter anderem Regine Hildebrandt, Ingrid Mätthäus-Meier, Petra Kelly, Waltraud Schoppe und Rita Süßmuth. Trotz der starken Worte und interessanten Auswahl ein recht schwaches Ende, das von der literarischen Vorlage wegführt.
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Frauen vor Flusslandschaft am Theater Bonn | Foto © Matthias Jung
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Ansgar Skoda - 21. Juni 2024 ID 14810
FRAUEN VOR FLUSSLANDSCHAFT (Schauspielhaus Bad Godesberg, 15.06.2024)
nach Heinrich Böll
Regie: Jens Groß
Musik: Malakoff Kowalski
Klavier und Komposition: Clemens Bigge
Bühne: Tom Musch
Kostüme: Philipp Basener
Licht: Jorge Delgadillo
Dramaturgie: Nadja Groß
Besetzung:
Elisabeth Blaukrämer ... Ursula Grossenbacher
Erika Wubler ... Birte Schrein
Eva Plint ... Lydia Stäubli
Katharina Richter ... Trang Dông
Dr. Dumpler ... Sophie Basse
Premiere am Theater Bonn: 7. Juni 2024
Weitere Termine: 21., 27.06./ 05.07.2024
Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de
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