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Repertoire

Kreislauf des

Gebrochenen



Julia Katinka Philippi als Elise und Daniel Stock als Didier in The Broken Circle am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu

Bewertung:    



Schwarze Folie liegt auf der halbdunkel gehaltenen Bühne. Eine Wassersenke teilt die Spielfläche. An der Bühnenwand häufen sich kunstvoll Autoreifen. Auch um knorrige Baumskelette sind Radreifen verteilt. Ein bedrückend trostloses Setting. Bald wird es effektvoll belebt durch lebendiges Spiel eines Darstellerduos, verstärkt um einen Instrumentalisten. Das Trio hellt die Grundstimmung mehrfach durch kurzweilige Country-Performances musikalisch auf. Schnell korrespondiert Düsternis jedoch wieder mit den Erinnerungen und dem Spiel der beiden Hauptfiguren.

The Broken Circle der Belgier Johan Heldenbergh und Mieke Dobbels war 2012 ein Überraschungs-Kinoerfolg, der sogar für einen Oscar nominiert wurde. Das Drama erzählt die leidenschaftliche Liebesgeschichte der Tätowiererin Elise und des Bluegrass-Musikers Didier. In Simon Solbergs Inszenierung auf der Bonner Werkstatt-Bühne lernen sich die beiden Figuren anfangs zwanglos kennen. Julia Kathinka Philippi trägt als neugierige Elise einen Pullover mit der großformartigen Aufschrift „Unbroken heart“. Daniel Stock zeichnet seinen Didier sehr körperlich als Träumer mit großen Gesten. Didier präsentiert Elise zu Anfang die Reifenhalde als sein Reich und nennt es „das neue Amerika“. Er schwärmt von dem Sehnsuchtsort USA, an dem es jeder angeblich schaffen könne. Elise beeindruckt insbesondere seine Schwäche für Country-Musik und gefühlvolle Interpretationen von Johnny Cash- oder Townes van Zandt-Songs. Schnell beteiligt sie sich mit eigenen Vocals.

Als sich beide näher kommen, werden ihre Gesprächsstoffe intimer. Beide vereint, dass sie aus prekären sozialen Familienverhältnissen kommen. Didier erzählt vom Alkoholkonsum seines lieblosen Vaters, der ihnen als Kindern zu Weihnachten stets die Sterne am Himmel schenkte, um nichts mitbringen zu müssen. Elise berichtet von ihrem absenten Vater und plötzlichen Todesfällen oder Selbstmorden vieler ihrer Verwandten, als sie noch klein war. Als Symbol für die Toten, die – wie es leichthin heißt – über den Jordan gingen, wirft Elise Autoreifen in die Senke. Aus diesem Kreislauf der Verantwortungslosigkeit möchte das junge Paar ausbrechen. Euphorisch wollen sie einen Neustart zusammen wagen. Didier gibt sich kurzerhand das Pseudonym Monroe nach dem US-amerikanischen Singer-Songwriter Bill Monroe (1911-1996), Erfinder des Country-Subgenre Bluegrass. Elise nennt sich prompt Alabama wie der US-Bundesstaat.

Schon bald dient einer der Reifen auch als Geburtsstätte. Ein zusammengefaltetes Laken symbolisiert ein Baby. Sie nennen das Kind Maybelle nach der US-amerikanischen Country-Sängerin Maybelle Carter (1909-1978). Doch die kleine Tochter erkrankt alsbald schwer. Julia Kathinka Philippi wirft als Elise hilflos Matsch durch den Raum, um Kindererbrochenes darzustellen. Beide versuchen das Kind zu trösten, erscheinen jedoch selbst hilflos. Als Maybelle stirbt, schaffen sie es nicht, einander gegenseitig Trost zu spenden. Auf der Bühne gibt es viel lautes Geschrei, Gezeter und böse Anschuldigungen. Die verletzliche Elise hält es scheinbar nicht aus, wenn Didier hoffnungslos ehrlich in seiner Trauer ist. Er behauptet so resignativ, Gläubige würden selbst keine Verantwortung übernehmen wollen, wenn es heiße „In God we trust“.

The Broken Circle ist eine harte Geschichte über fehlende Perspektiven, grausame Schicksalsschläge und die Hartnäckigkeit auch seelischer Armut. Es gibt Situationen, deren Ungerechtigkeit zum Himmel schreit. Wie lässt sich die menschliche Würde bewahren, wenn das Gleichgewicht zerrüttet und nachhaltig gestört wird.

Wiederholte Gesten, wenn gleich fünf Tonvögel nacheinander zu Bruch gehen, erscheinen ein bisschen überzogen. So gehen feine Nuancen auch etwas zu Bruch. Doch insbesondere Philip Breidenbach schafft mit mitreißender Live-Musik als atmosphärische Rahmung zwischen Spielszenen fließende Übergänge. Oft vom Akteuren-Trio mehrstimmig gesungenen Folksongs wie „Wayfaring Stranger”, „The Boy Who Wouldn't Hoe Corn“ oder „If I needed you“ sorgen für wertvolle Ruhepunkte.

Das insgesamt berührende Stück verhandelt eindrücklich existentielle Fragen, wie den Verlust eines Kindes und das Gefühl der Ausweglosigkeit, der Sehnsucht und der Vergeblichkeit. Das Bild vom ewigen Licht eines sterbenden Sterns am Ende steht vielleicht auch tröstend dafür, dass auch Verlierern und Verzweifelten schlussendlich eine Reise ins Licht zuteilzuwerden vermag.



The Broken Circle am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu

Ansgar Skoda - 25. Februar 2022
ID 13486
THE BROKEN CIRCLE (22.02.2022, Werkstatt)
Inszenierung und Bühne: Simon Solberg
Musikalische Leitung: Philip Breidenbach
Kostüme: Sophie Peters
Dramaturgie: Nadja Groß
Alabama / Elise … Julia Philippi
Monroe / Didier … Daniel Stock
Musiker … Philip Breidenbach
Premiere am Theater Bonn: 18. Februar 2022
Weitere Termine: 02.,0 9., 18., 23., 28.03./ 10., 28.04.2022


Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de


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