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Unland der

begrenzten

Möglichkeiten



Früchte des Zorns am Schauspiel Köln | Foto © Krafft Angerer

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Das Publikum blickt eingangs auf die Mündung einer Schusswaffe. Grandma (Birgit Walter) richtet das Gewehr fluchend auf vermeintliche Eindringlinge. Zum Glück verfehlen ihre lauten Schüsse die vorbeischauende Verwandt- oder Bekanntschaft. Es herrscht ein rauer, manchmal zynischer Umgangston unter den Figuren. Die angedeutete trostlose Farm auf der Vorderbühne hat schon bessere Tage gesehen. Ein durchscheinender Vorhang trennt das Gezeigte von der Stufenbühne im Hintergrund. Hier werden später auf drei Ebenen Reiseszenen gespielt. Die Darsteller tragen einfache, verwaschene Jeanskleidung. Sie sitzen auf abgewetzten Stühlen, die später auch Pferde symbolisieren sollen. Eine Kamerafrau (Nora Daniels) filmt Live-Bilder, insbesondere wenn das Geschehen unter und hinter der Bühne spielt, oder sogar außerhalb des Theaterraums und für die Zuschauer so nicht direkt sichtbar ist. Diese Videos werden dann auf den Bühnenvorhang projiziert.

Ernteausfälle und Dürren zwingen Pachtbauern, ihre Heimat Oklahoma zu verlassen. Die Familie Joad erlebt auf einen beschwerlichen Weg durch andere US-Bundesstaaten herbe Verluste. Doch auch am ersehnten Zielort begegnen dem Flüchtlingstreck Entbehrungen und Schikanen. Das Schauspiel Köln zeigt einen Klassiker, John Steinbecks sozialkritischen und pulitzerpreisgekrönten Roman The Grapes of Wrath (1939, dt.: Früchte des Zorns). Die Neubearbeitung des Stoffes vom Schriftsteller petschinka macht auf tief im kapitalistischen System der US-amerikanischen Kultur verwurzelte Zusammenhänge aufmerksam. Das vermittelte Bild historischer sozialer Ungleichheit erscheint bis heute gültig:

Die Saat der sogenannten Früchte des Zorns wurde schon in vorangegangenen Jahrhunderten ausgelegt. Der Völkermord an den Ureinwohnern der großen Ebenen im mittleren Westen der heutigen USA wurde sogar als „Western“ mythisiert. Farmer siedelten sich in das bisher von Nomaden bewohnte Gebiet. Sie ersetzten das Präriegras durch Getreide. Bereits nach einigen Jahrzehnten war der Boden derart verändert, dass es zu Sandstürmen und Dürren kam. Zudem setzten die Wirtschaftskrise und die voranschreitende Technisierung den kleinen, familienbetriebenen Farmen ein Ende. Es machten sich mehrere hunderttausend Menschen auf den Weg Richtung Kalifornien, um dort als Wanderarbeiter den Lebensunterhalt zu verdienen. Dort wurden die, meist aus Oklahoma stammenden Menschen verächtlich „Okies“ genannt. Sie waren als Spielball der wirtschaftlich Mächtigen gezwungen für Hungerlöhne zu arbeiten.

Die Inszenierung skizziert viele Details um Arbeitsmigranten der damaligen Zeit, wie notdürftige staatliche Camps, grausame Arbeits- und Gewerkschaftskämpfe und ausbeuterische Arbeitsverträge. Dem Werk des späteren Literaturnobelpreisträgers John Steinbeck liegen eigene journalistische Recherchen in einem selbst begleiteten Flüchtlingstreck zugrunde. In Szenen spiegelt sich die Entwicklung der Figuren von anfänglicher Zuversicht und Euphorie zu Enttäuschung und Mutlosigkeit. Das System zwingt die Farmer des mittleren Westens zur Aufgabe ihrer eigentlich noch neuen Heimat. Der Schweizer Regisseur Rafael Sanchez zeigt die Hoffnung seiner Figuren auf ein besseres Leben in eindrücklichen Bildern. Stationen der Vorführung sind die Not auf dem beschwerlichen Weg mit allerlei Anfeindungen, denen die Figuren begegnen. Und, am Ziel angekommen, erwartete die Okies die brutale Macht eines Systems, bestehend aus Unternehmerwillkür, Polizeigewalt und der Arroganz der Menschen, die nur wenige Jahrzehnte zuvor selbst in diese Region migriert sind.

Die Fiktion eines Landes der unbegrenzten Möglichkeiten wird in der Kölner Vorführung in bis heute gültiger Weise entlarvt. Die Vorführung zeigt Szenen der Verzweiflung, etwa wenn die anfangs noch ausgelassene und abenteuerlustige schwangere Rose (Kristin Steffen) später auf ihrer Pritsche sichtlich verwirrt händeweise Kalk isst. Auch heute noch erscheinen viele Themen überraschend aktuell. So porträtiert das 2021 mit drei Oscars prämierte Drama Nomadland (2020) die prekäre Situation obdachloser Arbeitsnomaden in den USA. Ferner erscheinen die Klimakatastrophe als Fluchtursache, Fremdenfeindlichkeit und eine Privilegiertheit weniger Reicher bei vielen, in Armut lebenden Menschen sehr jetzig. Die energiegeladene und dichte Vorführung bereichert schlussendlich weiterhin durch erfrischende musikalische Akzentsetzungen von Jazzmusiker Pablo Giw.



Früchte des Zorns am Schauspiel Köln | Foto © Krafft Angerer


Ansgar Skoda - 16. Februar 2022
ID 13459
FRÜCHTE DES ZORNS (Depot 2, 12.02.2022)
Regie: Rafael Sanchez
Bühne: Thomas Dreißigacker
Kostüme: Maria Roers
Komposition, musikalische Einrichtung und Live-Musik: Pablo Giw
Licht: Michael Frank
Dramaturgie: Stawrula Panagiotaki
Live-Kamera: Nora Daniels
Besetzung:
Tom Joad … Seán McDonagh
Grandmapa … Birgit Walter
Ma … Katharina Schmalenberg
Pa … Stefko Hanushevsky
Al, Toms kleiner Bruder … Justus Maier
Rose, Toms kleine Schwester … Kristin Steffen
Connie, Roses Freund … Alexander Angeletta
Casy, der Priester … Martin Reinke
Premiere am Schauspiel Köln: 6. Januar 2022
Weitere Termine: 01., 02.03./ 17.04.2022


Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel.koeln


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