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nachDRUCK # 6

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Uraufführung / Doppel-Premiere

5. November 2006 - Bayerische Staatsoper München

DAS GEHEGE / SALOME

von Wolfgang Rihm / Richard Strauss


Angela Denoke (Salome) bezirzt Alan Titus (Jochanaan) am Nationaltheater München - Foto (C) Wilfried Hösl



Der Geflügelscherenmord

Am Ende seines Melodramas Das Gehege (Eine nächtliche Szene aus "Schlusschor" von Botho Strauß) lässt Wolfgang Rihm ein orchestrales Zwischenspiel ertönen, das sehr nah und ziemlich intensiv auf Salome von Richard Strauss verweist - auf ganz genau die Stelle nämlich, wo Herodes zu der Tötung seiner Tochter auffordert und alle Welt um ihn herum zusammenkracht; so einen vollbusigen orchestralen Tutti-Terror gab's bis dahin selten oder nie im deutschen Opernabendland. Doch Rihms "Version" klingt hier nicht etwa abgekupfert oder fadenscheinig ähnelnd, nein. Rihm stellt per Paukenschlag den indirekt-direkten Querverweis zum freiwilligen Kooptivum dar: Sein Stück also - ein Auftragswerk der Bayerischen Staatsoper - sollte, obwohl sehr eindeutig für sich und unabhängig stehend, eine Quasi-Ouvertüre zu dem tollwütigen Jugendstreich des weltmännischen Bajuwaren werden. Und es müsste möglich sein, dass sich das halbstündige Opus, ähnlich seinem gleichwertigen Schwesternkind Erwartung (ein Vergleich hinkt ja nicht immer), repertoiremäßig, auch in Konzertsälen, behaupten kann. Nach seiner insgesamten Ausstrahlung und Suggestionskraft "nachzuurteilen" wäre es wünschenswert und angebracht!

Der Vorhang hebt sich, und man sieht eine mit Kunstblut voll besudelte und irre drein blickende Gabriele Schnaut. Sie hat ihre Geflügelschere fallen lassen. Unter ihren Füßen und im Bühnenraum verstreut das Zig um Zig zerrupfte Federnkleid Todd Fords, des plötzlich abwesenden körperlosen Adlers. Das Gehege offen...



Gabriele Schnaut wird nicht mehr lange Hut und Mantel tragen, denn Todd Ford (als Adler im GEHEGE) hat es ihr seit langem angetan - Foto (C) Wilfried Hösl


Was war hier passiert?


Anita von Schastorf (49) machte sich am späten Abend des 9. Novembers 1989 - draußen grölt man allerorts das Freude-schöner-Götterfunken, denn die DDR hat ihre Grenze aufgemacht, und Westler feiern Ostler - auf den Weg in Richtung Stadt-Zoo/West. Dort gibts ein Raubvogelgehege. Darin fristet, scheinbar seit Jahrhunderten, ein Steinadler sein Leben. Das Getier sitzt müde auf der Stange. So auch diese Nacht. Anita war und ist gekommen, es herauszufordern, sich am Vogel sozusagen abzureagieren. Sie hat furchtbar schlechte Laune. Vor paar Stunden noch saß sie mit ihrer Mutter (90) in 'ner nahen Kneipe, um vereinzelt eintretende Gäste nach und nach mit ihrer ans Paranoide grenzenden Redseligkeit zu reizen, zu bedrängen, zu belästigen; deswegen drohte ihr der Kneipenwirt in Bälde mit 'nem Hausverbot. Die Wende kam gottlob dazwischen, und die Kneipengänger strömten reihenweise aus dem Haus. Sogar Anitas hochbetagter Mutter ging der grenzenlose Atem der Geschichte nicht am Arsch vorbei...
Anita ist das jüngste Kind von Hans Ulrich von Schastorf, eines quasi widerständlerischen und regimekritischen Junkers, den die Nazis 1944 heimtückisch auf seinem eignen Grund und Boden abgeschossen hatten. Kurz darauf heiratete Anitas Mutter neu. Die Kinder (auch 3 Brüder von Anita zählen zur Familie) kriegten einen Stiefvater; die Söhne "flohen" justament ins Ausland. Nur die Tochter blieb - auch nach dem frühen Tod des Stiefvaters - allein bei ihrer Mutter. Selbst 'ne Zwischenepisode mit 'nem Anwalt, den Anita während eines einmaligen Arbeitsaufenthalts in Spanien kennenlernte, änderte am Ende daran nichts. Seither - wir schreiben anno 1989 - leben sie zusammen: sie (die Tochter) angeblich mit anhaltendem Liebeskummer wegen "ihres Spaniers" behaftet; und die andere (die Mutter) anhaltend genervt durch das gezwungene Gemeinsamsein mit ihrem alt gewordnen Tochterkind. Auch war und ist Anita als die Tagebuch-Herausgeberin ihres Vaters öffentlicher Weise aufgefallen - - so stehts jedenfalls im ganzen Text vom Schlusschor Botho Strauß'.


