Filmregisseurin Kurdwin Ayub versucht sich mit selbst geschriebener Zukunftsfarce an der Berliner Volksbühne
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Weiße Witwe an der Volksbühne Berlin | Foto (C) Apollonia T. Bitzan
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Bewertung:
Die Berliner VOLKSBÜHNE AM ROSA-LUXEMBURG-PLATZ hat einen neuen Intendanten. Nicht ganz unerwartet wird Matthias Lilienthal ab Herbst 2026 die Nachfolge des vor einem Jahr verstorbenen René Pollesch antreten. Lilienthal, der bekanntermaßen die Anfangsjahre von Frank Castorf an der Volksbühne als Dramaturg mitgestaltet hat und u.a. Christoph Schlingensief ans Haus holte, teilt sich die Arbeit mit den Choreografinnen Florentina Holzinger und Marlene Monteiro Freitas, die gemeinsam ein sogenanntes Artistic Board bilden sollen. Lilienthal war nach seiner Volksbühnenzeit 2002 Programmdirektor des Festivals Theater der Welt, leitete dann bis 2012 neun Jahre das Hebbel am Ufer, das er zu einer internationalen Performance-Spielstätte der freien Szene umbaute. Von 2015 bis 2020 war Lilienthal Intendant an den Münchner Kammerspielen und dabei immer wieder im Schussfeld der lokalen Kritik. 2024 verantwortete er das internationale Performing Exiles Festival für die Berliner Festspiele.
Sehr international soll es nun auch ab 2026 an der Volksbühne werden. Lilienthal spricht tatsächlich von 95 Prozent internationalen Regisseur*innen. Ein „Zeichen gegen die Renationalisierung“ wie er es auf der Pressekonferenz verkündet hat. Das Programm soll zu einem Drittel aus Tanz, der Rest aus Performance und auch Sprechtheater bestehen. Vorerst sind Projekte mit dem polnischen Regisseur Lukasz Twarkowski und Stefan Kaegi von Rimini Protokoll geplant. Sehr viel konkreter wurde es noch nicht. Sollte aber Lilienthal, dessen Empfehlung für Chris Dercon als Castorf-Nachfolger man in Berlin nicht vergessen hat, bei sinkenden finanziellen Zuwendungen mit der Installierung von zu viel freier Szene und internationaler Performance am Haus dem Hebbel am Ufer das Wasser abgraben, wird die allgemeine Freude über seine Rückkehr nicht allzu lange währen. Man darf gespannt bleiben.
Bis dahin wurschtelt man am Rosa-Luxemburg-Platz noch so eineinhalb Spielzeiten ohne interimsmäßige Leitung weiter. Ganz im Sinne René Polleschs, der für seine eher breiter kollektiv aufgestellte Theaterarbeit bekannt war. Da bekommt jeder mal eine Chance sich auf der großen Bühne zu beweisen. So nun auch die 1990 im Irak geborene Regisseurin Kurdwin Ayub, die allerdings mit ihren beiden Spielfilmen Sonne (2022 auf der Berlinale) und Mond (2024 in Locarno) bereits erste Preislorbeeren einheimsen konnte. Direkt aus Wien bringt sie einen ebenfalls Altbekannten aus vergangenen Volksbühnentagen mit. Der Schauspieler Georg Friedrich hat unter Frank Castorf u.a. in dessen Inszenierungen Amanullah Amanullah (2009), Der Spieler (2011), Kaputt (2014), Die Kabale der Scheinheiligen (2016) und Ein schwaches Herz (2017) mitgewirkt.
Den Turban auf hatte Georg Friedrich an der Volksbühne bereits als afghanischer König zu Besuch in Deutschland in Frank Castorfs Inszenierung Amanullah Amanullah frei nach der 1929 in Berlin uraufgeführten Verwechslungskomödie Hulla di Bulla von Franz Arnold und Ernst Bach. Hier kommt er im Teppich eingerollt als alter weißer Mann aus den deutschsprachigen Landen des islamisch-europäischen Staats der Königin Aliah, der erstmal zünftig orientalisch eingekleidet werden muss. Wir schreiben das Jahr 2666, worin sich sicher nicht ganz unbeabsichtigt die Jahreszahl der biblischen Offenbarung des Johannes verbirgt. Die Erscheinung des leiblichen Antichristen. Wer das nun sein soll, darüber kann man hier geteilter Meinung sein. Königin Aliah, gespielt von der Berliner Rapperin addeN, ist nun nicht gerade die Leibhaftige persönlich aber doch recht flott im Männermorden. Jeden Abend muss der Eunuch (Benny Claessens) ihr einen jungen weißen Mann zuführen, der nach der Liebesnacht an eine von der Bühnendecke hängende Riesenspinne verfüttert wird.
