In einer
Jahrmarkts-
schießbude
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ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM von Werner Schwab - am Staatstheater Nürnberg | Foto (C) Konrad Ferstere
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Bewertung:
Die Stücke Werner Schwabs scheinen heute rein sprachlich aus der Zeit gefallen. Die derbe, an den österreichischen Dialekt angelegte Kunstsprache, auch „Schwabisch“ genannt, gehörte zum Markenzeichen des 1994 erst 35jährig verstorbenen Grazer Dramatikers. Vier seiner Stücke werden unter dem Titel "Fäkaliendramen" zusammengefasst. Zu ihnen gehören neben Schwabs bekanntestem Stück Die Präsidentinnen (1990) noch Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos (1991), Mein Hundemund (1992) und das 1991 entstandene Drama ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM, das mit seinem Untertitel Ein europäisches Abendmahl eine ziemlich drastische Verballhornung der christlichen Eucharistie darstellt. „Wir sind in die Welt gevögelt und können nicht fliegen“, das wohl bekannteste Zitat Schwabs stammt aus diesem Stück. Und auch wenn die FAZ im Februar eine Schwab-Renaissance vorhersagte, wird es wie die meisten anderen der 16 Dramen Schwabs (bis auf Die Präsidentinnen natürlich) leider weiterhin viel zu wenig gespielt werden.
Im Drama unterhält sich eine heruntergekommene Wirtshausgesellschaft recht verletzend und vulgär über die Schwächen der jeweils anderen. Gleich mehrere gesellschaftliche Tabus wie explizit Geschlechtliches, Ehebruch, Homosexualität und häusliche Gewalt werden dabei thematisiert. Essen und Ausscheidungen spielen dabei auch eine große Rolle. Zwei Fremde, genannt „ein schönes Paar“, beobachten amüsiert die heimischen Existenzen wie Exoten bei ihren abstrusen lebensphilosophischen Betrachtungen über das menschliche Wesen, das Glück oder den Sieg der Vernunft. Die so Abqualifizierten, auch „göttliche Idioten“ Genannten sehen in dem Paar all das, was ihnen fehlt, woran sie gescheitert sind oder was sie nie erreichen werden, sei es die vergangene Schönheit, der unerfüllte Kinderwunsch oder die Liebe und Anerkennung eines Partners. Das Ganze eskaliert schließlich in einer blutigen Gewaltorgie, die dann das eigentliche Abendmahl der Wirthausgesellschaft darstellt.
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Mit ihrer Inszenierung des Schwab-Stücks für das Staatstheater Nürnberg ist die Regisseurin Rieke Süßkow nach der letztjährigen Teilnahme mit ihrer Wiener Handke-Inszenierung Zwiegespräch erneut zum Berliner THEATERTREFFEN eingeladen worden. Schwabs an Metaphern reiche Sprache setzten Regisseurin Süßkow, Bühnenbildnerin Mirjam Stängl und Kostümbildnerin Sabrina Bosshard ebenso bildstark um. Das Geschehen findet in einem sich öffnenden und wieder schießenden schwarzen Kasten statt. Das Ensemble steht nebeneinander aufgereiht wie die Schießbudenfiguren auf dem Jahrmarkt. Stark verfremdend sind die Gesichter hinter Strumpfmasken versteckt. Die DarstellerInnen tragen vorgeschnallt teils typische Volkstracht, teils sexualisierte Fetischkleidung, an der künstliche Beine und auch an einigen männliche Geschlechtsteile herunterbaumeln. Inspiration hat sich die Produktion auch beim Volkstheatertypus des Hans Wurst oder der Rummelfigur „Hau den Lukas“ geholt. Ein federnder Hintergrund macht die Figuren dazu noch zu Stehaufmännchen.
