Aus Burg und Akademie
DER STURM und DER FISKUS
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Der Sturm von 1988 gehört wohl nicht zu den besten Inszenierungen aus Claus Peymanns Zeit am Burgtheater. Die Kritik warf ihm damals eine Verspaßung dieses komplexen Shakespeare-Stücks vor, einen Verrat an dessen Tiefenstruktur. Verglichen jedoch mit der aktuellen Version von Thorleifur Örn Arnarsson war Peymanns Arbeit ein Geniestreich.
Es beginnt mit einer ausgedehnten Hitparade, die mit dem Sturm so viel zu tun hat wie ein Besäufnis mit ehrlichem Sport, die aber dem Selbstdarstellungsbedürfnis des Ensembles inklusive Musiker und dem Unterhaltungsbedürfnis eines Publikums, dem der Eurovision Song Contest näher ist als Shakespeare, entgegen kommt. So unterbesetzt hat man den Zuschauerraum des Burgtheaters noch nie gesehen. Offensichtlich hat sich herumgesprochen, dass man sich viel Ärger sparen kann, wenn man gleich ins Café Landtmann geht.
Den Prospero spielt Maria Happel, um zu beweisen, dass Geschlechtertausch noch nicht abendfüllend ist. Dabei hat Helen Mirren gezeigt, dass dieses modische Konzept beim Sturm zur Not aufgehen kann. In Wien spielt Mavie Hörbiger die erfahrene Happel an die Wand. Sie ist nicht der einzige Burgtheaterstar, der in dieser schändlichen Inszenierung missbraucht wird. (Missbrauch fängt nicht erst beim Griff auf den Po an.) Die fabelhaften Schauspieler Roland Koch und Michael Maertens werden genötigt, Stephano und Trinculo wie eine Parodie auf schlechte Komiker abzuspulen. Nicht das Regietheater ist der Feind – solche Regisseure sind es. Nicht, dass er sich auf das konzentriert, worüber man lachen soll, ist ihm vorzuwerfen. Dass er auf solch niedrigem Niveau lachen lässt, ist die Katastrophe.
Bewertung:
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Der Sturm am Burgtheater Wien | Foto (C) Matthias Horn
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400 Jahre und einen Abend später, drüben in der zweiten Bühne der Burg, im Akademietheater, Der Fiskus von Felicia Zeller. Wenn etwas, was in jedem Boulevardtheater seinen Platz und sein Publikum fände, im renommiertesten deutschsprachigen Theater aufgeführt wird, nennt man es „gehobenen Boulevard“. Was daran gehoben ist, bedarf einer Erläuterung. Boulevard ist es auf jeden Fall. Das kann niemandem entgehen, der die Regeln des Boulevardtheaters kennt. Darüber darf auch das ungewöhnliche Milieu nicht hinwegtäuschen. Der Fiskus handelt von Verwirrungen und Turbulenzen in einem Finanzamt. Das Stück erklärt nichts, erhellt nichts, kritisiert nichts. Boulevard eben. Ökonomie oder was manche dafür hallten light.
Zum Boulevad gehört das permanente Überspielen, die schrille Körpersprache, das Schnellsprechen. Noch die Perücken bedienen sich bei einem Lachtheater der einfachsten Kategorie. Die Regisseurin Anita Vulesica hat nicht begriffen, dass das ständige aufgeregte Tempo, der variationsarme Rhythmus nur Langeweile erzeugen. Sie hätte zum Beispiel bei den Marx Brothers lernen können, was Timing für Komik bedeutet.
Wir wollen nicht verschweigen, dass die Inszenierung trotzdem oder gerade deshalb unter den Kritikern ihre Advokaten gefunden hat. Auch das Publikum hat offenbar die Verlegung vom kleinen, für Experimente bevorzugten Kasino in das größere Akademietheater nahe gelegt. Die besuchte Vorstellung allerdings war ebenso wie der Sturm am Vortag eher eine Flaute als ein Hit. Auch hier blieben halbe Reihen leer.
Bewertung:
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Der Fiskus im Wiener Akademietheater | Foto (C) Marcella Ruiz Cruz
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Thomas Rothschild - 11./12. Oktober 2022 ID 13851
DER STURM (Burgtheater, 10.10.2022)
Regie: Thorleifur Örn Arnarsson
Bühne: Elín Hansdóttir
Kostüme: Karen Briem
Live-Musik: Gabriel Cazes
Licht: Friedrich Rom
Dramaturgie: Sebastian Huber
Besetzung:
Alonso/ Trinculo ... Michael Maertens
Sebastian ... Dietmar König
Prospero ... Maria Happel
Antonio ... Johannes Zirner
Ferdinand ... Nils Strunk
Gonzalo/ Stephano ... Roland Koch
Caliban ... Florian Teichtmeister
Miranda ... Lili Winderlich
Ariel ... Mavie Hörbiger
Premiere war am 12. März 2022.
Weiterer Termin: 28.10.2022
DER FISKUS (Akademietheater, 11.10.2022)
von Felicia Zeller
Regie: Anita Vulesica
Bühne: Henrike Engel
Kostüme: Janina Brinkmann
Choreographie: Miriam Klebel
Musik: Andreas Radovan
Licht: Norbert Gottwald
Dramaturgie: Rita Czapka und Tobias Herzberg
Besetzung:
Bea Mtinnen ... Sabina Haupt
Nele Neuer ... Dorothee Hartinger
Elfi Nanzen ... Nina Siewert
Reiner Lös ... Bardo Böhlefeld
Angie Außen ... Stefanie Dvorak
UA am Staatstheater Braunschweig: 18. Januar 2020
Premiere am Burgtheater Wien: 22. Mai 2021
Weiterer Termin: 23.10.2022
Weitere Infos siehe auch: https://www.burgtheater.at/
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