Es geht dazu recht orientalisch zu auf der von Nina von Mechow gestalteten Bühne mit Rundbögen und Zinnen sowie einem Lotterbett mit Kissen und Wasserpfeife davor. Der Sound ist eine Art Oriental-Elektropop zu dem schwarz gekleidete Tänzer*innen mit Masken auftreten. Ein wenig Lack-und Ledererotik mit Sklaven an Hundeleinen ist auch dabei. Die Regisseurin, die auch den Text des Stücks zu verantworten hat, lässt kein Klischee aus. Ein knalliges „Erotikabenteuer“ mit einer im schönsten Hip-Hop-Jargon fluchenden Königin. Tausendundeine Nacht unter anderen Vorzeichen. Scheherazade als alter weißer Mann mit Bart und Kaftan, der zur Rettung seines Geschlechts der gelangweilten Königin das Märchen der titelgebenden Weißen Witwe erzählt. Die Geschichte der zum Islam konvertierten Britin Samantha Lewthwaite, eine der meistgesuchten islamistischen Terrorverdächtigen und Witwe eines der Bombenattentäter vom 7. Juli 2005 in der Londoner U-Bahn.
Letztendlich schafft er es Aliahs Tochter Cezaria (Samirah Breuer), die das Treiben ihrer Mutter missbilligt, zum Aufruhr anzustacheln. Der Kopf der Königin landet auf einer Stange, aber um die junge Machthaberin zu verunsichern, streuen der Alte und der Eunuch ein paar Zweifel in Form von weißen Vorurteilen über Muslime. Orientalische Erotik oder Kopftuch. Der klischierte Blick des Westens und seine Doppelmoral von links bis rechts sollen hier gnadenlos auf die Schippe genommen werden. Was allerdings zunehmend im klamaukigen Bühnenchaos endet. Zum Schluss stehen da zwei Stangen mit Köpfen an der Rampe, und der weiße Mann ist wieder Herr der Lage. Eine recht krude Story, die textlich mager so nicht wirklich rüberkommt, das mehrheitlich junge Publikum aber zu begeistern vermag. Nicht immer läuft ein Regieausflug vom Film auf die Bühne gut. Sicher hat auch Florentina Holzinger, die in Ayubs Film Mond eine Hauptrolle spielt, die Regisseurin zu diesem Ausflug an die Volksbühne überredet. Ob das reicht, diese künstlerische Beziehung auch unter Matthias Lilienthal vorsetzen zu können, wird sich noch erweisen müssen. Im März kehrt mit Christoph Marthaler ein weiterer alter Bekannter an die Volksbühne zurück. Aber ob Lilienthal diesen Spagat zwischen alten und jungen Volksbühnenfans überhaupt will, darüber lässt sich im Moment nur spekulieren.
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Weiße Witwe an der Volksbühne Berlin | Foto (C) Apollonia T. Bitzan
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Stefan Bock - 18. Februar 2025 ID 15151
WEISSE WITWE (Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, 16.02.2025)
von Kurdwin Ayub
Regie: Kurdwin Ayub
Bühne und Kostüme: Nina von Mechow
Choreographie: Camilla Schielin
Licht: Denise Potratz
Dramaturgie: Leonie Hahn und Anna Heesen
Mit: addeN, Samirah Breuer, Georg Friedrich, Benny Claessens, Zarah Kofler, Kurdwin Ayub
Tanzchor SC Motion*s: Felipe Barrera, Luisa Bocksnick, Luna Caric, Fares Ghamrway, Matti Goltz, Jonas Hoffmann, Levin Kaufmann, Kilian Löderbusch, Rocio Parraga, Aminata Reuss, Lena Strützke und Christoph Viol
Premiere war am 14. Februar 2025.
Weitere Termine: 22.02. / 14., 22.03.2025
Weitere Infos siehe auch: https://www.volksbuehne.berlin
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