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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik


Die vorsätzliche Vorführung

des kindlichen Genies


Das Brandmal, das der laute Abend zeigt, ist Alexander Scheer!

Bei Wikipedia steht über den Star: "...verließ nach dem 11. Schuljahr die Schule und jobbte die folgenden vier Jahre als Friedhofsgärtner, Postbote, Barkeeper und als Darsteller in einigen Werbefilmen. Die Drogenerfahrungen dieser Zeit werden auch in Jörg Böckems Buch 'Danach war alles anders' ausführlich geschildert. Erste Theatererfahrung machte er am Berliner Off-Theater TiK. Dort begann er seine Schauspielkarriere ohne eine professionelle Ausbildung." - Bei einem Casting entdeckte ihn Leander Haußmann für die Sonnenallee, dann nahm er ihn nach Bochum mit, wo er auch "richtige Rollen" spielen konnte. Scheer's Karriere nahm lawinenartig zu. Film, Fernsehen, Theater, alle wollten ihn. Zuletzt bestach er als Othello in der HH-Pucher-Inszenierung.

In der Pressemitteilung der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz ist, abschließlich ihrer Vorverlautbarungen zu dem viereinhalbstündigen Mischprojekt unter dem umständlichen Titel KEAN OU DESORDRE ET GENIE / COMÉDIA EN CINQU ACTES PAR ALEXANDER DUMAS ET DIE HAMLETMASCHINE PAR HEINER MÜLLER (greifen Sie zum Wörterbuch und puzzeln Sie sich eine Übersetzung peu à peu zusammen!), Folgendes zu lesen: "...Star des Abends ist: Alexander Scheer. Er zitiert sich selbst als Othello, schwarz geschminkt, den er einst spielte, telefoniert mit Uschi Obermaier und trägt die Frisur des Piraten, den er gerade bei Dreharbeiten in Hamburg spielt."

Der revoluzzre Hausherr - Frank Castorf ist und bleibt die einzig wirklich ernst zu nehmende moralische Instanz im urgemütlichen Bestand aller Berliner Sprechtheater - wollte wieder einmal Großes, Schönes, Gutes; und womöglich wollte er auch wieder einmal "grundverbessern", also Menschlich(st)es aus uns hervorkitzeln, damit wir größer, schöner, besser durch und mit ihm werden; wenn es also denn so war oder gewesen wäre oder irgendwie so hätte sein soll'n - kann ja sein - , dann ist ihm das auf eine große, schöne, gute Art geglückt: Indem er einen Spiel- und Tummelplatz für Alexander Scheer herbauen ließ und ihm ein paar sehr angenehme Spielgefährtinnen und Spielgefährten an die Lenden legte.

Mit dem ganzen Textzeug, was da allerdings von uns und mir bis viertel eins am nächsten Morgen ausgehalten werden muss, hat es wohl eine völlig andere und etwas problematischere Art als zu erwarten war und ist, denn: KUNST UND LEBEN, als das generalstabsmäßig vorgefähnelteste Thema dieses großen schönen guten Abends, sind und bleiben nun mal völlig zweierlei, also...

Der Kean (bei Wikipedia unter "Edmund Kean" zu lesen) ist das Eine; er ist nicht viel mehr als ein beliebig hergezerrter Bühnenstoff, also: Statt Kean hätte es auch ein x-beliebig andrer Bühnenstar, der sich sein Leben lang verheizte und verheizen ließ, sein können; hier - im Fall der Volksbühne - stand grade mal ein mehr als mittelmäßig überlieferter Stücktext von A. Dumas, dem Schöpfer der drei Musketiere, zur Debatte; Lothar Trolle, einer der bedeutendsten Sprachbildner unsrer Zeit, verlieh oder verwandelte den unsäglichen Urtext in ein hörenswertes Heutiges; es war mir nicht ganz klar, ob dann die (vor-marxistischen) Subtexte zur industriellen Revolution in England von ihm, also von Trolle, oder wem auch immer stammten; Castorf selbst hatte sich ebenfalls als Text-Barbeiter des Abends ausgewiesen - - ja und Heiner Müllers Hamletmaschine? Immer dann, wenn Andere zu keiner Lösung ihrer überambitionierten Gdankenarbeit finden können, holen sie den Müller-Text hervor; der stimmt auf immer und auf ewig, und der sagt es wie es ist; hab nix dagegen, macht ruhig!

Alexander Scheer verkörpert allerdings, bei all dem Aufquellen des überwürzten Textgebräus, den Lebensborn an sich. Er ist Naturereignis und Naturkatastrophe zugleich. Man kann sich nicht annähernd vorstellen, wie und ob er überhaupt dann den Regieanweisungen der vielen Ziehväter gehorchte und gehört. Er kommt als etwas Pures rüber. Er hat lange dünne Beine, und sie enden ihm doch irgendwie am Hals. Er stakst und rennt und strampelt, und man meint oft, dass sein Kopf sich unumwunden und von jetzt auf gleich dem Leibesrest entheben würde und sich, beinlos, also fliegend-fliehend forbewöge. Wahnsinn!!!

Junge, lass dich nicht benutzen.

KUNST UND LEBEN = eine Doppelfalle.


Andre Sokolowski - 8. November 2008
ID 4083


KEAN (Volksbühne Berlin, 06.11.2008)
Regie: Frank Castorf
Bühne: Hartmut Meyer
Kostüme: Jana Findeklee, Joki Tewes
Mit: Luise Berndt, Steve Binetti, Andreas Frakowiak, Georg Friedrich, Irina Kastrinidis, Michael Klobe, Inka Löwendorf, Silvia Rieger, Jorres Risse, Mandy Rudski, Alexander Scheer, Jeanette Spassova und Axel Wandtke
Premiere war am 6. November 2008.
Nächste Vorstellungen: 15., 28. 11. / 13., 25., 27. 12. / 3. 1. 2009

Weitere Infos siehe auch: http://www.volksbuehne-berlin.de




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