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nachDRUCK # 6

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Wiederaufnahme

Die Luft ist raus

Großes Aufregungstheater um Hans Neuenfels´ IDOMENEO an der Deutschen Oper Berlin


Es gab ja schon mal unruhigere deutsche Nachkriegszeiten als wie heutzutage. Ja, man sollte es nicht glauben, aber da war echt was los. Da konnte man sich einfach nicht über so kokoloren Pipifax wie "Konjunkturschwäche" und "Umsatzrückgang" oder "Anhebung der Mehrwertsteuer" echauffieren. Nein, da lag wohl richtig echt was in der Luft. Berlin (W) 1967 beispielsweise: Schah besucht die Deutsche Oper, Zauberflöte wird gespielt, ein Staatsempfängnis, und die Bismarckstraße ist gesperrt. Die progressive Jugend dieses Landes ist dagegen. Gegen Schah's von Persien, gegen die Berlinregierenden, gegen die Bullen, gegen Alles halt. Es kommt zu militanten Auseinandersetzungen. Studentenführer Ohnesorg wird abgeknallt. Heißt Mord. Tod und Verklärung. (Helmut Krausser hat in Eros, seinem Neuroman, dieses Kapitel kurz mal aufgeblättert; ein Relief von Alfred Hrdlicka, Nähe des U-Bahn-Eingangs an der Deutschen Oper, hat die Szenen steinmetzartig in Erinnerung gebannt.)

Alles schon ziemlich lange her! sinnen die Einheimischen im Berliner Nobelwesten, und vielleicht sogar diejenigen "die damals mit dabei gewesen waren", und sie werden melancholisch auf die intensivste Art. Denn anders kann der Zugereiste es sich nicht erklären, was er da so an dem 29.12.2006 vorm Eingang des in Großpailetten eingewickelten Charlottenburger Opernhauses sieht: Rechts stehen Pfarrer Müller und sein alter Ministrant und halten hoch ein Schild "FREIHEIT DER KUNST ODER JESUS CHRISTUS" / links steht ein gut betuchtes Ehepärchen und hält hoch ein Schild "MOZART ODER DER UNTERGANG DER RELIGION" (o.s.ä.) // in der Mitte muss man dann durch ein Spalier von martialisch anmutenden Polizisten, um zur Durchsichtsschleuse mit Zivilbeamten zu gelangen - klein & kläglich alles das!! man möchte kotzen!!!



In dieser Szene aus IDOMENEO scheint die Welt noch heil: Den Religionshäuptlingen fehlt es, wie man sehen kann, auf diesem Bild an nichts. - Foto (C) Mara Eggert


Ja, seit anno `67 - und wir Nachgeborenen gestehen es ja ein - ist freilich wieder Vieles und auch völlig Anderes passiert. Am einschneidendsten noch der 11. 9. samt den Folgen. Weltwirtschaft und Militär ließen sich sicherlich von da ab fast symbiotisch ineinandersetzen. Psychen und Psychosen halten an. Da kommt es schon mal vor, dass ein paar Leute leicht über die Stränge schlagen:
Eine außerordentlich besorgte Opernenthusiastin - stand in allen Blättern, lief auf allen Sendern; Sie erinnern sich - verstellte ihre Stimme und rief irgendwen (war es die Intendantin? wars die Polizei?? wars der Senator für das Innere???) in anonymster Hobbylaune an und meinte, dass die Schlussszene aus Neuenfels' Idomeneo, also die, wo dann der Titelheld 'nen Sack mit abgeschlagnen Köpfen der drei Hauptvertreter internationaler Religionen kurzerhand entleerte, kreuzgefährlich wäre. Und die bösen Fundamentalisten dieser Welt könnten sich so herausgefordert fühlen und das schöne Westberliner Opernhaus in Schutt und Asche legen... Hm! Ob da was dran ist? fragten sich nun die Verantwortlichen der Gefilde. Und sie reagierten prompt: Tatü-tata. So ein Brimborium hat es im Zusammenhang mit einer Neuauflage einer immerhin drei Jahre schon zurückliegenden Inszenierung nie gegeben. Denn man nahm die Sache blutig ernst. Es wurde, war dann auch: DIE Oper, DAS Ereignis in '06!!