So aufgereiht bewegen sich alle zunächst ohne Kleidung zu Flipper-Geräuschen von links nach rechts, bis die sieben Wirtshaus-Figuren in Kostümen in der Reihe erscheinen. Das schöne Paar ist dabei noch nicht zu sehen. Erst wenn der Bühnenkasten noch eine obere Ebene frei gibt, sieht man dort zunächst Katharina Kurschat als SIE und Sascha Tuxhorn als ER in feiner Kleidung an einem Früchtekorb essend und sich angeregt unterhaltend. Das ist ein Kunstgriff, der eine noch stärkere Distanz schafft, als sie rein von Schwabs Sprache schon gegeben ist. Das schöne Paar hebt sich hier noch viel mehr von der in ihrer Typenhaftigkeit ausweglos gefangene Gesellschaft ab, die zuvor beständig nur um ihre eigenen Unzulänglichkeiten kreisend genau wie in einem ewigen Schießbudenspiel gefangen bleibt. Erst die Auflösung dieser Situation mit der Öffnung der oberen Ebene ermöglicht den Figuren sich aus ihrer Starre zu lösen und in der übergreifenden Orgie ihre neue Position zu finden. Auch dass sich die Öffnung des Bühnenkastens dabei wie ein Mund auf und zu bewegt, ist ein wirkungsvoller Effekt.
Zusätzlich wechselt Süßkow die teils bereits gendercross besetzten Rollen (siehe unten) dann noch mal im zweiten Teil. Auch die Figurennamen wie etwa das kinderlose Paar Schweindi und Hasi oder die ehemalige Dorfschönheit Fotzi, die immer wieder ihr Geschlecht für Münzen für die Jukebox herzeigt, erhalten hier durch die schräge Kostümierung und maschinenhaft abgehackten Bewegungen der DarstellerInnen eine noch viel drastischere Wirkung. Ob allerdings diese Art der Verfremdung einen besseren Zugang zur schon stark verfremdeten Sprache des Autors ermöglicht, sei mal dahingestellt. Süßkow gelingt aber durchaus ein nicht nur amüsierender Zugriff auf Schwabs auch heute noch recht obszön wirkende Sprache, die die Regisseurin teilweise noch recht derb sexuell verbildlicht. So kommt es z.B. zu einer recht komischen Masturbationsszene unten, bei der sich das schöne Paar oben geräuschvoll an Lauchstangen zu schaffen macht. Das an derlei expliziten Obszönitäten doch mehr gewöhnte Publikum in Berlin wird daran aber sicher auch seinen Spaß haben.
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ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM von Werner Schwab - am Staatstheater Nürnberg | Foto (C) Konrad Ferstere
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p. k. - 10. April 2024 ID 14694
ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM (Staatstheater Nürnberg, 07.04.2024)
Ein europäisches Abendmahl von Werner Schwab
Regie: Rieke Süßkow
Bühne: Mirjam Stängl
Kostüme: Sabrina Bosshard
Dramaturgie: Klaus Missbach
Musik: Philipp C. Mayer
Trampolintrainer: Yannick Meier
Licht-Design: Paul Grilj
Besetzung:
Julia Bartolome (als Karli, später Herta)
Soheil Boroumand (als Schweindi, später Jürgen)
Joshua Kliefert (als Fotzi, später ER)
Katharina Kurschat (als SIE, später Schweindi)
Matthias Luckey (als Herta, später Karli)
Pola Jane O' Mara (als Wirtin, später Fotzi)
Elina Schkolnik (als Jürgen, später Wirtin)
Sascha Tuxhorn (als ER, später Hasi)
Sasha Weis (als Hasi, später SIE)
Philipp C. Mayer (Musiker)
UA am Schauspielhaus Wien: 12. Januar 1991
Premiere in Nürnberg war am 6. Oktober 2023.
Weitere Termine: 17., 19.04./ 10., 17.07.2024
Eingeladen zum Berliner THEATERTREFFEN
Weitere Infos siehe auch: https://www.staatstheater-nuernberg.de/
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