Ja und jetzt das hier! die Geschichte mit dem Adler (jenem Schlusschor-Schluss):

Die Frau - bei Rihm erfolgt eine "Verallgemeinerung" der Strauß-Anita - will sich von dem Raubvogel begatten lassen. Dieses hat sie vorher reiflich überlegt. Sie weiß natürlich, dass der Greif inzwischen viel zu alt und zu gebrechlich ist, als dass er ihrem sodomitischen Verlangen irgendwie entsprechen könnte. Also zieht sie sich, ganz unängstlich geworden, Stück um Stück vor dem Gehege aus. Ja mehr noch: Schließlich holt sie 'ne Geflügelschere aus dem mitgeführten Handtäschchen hervor, und sie durchtrennt im Schnipp-Schnapp das Volierengatter, was den irritiert-verunsicherten alten Vogel zu ihr watscheln lässt. Sie bietet sich ihm an. Er mag nicht, jedenfalls nicht so. Ihr reißt jetzt der Geduldsfaden! das altgediente Wappentier der Deutschen muss letztendlich daran glauben!! wird von ihr persönlich abgestochen und gerupft wie'n blödes Suppenhuhn!!!


* * *

Todd Ford & Gabriele Schnaut machen die angelegentliche Sache toll und gut. Und eigentlich ist sie dann - Gabriele Schnaut - als Sensation des zweiteiligen Abends insgesamt zu feiern! Wie sie zwischen Tiefen-/Höhenlagen ihre strapazierfähige Stimme hin und her bewegt, mit welchem spielerischen Mutterwitz sie ihrer merkwürdigen Rolle einen nachhaltigen Sinn verleiht, wie sie sich ihrem tänzerischen Konterfei - Todd Ford hat ja nicht mehr und weniger zu tun, als mit den angenähten Flügeln auf und ab zu wedeln - "umzuspringen" weiß... das Alles prägt sich ein, das Alles lässt sie (Gabriele Schnaut, eine der letzten wirklich großen deutschen Diven aller Zeit!!) ins Reich unsterblichster Walhallenhaftigkeit erheben!!!

Und der Rest des Abends - Salome in der gefriertruhenästhetisch nichts sagenden Inszenierung eines teuer eingekauften Filmemachers aus den USA - konnte dann nur noch durch die darstellende und gesangliche Präsenz von Wolfgang Schmidt (Herodes) sowie Angela Denoke (Salome) gerettet werden.

Kent Nagano gab mit diesem konzeptionellen Doppelpass einen vor allem musikalisch sehr gelungenen und hoch ambitionierten Einstieg als der neue GMD des Bayerischen Staatsorchesters (!!!!!) und der Bayerischen Staatsoper.


Andre Sokolowski - 7. November 2006
ID 2782
http://www.andre-sokolowski.de

DAS GEHEGE / SALOME (Nationaltheater, 05.11.2006)
Musikalische Leitung: Kent Nagano
Inszenierung: William Friedkin
Bühne: Hans Schavernoch
Kostüme: Petra Reinhardt
Mitwirkende: Gabriele Schnaut (Die Frau), Todd Ford (Der Adler) /
Wolfgang Schmidt (Herodes), Iris Vermillion (Herodias), Angela Denoke (Salome), Alan Titus (Jochanaan), Nikolai Schukoff (Narraboth) u. a.
Uraufführung / Premiere am 27. Oktober 2006
Weitere Termine: 30. 1.; 3., 7., 9. 2. 2007


Weitere Infos siehe auch: http://www.bayerische-staatsoper.de





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