Die Erstreprise dieser über Nacht so weltberühmt geword'nen Mozart-Inszenierung soll, lt. der Berichterstattungen, relativ ungestört und recht erfreulich abgelaufen sein. Die Weltpresse ließ sich 600 Sitzplätze für dieses zu Bestaunende vorreservieren. Und der Bund und der Senat und andere Vertreter öffentlichen Lebens waren offiziell zugegen. Und obwohl das Haus bei weitem gar nicht ausverkauft war - wär es dennoch ein "Triumph der Kunst" (worüber eigentlich) gewesen; allenthalben Neuenfels, der Buhmann, spielte da nicht mit, vielmehr noch nannte er dann alle seine konservierten Inszenierungen im Bau der neuen Intendatin "Scheiße", Punkt.

*

Hans Neuenfels ist mit Idomeneo eine seiner schlüssigsten und schönsten Inszenierungen gelungen! Diese Handlung geht nicht leicht, es braucht schon etwas Vorstudium, doch eigentlich liest sie sich plump: Idomeneo soll den eignen Sohn zur Schlachtbank führen, weil die Götter es so wollen. Eine Opferstory also. Aber Vater liebt den Sohn letztendlich doch zu sehr, um den Geboten "aus der Höhe" artiglich zu folgen. Menschliches ist, wie bei Mozart meistens, absoluter Endtriumph. Die Logik der verworrenen Geschichte: Nicht den Göttern hörig folgen, sondern seinem eignen Herzschlag lauschen. Menschlich handeln! / Also macht der Neuenfels nichts Konsequenteres als das: Er lässt den Haupthelden die Köpfe aller Religionsführer - die hatte er sich, metaphorisierend, als ein Hochgericht um seiner selbst dann vorgestellt - herunterhacken. Eine Welt ganz ohne Religion. Und ohne religiöse Führer. Atheistenstaaterei halt; wunderbar!!!

Einzig die musikalischen Verlautbarungen ließen dieses Mal doch sehr zu wünschen übrig. Dass Lothar Zagrosek, der der Oper vor drei Jahren einen zäsilierten hellicht zupackenden Klang bescherte, diesmal fehlte, war nicht nur zu spüren, nein, es hörte sich auch alles völlig anders an: Der kurzfristigerweise eingesprungne Ralf Weikert, sicherlich 'ne Koryphäe in uns unbekannter Richtung, dirigierte quasi aus dem Lehrkraftbauch heraus. Es klang mitunter komisch, ja, man wollte meinen, das Orchester würde eine Schellackplatte einspielen... Gesanglich etwas besser: Mihoko Fujimura (Idamantes), Nicole Cabell (Ilia) und Krassimira Stoyanova(Elektra) ohne jeden Furcht und Tadel; einzig nur Raul Giménez als Idomeneo unannehmbar, im undiskutabelen Bereich.

Klassischster Jubel nach der Vorstellung, null Ausschreitungen hinterher: Die Luft ist raus.


Andre Sokolowski - 1. Januar 2007
ID 2883

IDOMENEO (Deutsche Oper Berlin, 29.12.2006)
Musikalische Leitung: Ralf Weikert
Inszenierung: Hans Neuenfels
Ausstattung: Reinhard von der Thannen
Mit: Raul Giménez (Idomeneo), Mihoko Fujimura (Idamantes), Nicole Cabell (Ilia), Krassimira Stoyanova (Elektra), Burkhard Ulrich (Arbace) und Harold Wilson (Stimme)
Chor, Bewegungschor und Orchester der Deutschen Oper Berlin
Premiere war am 12. März 2003.

Weitere Infos siehe auch: http://www.deutscheoperberlin.de


https://www.andre-sokolowski.de





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