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Premierenkritik

Nordische Botschaften Berlin (Felleshus) - 22. Mai 2006,

EIN VOLKSFEIND

von Henrik Ibsen



Ibsen ohne Rauschebart

Schon wieder so ein Jubilar, es hört nicht auf in diesem Jahr, nein, man verliert die Übersicht. Jetzt Ibsen also, der vor hundert Jahren starb. Und Ibsen - allgemein - stellt man sich ja zumeist mit alten oder reifen oder graumelierten Männern vor. D.h. dass seine Stücke, welche ja zumeist von jenen Männern diesen fortgeschrittnen Alters handeln (jedenfalls kommt es dem Leser dieser Stücke meist so vor), von solchen alten oder reifen oder graumelierten Männern dargestaltet werden müssten. Fehlanzeige. Denn:
Frank Alva Buecheler probiert die "alten Sachen" mit ganz unverbrauchten, unerfahrenen und ungesetzten Leuten - Jungschauspielern halt, denen die angemaßten Fräcke, Vatermörder und Zylinder wie ein wahrer Griff in die Klamottenkiste vorgekomm' sein müssen; doch egal.
Kurz zu berichten sei von einem ungewöhnlichen Projekt des Sprechtheaters, welches diese Woche in dem sogenannten Felleshus, einem sowohl durch Anrainer wie Publikum gemeinsam nutzbaren Gemeinschaftsbau der sogenannten Nordischen Botschaften am Rande des Berliner Tiergartens, erfolgreiche Premiere hatte. Und der eigentliche "Star" der Aufführung ist dann auch wohl das Haus, welches in seinen drei bzw. vier Etagen inklusive Treppen, Gänge und Terrasse durch das Publikum fast vollständig denn eingenommen wird, weil - die Idee an sich - die Akte/Szenen des von Ibsen aufgeführten Stücks Ein Volksfeind jeweils an diversen Plätzen spielen... und der Zuschauer läuft quasi, ausgestattet mit 'nem aufklappbaren Dreisitzer, den Schauspielern hübsch hinterher.


Brüderchen & Brüderchen: Paul Matzke (Dr. Stockmann) lässt sich nicht von Florian Tabor (Bürgermeister Stockmann) ins Gewissen reden... auch nicht ohne Hose! - Foto (C) Karen Flau


Einer von ihnen ist Paul Matzke; der ragt mehr als seine Mitstreiter heraus. Er spielt den Dr. Stockmann, diese Hauptrolle im Stück (ach so, die Handlung, ganz ganz kurz: Stockmann ist Badearzt in einem norwegischen Kurort, den die Badeheilanstalt "ernährt". Sein Bruder, auch ein Stockmann, ist dort Bürgermeister. Lange Rede kurzer Sinn... Der Doktor hat im Badeheilanstaltenwasser irgendwie Mikroben oder andres Schädlingszeug entdeckt und will die Badeheilanstalt aus diesem Grunde schließen, was dem Bürgermeister, seinem Bruder, freilich nicht gefällt. Es kommt zum offnen Streit, die Bürger lassen ihren Doktor schlechterdings zum Volksfeind deklarieren usw. usf.) - Paul Matzke also:: Dessen Äußeres - er ist von einer schier astralen Schönheit - könnte fasthin an Leander Haußmann, als der auch so jung und schön war und noch Prinzen, Jünglinge an kleinen Osttheatern spielte, rückerinnert sein. Nur dass bei Matzke dann die Stimme völlig aus dem Rahmen fällt. Er hat einen sehr männlichen und vollmundigen Ton, und seine Artikulation lässt sich sogar dann noch, sehr deutlich auch, vernehmen, wenn er - wie von der Regie verlangt - an einer Stelle ein Stück Rinderbraten zwischen seinen Zähnen malmt und man ihn trotzdem weiterhin versteht. Mit ihm wünschte ich mir in naher Zukunft nicht nur Prinzen, Jünglinge auf offner Bühne vorgestellt zu sehen, nein, auch Leute "fieseren Kalibers" könnten Matzke sehr, um nicht zu sagen viel viel besser zu Gesichte stehen.


Andre Sokolowski - 22. Mai 2006
ID 00000002410
http://www.andre-sokolowski.de

EIN VOLKSFEIND (Felleshus, 22.06.2006)
Inszenierung: Frank Alva Buecheler
Ausstattung: Geertje Jacob
Musikalische Leitung: Michael Dixon
Besetzung:
Paul Matzke (Doktor Stockmann)
Cathrin Romeis (Frau Stockmann)
Hanna Zimmermann (Petra)
Florian Tabor (Bürgermeister Stockmann)
Miriam Gronau (Marthe Kiil)
Jan Lemke (Hovstadt)
Thilo Herrmann (Billing)
Christian Storp (Schiffskapitän Horster)
Jan Meinert (Buchdrucker Aslaksen)
Ede Gellner (Mann im Anzug)
Eine Veranstaltung von Ibsens Volksfeind e.V.
in Kooperation mit Kulturhus Berlin e.V.

Weitere Infos siehe auch: http://www.ibsen-volksfeind.de





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